Am frühen Morgen brüllt noch die Hoffnung aus den Lautsprechern vor dem Tor. Die Anhänger des christlichen Gouverneurs von Jakarta, der gleich vor seine Richter treten muss, spielen einen Song der Gruppe Coklat Band. Es klirren die E-Gitarren wie bei einem Open-Air-Konzert, das Lied "Bendera" ist eine rockige Liebeserklärung an die indonesische Nation. Doch welche Gemeinschaft wird hier eigentlich besungen? Was macht die Seele dieses multireligiösen Vielvölkerstaates aus?
Manche Indonesier glauben, dass an diesem Vormittag weit mehr verhandelt wird als der Vorwurf der Blasphemie, gegen den sich Gouverneur Basuki Tjahaja Purnama, genannt Ahok, vor Gericht verteidigen muss. Er soll den Koran beleidigt haben, aber die Muslimin Siti Supriati, die draußen vor dem Tor Rosen für Ahok im Arm trägt, sieht das anders. "Das ist alles nur vorgeschoben, um ihn auszuschalten", schimpft die Frau mit dem blauen Kopftuch. "Seine Gegner haben den Prozess angezettelt."
Vielleicht hört der Angeklagte noch ein paar Takte der aufmunternden Musik, als er das Gebäude des Agrarministeriums betritt. Dort haben die Behörden einen Gerichtssaal nur für seinen Prozess eingerichtet, angeblich ist dieser Ort besonders gut zu sichern. Schwer bewaffnete Einheiten kontrollieren die Eingänge, draußen sind Hunderte Einsatzpolizisten aufmarschiert, um Anhänger und Gegner Ahoks voneinander fernzuhalten. Der Staat befürchtet Zusammenstöße, die Nervosität ist groß in diesem Prozess, der die Emotionen seit Monaten hochkochen lässt; nichts hat Indonesien in den vergangenen Monaten derart gespalten wie der Fall Ahok. Nun warten alle auf das Urteil.
Pünktlich um neun Uhr kommt Ahok in den Saal, ein großer schlanker Mann im weiß-blauen Batik-Shirt. Er verbeugt sich etwas steif vor den Richtern und nimmt seinen Platz als Angeklagter ein: Ein einzelner Stuhl ist für ihn mitten im Saal platziert, rechts sitzen seine Anwälte, links die Ankläger, vor ihm die Richter und hinter ihm die Zuhörer. Fernsehkameras übertragen die letzte Sitzung live. Der Angeklagte hat seine Hände auf die Knie gelegt, er wird sich in den kommenden zwei Stunden kaum bewegen. Er blickt immerzu nach vorne, wo nun abwechselnd fünf Richter sprechen, sie fassen noch einmal die Argumente der Anklage und der Verteidigung zusammen. Und verkünden schließlich, um kurz vor elf Uhr, ihr Urteil: schuldig. Zwei Jahre Gefängnis für den Gouverneur, die Richter sehen es als erwiesen an, dass er im Wahlkampf den Koran beleidigt hat. Und ihr Strafmaß geht noch weit über das hinaus, was die Anklage gefordert hat.
Ahok hört das Urteil, aber er rührt sich nicht, er sitzt nur starr da und blickt ohne erkennbare Regung nach vorne. Besucher im Zuhörerraum, die den Gouverneur we-gen Gotteslästerung angezeigt hatten, las-sen ihrer Freude unterdessen freien Lauf, einer von ihnen ballt triumphierend die Faust. So sieht es aus, wenn sie ihren Sieg gegen einen Ungläubigen feiern, gegen einen Christen chinesischer Abstammung. Ahok wird nun gleich in ein gepanzertes Polizeifahrzeug steigen, um seine Haft anzutreten. Draußen vor dem Tor brechen einige seiner Anhänger unter Tränen zusammen, als sie die Nachricht aus dem Gerichtssaal hören.
Zwar legt Ahok Berufung ein, doch zu-nächst muss er ins Gefängnis Cipinang, wo er die Nacht zubringen wird und seine Anhänger später Kerzen vor dem Tor für ihn entzünden. Ob seine Unterstützer ihn auf Kaution wieder freibekommen, ist ungewiss. Die Richter hatten darauf bestanden, Ahok sofort zu inhaftieren.
So endet am Mittwoch ein hoch umstrittener Prozess, der Symptom größerer Umbrüche in Indonesien sein dürfte. Niemals zuvor spielte Religion in einer politischen Auseinandersetzung eine so große Rolle. Ahok war früher Vize-Gouverneur und hat-te das Amt des Bürgermeisters von seinem Vorgänger Joko Widodo übernommen, als der ins Amt des indonesischen Präsidenten aufstieg. In diesem Jahr wollte sich Ahok nun für eine weitere Amtszeit wählen lassen. Doch das gefiel den Radikalen nicht. Ein Christ als Gouverneur passte nicht in ihr Weltbild. Und dann gab ihnen Ahok plötzlich eine Steilvorlage, als er sinngemäß sagte, seine Gegner versuchten, den Koran zu nutzen, um ihm, dem Christen, Stimmen abzujagen; davon sollten sich die Wähler nicht täuschen lassen.
Seine Gegner prangerten das als angebliche Blasphemie an - und hatten Erfolg. Dass Ahok so viel Zorn auf sich zog, lag auch daran, dass andere Gegner ebenfalls den Nutzen der religiösen Karte erkannten und sie skrupellos gegen ihn einsetzten. So kam es, dass ein muslimischer Gegenkandidat, der sich von den Radikalen unterstützen ließ, die Wahl gewann. Vor dem Prozess hatte Ahok noch Zustimmungswerte von 70 Prozent, doch der Blasphemie-Vorwurf ruinierte sein Ansehen.
"Dass er die Wahl verlieren würde, hatte ich fast befürchtet, weil man als Angeklag-ter nicht gut Wahlkampf machen kann", sagt seine Anhängerin Supriati. "Aber dass sie Ahok nicht freigesprochen haben, sondern hinter Gitter bringen, ist ein riesiger Schock. Sie haben den Islam in Stellung gebracht, um ihn zu stürzen. Ein grausamer Tag ist das."