Indiens erfolgreicher Test:Mit Raketen gegen die Selbstzweifel

Indiens nukleare Aufrüstung richtet sich nicht gegen Pakistan, nicht gegen Europa, sondern gegen China. Die Interkontinentalrakete wird das gesamte chinesische Territorium erreichen können. Indien sendet damit in einem überaus ungleichen Kräftemessen ein Signal aus und demonstriert seine wachsende Stärke. Der Sicherheit in der Region ist das nicht dienlich.

Tobias Matern

Ein Land will in den exklusiven Klub, und nun ist der Zutritt geebnet: Indien hat erstmals in seiner Geschichte eine atomwaffenfähige Langstreckenrakete mit einer Reichweite von mehr als 5000 Kilometern getestet. Es schließt damit zu den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen auf, die über diese Fähigkeit verfügen. Delhi geht es dabei ausnahmsweise einmal nicht um ein eindeutiges Signal an seinen Erzrivalen Pakistan, zu dem sich die Beziehungen in den vergangenen Monaten ein wenig verbessert haben.

Indien feiert Tag der Republik

Parade des indischen Militärs zum Tag der Republik (2010): Das Land hat trotz krasser sozialer Probleme zuletzt sein Militärbudget um satte 17 Prozent erhöht hat.

(Foto: dpa)

Es handelt sich natürlich auch nicht um einen Affront gegenüber Europa, obwohl die Agni V theoretisch auch Ziele dort erreichen könnte. Die nukleare Aufrüstung des südasiatischen Landes richtet sich gegen China. Der Abstand zum Nachbarn ist auf militärischer Ebene allerdings weiterhin groß.

Die Regierung in Delhi möchte zumindest ein Stück aufschließen. Die Interkontinentalrakete wird, besteht sie weitere Tests, das gesamte chinesische Territorium erreichen können. Indien sendet damit - in einem überaus ungleichen Kräftemessen - ein Signal aus und demonstriert seine wachsende Stärke.

China gibt immer noch mehr als doppelt so viel Geld für sein Militär aus, auch wenn Indien die Liste der Waffenimporteure inzwischen anführt und trotz krasser sozialer Probleme sein Militärbudget zuletzt um satte 17 Prozent erhöht hat. Der Raketentest belegt so auch: Das Wettrüsten in Asien nimmt bedenkliche Züge an.

Die neuen Wirtschaftsmächte der Region bauen wie selbstverständlich an ihren Armeen, Flotten und nuklearen Kapazitäten. Wer mit dem Ende des Kalten Krieges den Ausklang des Atomzeitalters erträumt hatte, wird von der Realität eingeholt, und die beiden zentralen Akteure China und Indien schreiten dabei voran. Die regional etablierten und global aufstrebenden Großmächte setzen auf atomare Abschreckung. Das hat Indien mit dem Test unterstrichen.

Indien, Amerikas wichtigster Partner in der Region, schwenkt somit auf einen konfrontativeren Kurs gegenüber China ein. Nur: China könnte schon jetzt mit seinem Arsenal an Atomwaffen jeden Ort in Indien treffen. Und bei aller Rivalität - Peking und Delhi pflegen, von einigen Grenzstreitigkeiten abgesehen, bislang durchaus vernünftige Beziehungen. An diesem Status wird auch der indische Raketentest zunächst einmal nichts ändern.

Die unmittelbaren Reaktionen aus Peking fielen denn auch recht gemäßigt aus. Aber die langfristigen Folgen des Rüstungswettlaufs könnten die Region nachhaltig verändern. Grundsätzlich besteht die Gefahr, dass jeder Raketentest eine Antwort nach sich zieht und das Rüsten ungezügelte Formen annimmt.

Beständige Selbstzweifel

Die Volksrepublik China sieht nach wie vor in den Vereinigten Staaten ihren wichtigsten Rivalen - und in Indien eher einen Nachbarn, der zwar Ambitionen verfolgt, sich aber auch leicht einschüchtern lässt.

So wird Indien von beständigen Selbstzweifeln geplagt, der chinesischen Übermacht im Ernstfall nicht gewachsen zu sein. Der erfolgreiche Raketentest löst deshalb in Indien Stolz aus und mehr noch Erleichterung. Von militärischem Großmachtgehabe ist Delhi glücklicherweise aber weit entfernt, es betont immer wieder, keine Erstschlagsdoktrin zu verfolgen.

Natürlich hätte Indien mit seinen 1,2 Milliarden Einwohnern, das China bald als bevölkerungsreichste Nation der Welt ablösen wird, angesichts massiver sozialer Probleme eine bessere Verwendung für die gut 500 Millionen Dollar, die in die Entwicklung der Agni V geflossen sind. Solche Rechnungen werden öffentlich aber nicht aufgemacht. Stattdessen dient das klassische Argument der Abschreckung als Rechtfertigung für alle Anstrengungen.

Für die Vereinigten Staaten eröffnet Indiens Aufrüstungskurs indes weitere Spielräume. In Washington wurde der Raketentest gewiss mit heimlichem Wohlwollen verfolgt. Präsident Barack Obama hat seinen außenpolitischen Schwerpunkt erst jüngst in den asiatisch-pazifischen Raum verlagert. Auch diese Strategie soll der regionalen Eindämmung des großen Rivalen China dienen.

Für dieses Ziel brauchen die USA Partner. Indien steht auf der Liste der asiatischen Verbündeten ganz oben - wegen seiner Größe, seiner Lage und auch der ideologischen Ausrichtung. Dass Obama bei seinem Besuch in Delhi schon im vorvergangenen Jahr Indien attestierte, zur Weltmacht aufgestiegen zu sein, war nicht nur eine auffällige Schmeichelei. Das Kompliment war von der Absicht getragen, sich in einer spannungsreichen Region einen strategisch zentralen Partner zu sichern.

Die Welt im 21. Jahrhundert wird stärker von Asien geprägt sein, alle Indikatoren weisen darauf hin. Sicherer wird die globale Ordnung dadurch indes nicht. Die alte Bipolarität ist durch eine zunehmend multipolare Kräfteverteilung abgelöst worden, die asiatischen Mächte flankieren ihre Ambitionen dabei zunehmend mit Raketen und einer stärkeren Fokussierung auf das Militär.

Ein Ende des Aufrüstens lässt sich nicht ausmachen. Selbst wenn die USA es wollten, ihr Einfluss in Asien würde nicht mehr ausreichen, sich dieser Entwicklung entgegenzustemmen.

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