Süddeutsche Zeitung

Indonesien:Pakt mit den Radikalen

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Lange galt Indonesien als Vorbild für Toleranz und friedliches Zusammenleben, das Miteinander der Kulturen funktionierte gut. Doch mit der Wiederwahl des Präsidenten könnte sich das ändern.

Von Arne Perras

Manchmal kann man, wenn man durch Indonesien reist, das Gefühl haben, eine kulturelle Wundertüte zu erkunden, so groß ist die Vielfalt der Ethnien, Sprachen und Religionen zwischen Sumatra und Papua. Mehr als 260 Millionen Menschen bewohnen 6000 Inseln, ein Vielvölkerstaat von dieser Dimension kann nur zusammenhalten, wenn der Pluralismus durch Verfassung und Gesetz geschützt ist. Aber das alleine reicht gar nicht aus: Die Tradition der Toleranz muss jeden Tag aufs Neue belebt werden, man muss sie überall pflegen, in Schulen, in der Familie, im Job, weil sie sonst irgendwann verfliegt.

Natürlich existierte der überwiegend von Muslimen bevölkerte Staat Indonesien niemals im Idealzustand immerzu friedlicher Völkerverständigung, wie es das Klischee vom harmonischen Inselparadies nahelegt. Alles in allem aber funktionierte das komplizierte Mit- und Nebeneinander der Kulturen dort aber lange ganz gut. Nun hat die drittgrößte Demokratie der Welt einen neuen Präsidenten gewählt. Und es zeigt sich: Das Erbe der kulturellen Vielfalt in Indonesien ist in großer Gefahr.

Das liegt vor allem am Erstarken konservativer islamischer Strömungen, die zunehmend in die Politik ausstrahlen. Sie öffnen überdies den Raum für radikale, teils gewaltbereite Islamisten. In diesem Klima geraten liberale und säkulare Kreise in die Defensive, sexuelle und religiöse Minderheiten fürchten um ihre Rechte. Ex-General Prabowo Subianto, der Amtsinhaber Joko Widodo entmachten wollte, zeigte keine Scheu, mit religiösen und gewaltbereiten Extremisten zu paktieren. Wenn sich die Hochrechnungen nach der Wahl bestätigen, dann hat Prabowo sein Ziel, die Präsidentschaft zu erobern, zwar knapp verfehlt. Aber dass er offenbar 40 bis 45 Prozent der Stimmen holte, ist ein alarmierender Befund.

Alles deutet darauf hin, dass der zögerliche Reformer Widodo, den alle Jokowi nennen, an der Macht bleiben und fünf weitere Jahre regieren kann. Eine beschleunigte Islamisierung, wie sie unter Prabowo zu erwarten wäre, scheint damit vorerst abgewendet zu sein. Bei all seinen Schwächen ist Jokowi ein pragmatischer und doch ausgleichender Politiker, deutlich anders als sein Rivale Prabowo, der als Ultra-Nationalist den Eindruck vermittelte, er bespiele die Klaviatur des rabiaten Populismus mindestens so lustvoll wie ein Rodrigo Duterte, Jair Bolsonaro oder auch ein Donald Trump.

Der Sieg des Präsidenten ist alles andere als ein Triumph liberaler Kräfte

Jokowis Sieg ist alles andere als ein Triumph säkularer und liberaler Kräfte. Tatsächlich sieht es so aus, als habe er seine Macht nur durch den Pakt mit der größten muslimischen Vereinigung und einem prominenten konservativen Kleriker retten können. Ma'ruf Amin ist ein Mann, der die Kriminalisierung von Homosexuellen fordert und maßgeblich daran beteiligt war, den christlichen Gouverneur von Jakarta wegen Blasphemie zu Fall zu bringen. Manche nennen ihn konservativ, andere radikal. In jedem Fall schockte die Allianz die früheren Anhänger des Präsidenten. Sie fragen sich, ob Jokowi noch Jokowi ist, wenn er sich von dogmatischen Klerikern fesseln lässt. Offenbar fürchtet der Präsident aber nichts mehr, als von seinen Gegnern als anti-islamisch gegeißelt zu werden. Das zeigt, dass Religion zu einer der schärfsten Waffen im Kampf um die Macht in Indonesien geworden ist.

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Quelle:
SZ vom 20.04.2019
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