Rüstungskontrolle:Wieso Putin den INF-Vertrag nun auch aussetzt

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Russlands Präsident Wladimir Putin (Foto: REUTERS)

Russlands Ankündigung, den Rüstungskontrollvertrag auf Eis zu legen, ist folgerichtig. So versucht Putin, US-Präsident Trump die Schuld zuschieben und die Nato zu spalten.

Analyse von Matthias Kolb, Brüssel

Es war eine Inszenierung, wie Wladimir Putin sie liebt. In einem im russischen Fernsehen übertragenen Treffen mit Außenminister Sergej Lawrow und Verteidigungsminister Sergej Schoigu antwortete Russlands Präsident auf die Ankündigung Washingtons, den INF-Vertrag zum Verbot von landgestützten Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern zu suspendieren: "Die amerikanischen Partner haben erklärt, dass sie ihre Teilnahme an dem Abkommen aussetzen. Wir setzen sie auch aus."

Zudem kündigte Putin die Entwicklung neuer Mittelstreckenraketen an - als Antwort auf ähnliche Projekte Washingtons. Moskau werde sich nicht auf "ein neues kostspieliges Wettrüsten" einlassen, sagte er. Es werde seine Kurz- und Mittelstreckenraketen nur dann in Europa oder anderswo stationieren, wenn die USA dies ebenfalls täten. Aus Sicht der USA und der anderen 28 Nato-Mitglieder klingen diese Worte wie Hohn, denn ihrer Überzeugung nach verfügt Russland mit dem Marschflugkörper 9M729 längst über eine Waffe, welche die Sicherheitsbalance auf dem Kontinent verändert - und Moskau die Chance gibt, europäische Staaten zu erpressen, wie der Politologe Carlo Masala fürchtet.

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Besonders dann, wenn sie als einzuplanende militärische Mittel verstanden werden. Die Kündigung des INF-Vertrages zeigt die Wiederkehr solchen Denkens.

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Dass Putin parallel zu US-Präsident Donald Trump die Aussetzung des INF-Vertrags, den Washington und Moskau 1987 geschlossen haben, verkündet, ist wenig überraschend. Sie folgt der bisherigen Kommunikationsstrategie, wonach Russland angeblich weiterhin vertragstreu sei: Ohne den heutigen Rückzug aus dem INF hätte dies als Eingeständnis Moskaus gesehen werden können, dass an den Vorwürfen etwas dran ist, die schon Trumps Vorgänger Barack Obama erhob - und denen sich am Freitag alle anderen 28 Nato-Mitglieder einstimmig angeschlossen hatten.

Putin will keine Abrüstungsinitiative starten

Die samstägliche Show ist vielmehr Teil des großen "blame game" zwischen Washington und Moskau, also der gegenseitigen Schuldzuweisungen und des Kampfs um die Deutungshoheit. Also wiederholt Außenminister Lawrow zum x-ten Mal den Vorwurf, die USA würden den INF-Vertrag seit Jahren mit ihren Raketenabwehrsystemen in Polen und Rumänien verletzen, während Russland alles getan habe, um das Abkommen zu bewahren. Um Moskaus Argument zu bekräftigen, dass Washington am Erhalt des Vertrags nicht interessiert sei, wies Putin seine Minister an, keine neuen Abrüstungsgespräche mit den USA anzustoßen.

Die Worte aus Moskau machen deutlich, wie schwierig es werden dürfte, den INF-Vertrag in den kommenden sechs Monaten zu retten, bevor er gemäß den Regularien ungültig wird. Dass Trumps Außenminister Mike Pompeo mit Rückendeckung der Nato Anfang Dezember ein Ultimatum von 60 Tagen aussprach, war vor allem dem Werben von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu verdanken - Zugeständnisse hat Moskau seither nicht gemacht.

Die Appelle von Bundesaußenminister Heiko Maas ("Das Thema Abrüstung muss wieder auf die internationale Tagesordnung") wirken eher hilflos angesichts der Tatsache, dass jene Staaten mit einem Arsenal an Mittelstreckenraketen wie China, Iran, Indien oder Pakistan kein Interesse an einem internationalen Verbotsabkommen zeigen. Dazu passt auch die Meldung des Spiegel, wonach für die von Maas für März geplante Abrüstungskonferenz in Berlin noch keine Teilnehmer aus USA, Russland und China "auf politisch relevanter Ebene" zugesagt hätten.

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US-Präsident Donald Trump, dem Inszenierung bekanntlich auch wichtig ist, sagte am Freitag, die Vertreter von möglichst vielen Staaten in einem "großen, schönen Saal" versammeln zu wollen, um einen "einen neuen Vertrag, der viel besser sein wird" auszuhandeln. Ob dies wirklich die Priorität dieser Administration ist, zweifeln selbst Experten an. Trumps Sicherheitsberater John Bolton lehnt aus Prinzip Rüstungskontrollabkommen ab, da sie Washingtons militärische Möglichkeiten begrenzten.

