Indien:Verrat an den Gründern

Indien gilt als größte Demokratie der Welt. Aber die Regierung in Delhi gefährdet mit ihrem brachialen Kurs gegen die muslimische Minderheit die Stabilität im Land.

Von Arne Perras

Indien gilt als größte Demokratie der Welt. Nur dass der Staat seinem Ruf in diesen Zeiten leider keine Ehre macht. Die Regierung in Delhi vermittelt vielmehr den Eindruck, dass sie mit brachialen Mitteln versucht, ein ganzes Land nach ihren kulturell-religiösen Vorstellungen zu formen, koste es, was es wolle. Der große Plan heißt "Hindutva". Er läuft auf die Schaffung eines Hindu-Staates hinaus, in dem die religiöse Mehrheit den Ton angibt, in dem Minderheiten kuschen müssen und zu Bürgern zweiter Klasse degradiert werden - wenn sie überhaupt noch eine Chance bekommen, dazuzugehören.

Dieses Indien der Hindu-Ideologen verrät die Ideale der Gründerväter, deren bekanntestes Gesicht Mahatma Gandhi war. Als die Freiheitskämpfer ihr Land vor mehr als 70 Jahren in die Unabhängigkeit führten, schufen sie einen Staat, der allen Religionen eine Heimat bot. Keine Gruppe sollte sich ausgeschlossen fühlen. Jetzt ist das Fundament der pluralistischen Gesellschaft in Gefahr. Die Regierung hat ein Gesetz durchs Parlament gebracht, das Muslime diskriminiert. Es treibt viele Inder auf die Straße, die um den inneren Frieden fürchten.

Premier Narendra Modi hat den breiten Widerstand, dem sich nicht nur Muslime anschließen, unterschätzt. Die Antwort des Staates auf die Proteste wirkt fragwürdig. Vielerorts wurde das Internet abgeschaltet, die Regierung hat Mühe, Vorwürfe von überzogener Polizeigewalt gegen Studenten und friedliche Demonstranten zu entkräften. Und immer wieder wird ein drakonisches Versammlungsverbot verhängt, das noch aus der Werkzeugkiste britischer Imperialisten stammt. Das alles schürt Zweifel am Demokratieverständnis des regierenden Lagers in Delhi.

In ihrer Hybris haben die Architekten eines Hindu-Staates Indien in eine gefährliche Lage manövriert. Seit Jahren schüren sie Hass auf Andersdenkende, betreiben eine Politik der Spaltung. Das neue Staatsbürgergesetz, das die Regierung als humanitäre Geste preist, ist explosiv, weil es Migranten aus der Nachbarschaft nach Religion sortiert. Es erleichtert die Einbürgerung von Hindus, Sikhs, Parsen, Jains, Christen und Buddhisten - Muslime aber bleiben ausgeschlossen.

Wenn die Hindu-Ideologen die Muslime weiter ausgrenzen, wächst die Gefahr von Gewalt

Das beunruhigt nun sogar jene Muslime, die in Indien geboren wurden. Denn der Staat plant gleichzeitig, ein nationales Staatsbürgerregister zu erstellen. Gerade in ärmeren Schichten sind die Sorgen groß, sie könnten durchs Raster fallen, wenn sie bestimmte Papiere nicht vorweisen können. Viele haben Angst, sie könnten in die Staatenlosigkeit driften, zumal es ein abschreckendes Beispiel gibt: Im Bundesstaat Assam wurde ein solches Bürgerregister bereits erstellt, mit dem Ergebnis, dass die Zukunft von zwei Millionen Menschen, die nicht auf der Liste stehen, düster ist.

Die Zentralregierung wirkt nervös, sie sendet widersprüchliche Signale aus. Die Lage ist verfahren, weil Delhi das Gesetz, das Muslime benachteiligt, nicht ändern will. Zwischen den Fronten von Polizisten und Demonstranten sind schon zwei Dutzend Menschen gestorben. Noch viel gefährlicher aber wird es, wenn Brandstifter beginnen, Hindus und Muslime direkt gegeneinander auszuspielen. Die Gefahr steigt von Tag zu Tag, solange die Regierung nicht glaubwürdig vermitteln kann, dass sie ihre schützende Hand über wirklich alle Inder hält.

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