Industriepolitik:Der Markt weiß es besser

Volkswagen Amazon Cloud

Amazon soll die Werke und Lager des VW-Konzerns miteinander vernetzen.

(Foto: Jörg Sarbach/dpa)

Soll auch Deutschland die Wirtschaft stärker lenken, um den USA und China Paroli bieten zu können? Nein, denn mögliche politische Fehler lassen sich kaum korrigieren.

Kommentar von Nikolaus Piper

Historische Brüche zeigen sich oft dort, wo man es am wenigsten erwartet. Zum Beispiel im Bundeswirtschaftsministerium. Die Verkündung einer "Nationalen Industriestrategie 2030" durch Minister Peter Altmaier ist so ein Einschnitt. In dem Ministerium, das ja immer noch ein wenig von seinem ersten Chef Ludwig Erhard geprägt ist, war Industriepolitik bisher mit einem Anathema belegt. Über das, was produziert wird, entscheiden Märkte, der Staat greift nur im Notfall ein. So die Doktrin, die zwar nie lupenrein verfolgt wurde, aber doch in der Regel die Politik leitete.

Und nun, da Erhards Ministerium zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder von der CDU geführt wird, soll der Staat sich plötzlich um die Produktion von Autobatterien kümmern und "nationale Champions" in der Industrie fördern. Ein Paradigmenwechsel, dessen Bedeutung kaum zu überschätzen ist.

An Altmaiers Wende hat es bereits viel Kritik gegeben. Sie ist zum größten Teil gerechtfertigt: Die Politik kriegt in Berlin nicht einmal einen Flughafen in Gang und soll nun darüber befinden, wie der Markt für künstliche Intelligenz auszusehen hat. Doch diese Kritik lässt, so nahe sie auch liegen mag, etwas sehr Wichtiges außer Acht - dass sich die Welt um Deutschland herum radikal verändert hat, und zwar nicht zum Vorteil der Deutschen. Es ist nicht mehr die Welt sich öffnender Märkte, auf denen deutsche Firmen einen Exporterfolg nach dem anderen erzielen konnten und in der es unwichtig zu werden schien, welche Nationalität ein Unternehmen hat.

Die liberalen Hoffnungen sind einem neuen Freund-Feind-Denken gewichen

Diese Welt der liberalen Globalisierung hatte mit dem Ende des Kalten Krieges 1990 begonnen, und sie endete spätestens mit der Wahl von Donald Trump im November 2016. Heute wird die Weltwirtschaft bestimmt von einem Protektionisten im Weißen Haus und einer kommunistischen Führung in Peking, die unter dem Namen "Neue Seidenstraße" eine klare Industriepolitik unter geostrategischen Vorzeichen verfolgt. Investitionen in Häfen, Eisenbahnen und Industrieunternehmen sollen der Volksrepublik China Einfluss, Rohstoffe und technisches Wissen sichern.

In dieser Welt ist die Nationalität eines Unternehmens von überragender Bedeutung. Wenn ein chinesischer Investor in, sagen wir, Augsburg eine Roboterfabrik erwirbt, dann weiß man nicht genau, ob dieser Investor eine ganz normale Firma ist oder ob er im Staatsauftrag einfach technisches Wissen aus Deutschland abziehen will. Und das mächtigste Amt der westlichen Welt wird in Washington von einem Präsidenten gehalten, der es als Problem ansieht, wenn die Handelspartner der Vereinigten Staaten Überschüsse erzielen. Die liberalen Hoffnungen ("freier Handel dient allen") sind einem neuen Freund-Feind-Denken gewichen.

Auf fast unheimliche Weise erinnert die Gegenwart an das ausgehende 19. Jahrhundert, als Protektionismus, Chauvinismus und Imperialismus den Optimismus der Liberalen überlagerten. Es ist auch nicht zu erwarten, dass mit einem Regierungswechsel in Washington alles wieder gut wäre. Auch die amerikanische Linke ist weitgehend protektionistisch eingestellt. Ein kluger Beobachter bezeichnete die Ideen der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Elizabeth Warren als "Trumpismus mit menschlichem Antlitz". Und auch in Deutschland sind die Globalisierungsgegner von Attac noch heute in der Lage, Tausende gegen den Freihandel zu mobilisieren.

Wettbewerb hat den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands erst möglich gemacht

In dieser Situation kann die deutsche Politik nicht so tun, als sei alles normal. Andererseits wird durch Trump und China ja die Kritik an der Industriepolitik nicht falsch, im Gegenteil. Am wichtigsten ist dieser Einwand: Was passiert eigentlich, wenn Politiker sich irren, wenn sie auf die falsche Technik oder das falsche Unternehmen setzen? Politiker sind nicht dümmer als Unternehmer oder Manager. Aber politische Fehler werden in der Regel viel später korrigiert, weil der Markt erst einmal ausgeschaltet ist. Der Ausbau der Kernenergie wurde in den 1960er-Jahren von einer breiten politischen Mehrheit beschlossen. Die Korrektur dieser Entscheidung hat eine ganze Generation beschäftigt.

Die Lehre aus all dem heißt: Vorsicht vor detaillierten Vorgaben für die Wirtschaft, Vorsicht vor allem bei der Auswahl von "Champions", auch unter den neuen Verhältnissen. Entschlossenheit dagegen, wenn die nationale Sicherheit bedroht ist. Die Regierung darf nicht zögern, verdächtige Firmenkäufe durch chinesische Investoren zu untersagen. Es gibt auch gute Gründe dafür, den chinesischen Telekom-Ausrüster Huawei kritischer anzugehen, als die Bundesregierung dies gerade tut. In der EU sollte sich Berlin für eine klare Haltung gegenüber protektionistischen Attacken aus Washington einsetzen, auch wenn das kurzfristig Opfer bei den Exporten bedeutet.

Am wichtigsten aber ist es, den Wettbewerb in einer freien Gesellschaft zu bewahren, denn der hat die wirtschaftlichen Erfolge Deutschland und des Westens insgesamt erst möglich gemacht.

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