Süddeutsche Zeitung

Indiens Premier Modi:Zuchtmeister für ein Milliardenvolk

"Erst die Toiletten, dann die Tempel": Mit diesem Slogan ist Narendra Modi vor 100 Tagen als indischer Premier angetreten. Er will die Wirtschaft ankurbeln und sexuelle Gewalt gegen Frauen bekämpfen. Doch der Hindu-Nationalist polarisiert.

Von Arne Perras

In den Amtsstuben ist der frische Wind längst zu spüren, den Indiens Premier Narendra Modi nach seinem Wahltriumph im Mai versprochen hat. So war in der Hauptstadt Delhi zu beobachten, dass manche Beamte ihr morgendliches Golfspiel erst einmal aussetzten, um stattdessen doch lieber pünktlich an ihren Schreibtischen zu sitzen.

Modis versprochener Aufbruch - das ist auch ein Kampf gegen den arroganten Schlendrian, der sich in der indischen Bürokratie breitgemacht hat. Hinzu kommen Korruption und Willkür, mit der die Staatsdiener ihre Bürger seit Jahrzehnten drangsalierten. Jeder Inder kann davon ein Lied singen. All das will Premier Modi bekämpfen. Er fordert Pünktlichkeit und Disziplin und gilt selbst als emsiger Arbeiter. Gelegentlich soll er seine Minister sogar auf dem Festnetz im Büro anrufen, nur um zu sehen, ob sie auch bei der Sache sind.

Der bürokratische Filz hat viele Geschäfte in Indien im Keim ersticken lassen

So einen also haben sich viele Inder als starken Mann an der Spitze ersehnt. Aber hält er auch, was er verspricht? 100 Tage ist Premier Modi nun im Amt, und Indiens Medien analysieren schon seit Tagen, was der neue Regierungschef geleistet hat und was noch alles vor ihm liegt. Die Erwartungen an diesen Mann, der zuvor zwölf Jahre lang den Bundesstaat Gujarat regierte, sind so gewaltig, dass Analysten zur Geduld mahnen. 100 Tage - was sind das schon in einem Reich wie dem indischen, von dem es oft hieß, dass es zu schnellen Wendungen nicht fähig sei, dass es nicht ansetzen könne zum Sprung wie all die Tigerstaaten, die weiter östlich aufgestiegen sind?

Wie schwerfällig ist also der indische Riese? Kann nicht auch ein Elefant mal spurten, wenn es sein muss? Darüber sind sich die Analysten noch nicht einig. Die Zeitung Hindustan Times bemühte indes ein Bild vom Hockey, um die Wirtschaftspolitik Modis zu beschreiben. Sie sieht ihn also beim "harten Dribbling in Richtung Netz". Darin schwingt die Zuversicht mit, dass der Ball schon im Tor landen wird, Indien sich also Wachstum und Jobs sichern kann.

Modi verweist stolz darauf, dass die Wirtschaft seit April um 5,7 Prozent gewachsen ist - ein deutlich höherer Zuwachs als in den zwei Jahren zuvor. Analysten haben aber auch nicht übersehen, dass der Premier einen drastischen Umbau der Wirtschaft noch nicht angestoßen hat. Offenbar reichen seine ersten Schritte aus, um den Indern den Eindruck zu vermitteln, dass die ökonomische Wende zu schaffen ist. Ausländische Direktinvestitionen für den Eisenbahnbau und die Rüstung hat Modi schon erleichtert, und die Unternehmerschaft rechnet damit, dass das erst der Anfang war.

"Die Wahrnehmung Indiens bei ausländischen Investoren wandelt sich", sagt Takehiko Nakao, Präsident der Asiatischen Entwicklungsbank. Was nicht automatisch bedeute, dass Enttäuschungen der Vergangenheit schon vergessen seien. Das ist eine höfliche Umschreibung für den bürokratischen Filz, der so viele Geschäfte in Indien bislang im Keim erstickte. Auf anderen Gebieten schreitet Modi rascher voran als in der Wirtschaft: "Erst die Toiletten, dann die Tempel" - mit diesem Slogan zog der Hindunationalist im Wahlkampf durch das Land. Und seine Offensive für bessere Hygiene, die er nun zügig anstößt, ist ohne Zweifel überfällig in einem Land, in dem weniger als die Hälfte der Bevölkerung die Möglichkeit haben, eine Toilette aufzusuchen. In manchen Bundesstaaten sind nur zwei von zehn Häusern entsprechend ausgestattet, was Millionen indischen Frauen täglich Qualen bereitet. Sie müssen bis zum Einbruch der Nacht warten, um sich dann im Freien zu erleichtern. Dann sind sie besonders gefährdet, Opfer sexueller Gewalt zu werden.

