Frauen. Natürlich ging es auch um Frauen. Und der Eklat ließ nicht lange auf sich warten, als der Gast aus Afghanistan eingeschwebt war in Indiens Hauptstadt Delhi. Amir Khan Muttaqi, Außenminister der international nicht anerkannten Taliban-Regierung in Kabul, schaffte es auch außerhalb seiner afghanischen Herrschaftszone, ein deutliches Zeichen seiner Weltsicht zu setzen: Zur ersten Pressekonferenz waren keine Frauen geladen; einerseits kaum überraschend, anderseits ein Signal, das doch Empörung auslöste in indischen Medien.
Der Indian Express publizierte den Kommentar der afghanischen Journalistin Zahra Nader, die in Kanada lebt: „Frauen auszuschließen, ist das bestimmende Merkmal der Taliban-Herrschaft“, schrieb sie, weshalb es kaum ein Zufall gewesen sein könne, dass keine weiblichen Reporter geladen waren. Angesichts des Aufschreis wurde hastig eine zweite Pressebegegnung angesetzt, diesmal mit Frauen. Der Minister sagte, es sei zuvor ein „technischer Fehler“ unterlaufen, ansonsten wand er sich um Fragen nach der Bildung für Frauen herum, behauptete, diese sei gar nicht verboten, was viele betroffene Afghaninnen als Hohn empfinden dürften.
Sechs Tage lang reiste der Taliban-Minister durch Indien, dafür hatte der UN-Sicherheitsrat eine Ausnahmegenehmigung erteilt, beantragt von Indien. Seit der Machtübernahme 2021 ist das islamistische Regime in Kabul mit umfassenden Sanktionen belegt, die im Falle Indiens nun durchbrochen wurden. Die Motive für die temporäre Reiseerlaubnis sind vom UN-Sicherheitsrat nicht benannt worden, es wird spekuliert, ob westliche Staaten womöglich auf Indien setzen, um zumindest ein Minimum an humanitärer Hilfe für Afghanistan zu leisten, ohne selbst direkt involviert zu werden.
Nach wie vor ist es Mädchen in Afghanistan verboten, weiterführende Schulen zu besuchen
Der Taliban-Minister kann diesen Trip als Erfolg verbuchen, „der Besuch bedeutet eine Aufwertung im internationalen Kontext“, sagt Christian Wagner, Südasienexperte an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Und sie fällt in eine Zeit, in der die Taliban zu Hause vor einem Berg von Problemen stehen: Der wirtschaftliche Druck ist immens, etwa jeder dritte Mensch in Afghanistan leidet nach UN-Angaben akut unter Hunger, internationale Mittelkürzungen, wie sie vor allem von US-Präsident Donald Trump betrieben werden, verschärfen die Lage zusätzlich.
Doch die Taliban zeigen trotz der Not kaum Bemühungen, der internationalen Gemeinschaft entgegenzukommen. Nach wie vor ist es Mädchen verboten, weiterführende Schulen zu besuchen, werden Frauen aus dem öffentlichen Leben gedrängt. Russland hat die Taliban-Regierung trotzdem als erstes Land im Sommer offiziell anerkannt, knapp vier Jahre nach der Machtübernahme der Islamisten in Kabul. Auch China pflegt vor allem auf wirtschaftlicher Ebene enge Kontakte zu den Islamisten. So weit gehen die westlichen Staaten, die 2021 gedemütigt nach 20 Jahren Einsatz das Land verlassen haben, noch nicht.
US-Präsident Donald Trump hatte jüngst öffentlich davon gesprochen, dass die USA gerne wieder den Luftwaffenstützpunkt Bagram nutzen würden. Die strategische Lage unweit Irans weckt Amerikas Begehrlichkeiten, doch die Taliban zeigten dem US-Präsidenten die kalte Schulter. Auch die Bundesregierung hat die vollständige Isolation der Taliban-Regierung aufgegeben. Zwar pflegt Berlin keine umfassenden Beziehungen zum Regime. Jüngst waren aber Beamte aus Berlin in Kabul zu Besuch, um mit den Taliban über Abschiebungen straffällig gewordener Afghanen in ihre Heimat zu sprechen.
