Indiens neuer Ministerpräsident:Der Vater des Wirtschaftswunders

Er wurde in ärmlichen Verhältnissen geboren und gehört einer Minderheit an. Indiens neuer Regierungschef Manmohan Singh kämpfte sich gegen alle Widerstände ins höchste Staatsamt. Als Finanzminister machte Singh Indien zur Wirtschaftsmacht in Asien, jetzt muss er den neuen Reichtum des Landes gerechter verteilen.

Über 5000 Parteianhänger versammelten sich vor dem Haus der überraschenden Wahlsiegerin Sonia Gandhi, doch alles bitten und betteln half nichts: Die 57-jährige Witwe des ermordeten früheren Ministerpräsidenten Rajiv Gandhi hat ihren Rückzug von der Parteispitze und dem künftigen Ministerpräsidentenamt bekräftigt.

Indiens neuer Ministerpräsident: Die Papiere der Macht: Indiens neuer starker Mann, Manmohan Singh (daneben Sonia Gandhi), mit seiner Regierungsurkunde.

Die Papiere der Macht: Indiens neuer starker Mann, Manmohan Singh (daneben Sonia Gandhi), mit seiner Regierungsurkunde.

(Foto: Foto: AP)

Grund dafür sei die Medienkampagne der politscher Gegner gegen ihre italienische Herkunft. Statt Sonia Gandhi wird nun der frühere Finanziminster Manmoha Singh neuer indischer Regierungschef.

"Als die Börse Wind davon bekamen, dass Sonia Gandhi vielleicht doch nicht Ministerpräsidentin wird, war das der größte Auftrieb überhaupt", sagt der Analyst Sindhu Sameer in Bombay. "Manmohan Singh ist das Aushängeschild für Reformen in Indien."

Singh gilt als zutiefst ehrlicher Mann - in einem Land, in dem die Politik oft von Korruption überschattet wird. Er ist als Sikh der erste indische Ministerpräsident, der einer Minderheit angehört. Bislang waren alle Regierungschefs Hindus.

Der Armut entkommen

Der 71-Jährige wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Punjab auf, schaffte es später jedoch, mit einem Stipendium in Oxford Wirtschaftswissenschaften zu studieren und seinen Doktor zu machen.

Er gilt als Technokrat, der in weiten Kreisen Respekt genießt, und ist ein enger Vertrauter Gandhis. Er hatte schon eine Reihe von nachrangigen Regierungsämtern inne, ehe er 1991 überraschend zum Finanzminister ernannt wurde. Damit begann ein Reformprogramm, das Indien in den kommenden fünf Jahren entscheidend voranbrachte. Er verabschiedete er sich damals vom weitgehend sozialistischen Wirtschaftskurs früherer Regierungen.

Singh verfügte eine Abwertung der Rupie, strich Subventionen für heimische Produktionsgüter und privatisierte einige Staatsbetriebe. Vor allem aber baute er die bürokratischen Hemmschuhe für Privatunternehmer ab. Zuvor musste praktisch jede Geschäftstätigkeit von der Regierung genehmigt werden. Die Kehrtwende kam in Indien fast schon einer Revolution gleich, die sich jedoch langfristig auszahlte. Nach jahrzehntelanger Stagnation verzeichnet die indische Wirtschaft zurzeit ein Wachstum von mehr als acht Prozent.

Das Wirtschaftswunder, das viele Inder nicht spüren

Das Wirtschaftswunder ist jedoch nicht bei allen Indern angekommen. Das hat die hinduistisch-nationalistische Regierung von Atal Bihari Vajpayee zu spüren bekommen. Aufbauend auf den Reformen, die Singh eingeleitet hat, warb sie im Wahlkampf für die Vision einer globalen Wirtschaftsmacht und wurde von den Wählern dafür abgestraft.

Trotz des steigenden Pro-Kopf-Einkommens leben immer noch mehrere hundert Millionen Inder in großer Armut, und in vielen Dörfern gibt es auch heute noch keine Elektrizitäts- und Wasseranschlüsse oder eine medizinische Grundversorgung. Singh wird all seine volkswirtschaftliche Expertise brauchen, um diese Probleme zu lösen.

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