Angesichts des zunehmenden Konfrontationskurses mit China erscheint ein globales Abkommen zum Verbot von Mittelstreckenraketen unwahrscheinlich. Auch Peking sieht dafür keinen Grund, wie der Ex-General Xu Guangyu dem Spiegel sagte: "China wird sich womöglich einem multilateralen Abrüstungsvertrag anschließen, aber nicht wenn China zu den anderen Atommächten aufgeschlossen hat, sondern wenn die anderen ihre Arsenale auf unser Niveau reduziert haben." Aktuellen Schätzungen zufolge besitzen die USA 15 Mal mehr Atomsprengköpfe als Peking.

Im Kampf um die öffentliche Meinung ist die aus russischer Sicht entscheidende Region aber fraglos Europa. Je mehr Erfolg der Kreml damit hat, den von vielen Europäern verachteten US-Präsidenten Trump für den Kollaps des INF und des europäischen Sicherheitsschirms verantwortlich zu machen, umso näher kommt Moskau seinem Ziel, die Nato zu spalten. Auf politischer Ebene ist die Allianz bisher geschlossen: Im Nato-Hauptquartier wird oft erwähnt, wie ausführlich Washington die Partner über Erkenntnisse bezüglich des verbotenen russischen Marschflugkörpers informiert habe.

Offen bleibt jedoch, ob diese Einheit in den nächsten Wochen erhalten bleibt, denn unter den 29 Mitgliedern gibt es unterschiedliche Haltungen, was die Gefährlichkeit Russlands und die Notwendigkeit höherer Militärausgaben angeht. Seit der völkerrechtswidrigen Annektion der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 haben die zur Nato gehörenden EU-Mitglieder ihre Verteidigungsausgaben zwar um 50 Milliarden Euro erhöht, aber trotzdem erfüllen nur wenige das Ziel von zwei Prozent am Anteil des Bruttoinlandprodukts.

Dass Deutschland den zum Jahresende überfälligen Bericht, wie man die zugesagte Zwei-Prozent-Marke zu erreichen plane, noch immer nicht bei der Nato vorgelegt hat, dürfte in knapp zwei Wochen beim Treffen der Verteidigungsminister der Militärallianz erhitzt debattiert werden. Die Trump-Regierung wirft vor allem der Bundesregierung in Berlin vor, nicht genügend in militärische Kapazitäten zu investieren. Experten fürchten, dass sich der Nato-Skeptiker Trump aus Ärger über in seinen Augen zu mickrige Zahlen der Westeuropäer davon überzeugen lassen könnte, außerhalb der Strukturen der Militärallianz mit den baltischen Republiken oder Polen über eine Stationierung von atomar bestückten Mittelstreckenraketen auf deren Territorium zu sprechen. Dies würde der Nato-Russland-Grundakte von 1997 widersprechen.

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Während Litauens Außenminister Linas Linkevicius im SZ-Gespräch jede Spekulation über Stationierung und Wettrüsten als "verfrüht" und "viel zu teuer" ablehnte, sagt Polens Chefdiplomat Jacek Czaputowicz dem Spiegel: "Es gibt keinen Grund zu glauben, dass Nuklearwaffen nicht auch in Zukunft den Frieden sichern werden. Es liegt in unserem europäischen Interesse, dass amerikanische Truppen und auch Atomraketen auf dem Kontinent stationiert sind." Czaputowicz ist wie viele Osteuropäer überzeugt, dass gegenüber Moskau nur die "Sprache der Stärke" wirksam sei.

In Deutschland ist sich die Koalition uneins

Dass hierzulande die Koalition keine einheitliche Position vertritt, wird immer klarer. Es sei "ebenso falsch, jetzt amerikanische Atomraketen in Europa zu fordern, wie eine Nachrüstung kategorisch auszuschließen", sagte Johann Wadephul (CDU) der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS). Der ebenfalls der CDU angehörende Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sagte, die Nato müsse zu einem "Doppelbeschluss" bereit sein. Auf der einen Seite müsse die Allianz "Russland ein Verifikationsregime anbieten", auf der anderen Seite aber auch dazu bereit sein, "konventionell und nuklear dagegenzuhalten". Dem widerspricht der Vizechef der SPD-Fraktion Rolf Mützenich. Es sei "nicht erforderlich, in Europa landgestützte Mittelstreckenwaffen nachzurüsten", sagte er der FAS, da die USA angeblich schon beschlossen hätten, Marschflugkörper auf U-Booten mit Atomsprengköpfen auszustatten.

In Nato-Kreisen wird durchaus damit gerechnet, dass Russland in den kommenden Wochen doch noch Gesprächsbereitschaft erkennen lässt und seine Diplomaten an eventuellen internationalen Konferenzen teilnehmen lässt. Wenn es zu keinem signifikanten Meinungswechsel kommt, dann sei dies eher als Ablenkungsmanöver zu werten - und als weiterer Versuch, einen Keil in die Geschlossenheit der Nato-Mitglieder zu treiben.

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