Pandemiepolitik:"Viel bessere Situation als im letzten Herbst"

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Bundesjustizminister Marco Buschmann und Gesundheitsminister Karl Lauterbach bei der Vorstellung des neuen Infektionsschutzgesetzes in Berlin. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Nach langem Ringen verständigen sich Gesundheitsminister Lauterbach und Justizminister Buschmann auf ein neues Infektionsschutzgesetz. Größte Änderung: Für Getestete oder frisch Geimpfte soll in vielen Fällen die Maskenpflicht entfallen.

Von Angelika Slavik, Berlin

Es war ein wochenlanges Geharke, doch am Mittwoch präsentierten Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gemeinsam mit Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD) doch noch einen Entwurf für eine neues Infektionsschutzgesetz. Dieses ist der Kern der deutschen Corona-Strategie für den Herbst - und birgt durchaus Überraschungen.

Grundsätzlich kennt das Konzept zwei Stufen: Eine normale Grundvorsorge - die Minister bemühten das Sprachbild von den "Winterreifen", die man von Oktober bis Ostern auf jeden Fall aufziehe. Und eine zweite Stufe bei besonders schlechter Pandemiesituation. Im Regierungsbild sind das die "Schneeketten", die nur im Bedarfsfall eingesetzt würden.

Zur Grundvorsorge gehört demnach eine FFP2-Maskenpflicht im Fernverkehr und bei Flugreisen. Außerdem gilt Masken- und Testpflicht für den Zutritt zu Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Die Maske darf allerdings weggelassen werden, wenn entweder eine Genesung oder eine Impfung nicht mehr als drei Monate zurückliegt. In Betrieben gilt zudem weiter die Corona-Arbeitsschutzverordnung mit Masken- und Testregelungen sowie Home-Office-Angeboten.

Ausnahmen bei Freizeit, Sport und Kultur

Dieser Teil wird vom Bund geregelt. Darüber hinaus können die Länder eigenverantwortlich weitere Maßnahmen beschließen. Dazu gehören eine FFP2-Maskenpflicht im öffentlichen Personennahverkehr und eine Testpflicht für gemeinschaftliche Einrichtungen wie Gefängnisse, Kinderheime, Asylbewerber-Unterkünfte sowie für öffentlich zugängliche Innenräume. Allerdings gibt es hier eine bemerkenswerte Ausnahme: Für Einrichtungen und Veranstaltungen aus dem Freizeit-, Kultur- oder Sportbereich müssen die Länder Menschen von der Maskenpflicht ausnehmen, die entweder tagesaktuell negativ getestet sind, eine nicht mehr als 90 Tage zurückliegende Genesung nachweisen können oder eine ebenso frische Impfung. Gemeint ist dabei die dritte oder vierte Impfdosis.

Diese Regelung basiert auf zwei Überlegungen: Zum einen sollen die neuen Impfstoffe, deren Zulassung für den 9. September erwartet wird, in hohem Ausmaß vor Ansteckung und Weitergabe des Virus schützen. Dieser Schutz war bei den alten Vakzinen und den aktuell grassierenden Virusvarianten zwar auch vorhanden, aber deutlich geringer. Besonders in Restaurants, Bars oder auch Fitnessstudios sollen Tests und Impfungen deshalb mehr Sicherheit bringen als die Maske, das ist das Kalkül der Bundesregierung. Denn die Maske wird in Restaurants am Tisch ohnehin nicht getragen. In Fitnessstudios oder zum Beispiel auch in Kinos ist die Maskendisziplin zudem oft gering und schwer zu kontrollieren.

Die Aussicht auf Maskenfreiheit, so hofft man im Bundesgesundheitsministerium, könnte den einen oder anderen zum Impfen motivieren, der sich bislang nicht hat durchringen können. Zumal erwartet wird, dass sich die viele Gastronomen, Kino- und Fitnesscenterbetreiber selbständig entscheiden, für ihre Häuser Test-, Impf- oder Genesenennachweise als Zutrittsberechtigung festzulegen. Denn so ersparen sie sich die Kontrolle der Maskenpflicht und können nach dem Einlass gefühlte Normalität anbieten. Diese erwartete Einschränkung des Freizeitlebens soll die Zahl der Ungeimpften verringern.

Keine Maskenpflicht in Grundschulen

Für die Schulen gilt: Die Länder können, wenn sie es für notwendig halten, von der 5. Klasse an das Tragen medizinischer Masken vorschreiben - explizit keine FFP2-Masken. Die Regelung muss zudem dabei helfen, den Präsenzunterricht in den Schulen aufrechtzuerhalten, soll also nicht einfach vorsorglich eingeführt werden. Für jüngere Kinder ist eine Maskenpflicht ausgeschlossen.

Das sind die Grundregeln im "Winterreifen"-Modus, sie gelten vom 1. Oktober an bis zum 7. April. Verschlechtert sich die Pandemielage, können die Landesparlamente die "Schneeketten-Phase" einläuten und schärfere Maßnahmen ermöglichen. Dazu gehören dann Maskenpflichten ohne die Ausnahme für Geimpfte, Genesene oder Getestete, Abstandsgebote und Personenobergrenzen für Veranstaltungen. Einen festen Grenzwert, wann diese verschärften Maßnahmen eingeführt werden können, gibt es nicht. Die Inzidenz, lange der wichtigste Orientierungswert, um das Pandemiegeschehen abzubilden, spielt in den Überlegungen für den Herbst überhaupt keine Rolle mehr. Stattdessen sollen Abwasseruntersuchungen helfen, das Virusgeschehen zu erfassen. Die Entscheidung, ob die Lage bedrohlich ist oder nicht, wird aber wohl eher eine politische als eine statistische sein.

Nicht mehr möglich sind Lockdowns, allgemeine Schul- oder Betriebsschließungen oder Ausgangssperren. Man sei insgesamt "in einer viel besseren Situation als im letzten Herbst", sagte Lauterbach. So könne das Medikament Paxlovid die Sterblichkeit deutlich verringern, und die neuen Impfstoffe würden gut vor Ansteckung schützen. Zudem erwarte er, dass im Herbst die Omikron-Variante BA.5 dominieren werde. Das bedeute zwar viele Ansteckungen, aber weniger tödliche Verläufe als etwa bei einer Delta-Welle.

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