In Islamabad wird oft unterstellt, dass Widerstandsgruppen in Pakistan mit indischer Unterstützung agierten
Aus indischer Sicht dürften vor allem strategische Überlegungen den Besuch befördert haben. Zunächst ist da der Erzrivale Pakistan, der – historisch gesehen – enge Verbindungen nach Afghanistan pflegt, jüngst aber mit Attacken der pakistanischen Taliban TTP konfrontiert war, die Rückzugsräume in Afghanistan haben. Es kam zu blutigen Gefechten, was das Verhältnis zwischen Islamabad und Kabul belastet.
Pakistan hat die TTP als Terroristen geächtet, die versuchten, die Regierung zu stürzen. Indien sieht offenbar Raum, diesen Zwist zu nutzen, um sich den Taliban in Kabul anzunähern und damit Pakistans Einfluss zu schwächen. In Islamabad wird generell oft unterstellt, dass Widerstandsgruppen in Pakistan mit indischer Unterstützung agierten, genauso wie Indien seinerseits Pakistan vorhält, es bringe Terroristen in Kaschmir in Stellung. Angesichts der schwierigen Sicherheitslage lassen sich solche Vorwürfe schwer unabhängig verifizieren.
„Ein weiteres Motiv Indiens könnte darin liegen, dem chinesischen Einfluss in Afghanistan ein Gegengewicht zu setzen“, sagt der Experte Wagner. Wichtige Verbindungen und Verbündete sind Indien in jüngerer Zeit weggebrochen, allen voran die Regierung in Bangladesch, nach dem Sturz der Autokratin Sheikh Hasina, einer engen Verbündeten. Unruhen in Nepal erzeugen Unsicherheit, welche Richtung eine künftige Regierung dort nehmen könnte, auch dort hat Delhi starkes Interesse daran, dass Kathmandu nicht unter wachsenden Einfluss Pekings gerät. In Sri Lanka wiederum regiert ein linkes Regime, das sich zumindest in seiner ideologischen Ausrichtung nicht als enger Partner Indiens anbietet.
Delhi plant, seine Vertretung in Kabul zur Botschaft aufzuwerten
Indien hat also viele Gründe, Beziehungen zu seiner Nachbarschaft zu verbessern. Geografisch ist Afghanistan ein lockendes Ziel, nicht nur, um Pakistan in Schach zu halten, sondern auch, um längerfristig Wege für den Handel nach Zentralasien zu öffnen.
Gleichzeitig war kaum zu übersehen, welche Widersprüche der Besuch offenlegte. Denn hier rollte eine hindunationalistische Regierung, die Vorwürfen ausgesetzt ist, Muslime im eigenen Land zu marginalisieren, einem radikal-islamistischen Vertreter aus dem Ausland den Teppich aus, gab ihm die große Bühne. Bizarr wirkte auf viele, dass der Gastgeber den Talib Muttaqi sogar zum islamischen Seminar Dar ul-'Ulum Deoband chauffierte, jenem Ort, an dem im 19. Jahrhundert der ideologische Boden für spätere radikale sunnitische Bewegungen in Pakistan und Afghanistan bereitet wurde.
Delhi plant, seine Botschaft in Kabul wiederzueröffnen; es wäre das erste demokratisch verfasste Land, das dem Taliban-Regime zu mehr Legitimation verhelfen würde. Und einen Ertrag des umstrittenen Flirts mit Kabul hat Delhi bereits eingestrichen. In einer gemeinsamen Erklärung zum Besuch tragen die Taliban eine Formulierung mit, wonach Jammu und Kaschmir zu Indien gehört. Pakistan hat diese Zuordnung mit Hinweis auf ein fehlendes Referendum immer abgelehnt – und protestierte umgehend.