Was lange als Tabuthema galt, hat Modi in seiner Rede am Unabhängigkeitstag, dem 15. August, nicht umgangen. "Manche werden sich denken: Was ist das für ein Premier, der über Sauberkeit und Toiletten spricht?" Innerhalb eines Jahres sollten alle Schulen nun Toiletten bekommen, mit eigenen Abteilungen für Mädchen. So verspricht es Modi. Auch die sexuelle Gewalt gegen Frauen prangert er an, sie habe Schande über Indien gebracht. Und er mahnte alle Eltern, auf ihre Söhne einzuwirken, damit solche Exzesse künftig nicht mehr geschehen. Modi drückt sich also nicht herum um das Thema, das viele andere Politiker stets verharmlosen.

Außerdem will er, dass die Inder aufräumen in ihren Städten und Dörfern: Schluss soll sein mit dem Müll in den Straßen, und auch den Ganges will er reinigen lassen, die Mutter Indiens, den heiligen Fluss, in den jedes Jahr Millionen Hindus eintauchen, um sich rituell zu reinigen.

Ist mit Premier Modi also alles auf gutem Wege? Ganz so einfach liegen die Dinge nicht. Sein Aufstieg mag immer noch viele Geschäftsleute begeistern, aber es ist noch zu früh, um zu beurteilen, ob ihm die ökonomische Wende tatsächlich gelingen wird. Außerdem machen sich unter Modi all jene Sorgen, die um die religiöse und kulturelle Toleranz in Indien fürchten. Sie beklagen, dass Hardliner innerhalb von Modis Partei BJP immer wieder Stimmung machten gegen die Muslime. "Das ist die beunruhigende Seite der Modi-Regierung", sagt die Kolumnistin Neerja Choudhry in Delhi der SZ.

Rechtsnationalisten verbreiten Gerüchte über einen hinterhältigen "Love Dschihad" der Muslime

Im Bundesstaat Uttar Pradesh hat die Zahl religiöser Zusammenstöße seit Mai erheblich zugenommen, wie Recherchen des Indian Express ergaben. "Modi hat sich zu den Fällen nicht geäußert", sagt Choudhry. Dass der Premier am Unabhängigkeitstag erklärte, Indien habe genug religiöse Konflikte gesehen und dass er ein Moratorium von allen forderte, um die Gewalt zu stoppen, reicht nach Ansicht der Analystin nicht aus, um die Gefahren zu bannen.

Unter Modi haben hindunationalistische Sittenwächter Auftrieb bekommen, sie besetzen Ämter in Hochschulen und kulturellen Einrichtungen. Mohan Bhagwat, Chef des nationalen Freiwilligenkorps Rashtriya Swayamsevak Sangh, kurz RSS genannt, gibt die Richtung vor: "Die kulturelle Identität aller Inder ist Hindutva", verkündet er. Hindutva bedeutet so viel wie Hindutum und wird als religiös-nationale Erweckungsbewegung verstanden. Sie irritiert die religiösen Minderheiten, von denen die Muslime mit fast 200 Millionen Menschen die größte Gruppe bilden. Sie fürchten eine zunehmende Dominanz rechtsnationaler Ideologen, die sich nicht scheuen, Spannungen mit billigen Klischees zu schüren. So sprechen Kräfte in RSS und BJP gerne vom "Love Dschihad" und warnen Hindus, Muslime seien stets darauf aus, ihre Töchter zu rauben und sie zur Konversion zum Islam zu zwingen. "Es wäre gut, wenn Modi solche Kampagnen verurteilen würde", sagt Choudhry. Jetzt, wo er Indiens starker Mann ist.

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SZ vom 03.09.2014
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