Cyber-Kriminalität:Sklaverei ohne Grenzen

Lesezeit: 3 Min.

Die Tastatur als Tatort: Die Opfer werden gezwungen, mit gefälschten Social-Media-Profilen andere Menschen in die Falle zu locken. (Foto: Nicolas Armer/dpa)

Das Innenministerium in Delhi schlägt Alarm, weil fast 30 000 Inderinnen und Inder in Betrugsfabriken in Myanmar, Kambodscha und Laos festgehalten werden sollen. Aber wie kommen die dorthin?

Von David Pfeifer, Bangkok

Erst wird per Chat Vertrauen aufgebaut, dann die große Liebe angeboten, oder auch nur eine Methode, wie man mit Krypto-Anlagen Geld verdienen könnte. Am Ende ist alles weg. So oder ähnlich wird armen Menschen in Südostasien das Geld abgenommen, meistens von anderen armen Menschen, die in Betrugsfabriken gehalten werden wie Sklaven. Die Fabriken stehen in Kambodscha, Laos und im kriegszerrütteten Myanmar. Die Sklaven aber kommen von überallher.

So meldete das Innenministerium in Delhi zu Beginn dieser Woche, dass 29 466 Inder, die zwischen Januar 2022 und Mai 2024 mit einem Besuchervisum nach Kambodscha, Thailand, Myanmar und Vietnam reisten, nicht zurückgekehrt sind. Mehr als die Hälfte dieser vermissten Personen sind zwischen 20 und 39 Jahre alt, mehr als zwei Drittel sind männlich. Gebildete und computererfahrene junge Menschen werden derzeit gezielt über soziale Medien gelockt, sich für hoch bezahlte Jobs in Bereichen wie Marketing und Devisenhandel zu bewerben. Die kostenlose Reise zum neuen Arbeitsplatz sowie Mahlzeiten und Unterkunft sollen einen zusätzlichen Anreiz bieten. Gerade der indische Arbeitsmarkt kann die vielen hoch qualifizierten jungen Menschen gar nicht aufnehmen, die jedes Jahr aus den Unis kommen. Also suchen viele ihr Glück im Ausland.

Der Menschenhandel wird weitgehend von chinesischen Banden organisiert

Die Reise geht häufig zuerst nach Bangkok, von dort werden die Leute in Bussen über die Grenze gebracht und in befestigten Anlagen mit bewaffneten Sicherheitskräften abgeladen. Ihre Pässe werden ihnen abgenommen, und sie müssen die Betrugstechniken lernen, die sie dann 14 oder mehr Stunden am Tag an ihren Landsleuten anwenden sollen. Der Indian Express berichtete am Montag, dass die Betrugsunternehmen von ihnen verlangen, gefälschte Social-Media-Profile zu erstellen, oft mit Bildern von Frauen, um ahnungslose Personen in betrügerische Kryptowährungsprogramme zu locken. Sobald die Zielperson investiert hat, wird sie entweder blockiert oder geghostet, wie man das heute nennt.

Opfer sind aber auch diejenigen, die sie ausnehmen. Denn wenn die ihre Quoten nicht erfüllen, werden sie bestraft. Diejenigen, die aus den Cyberbetrugsfabriken entkommen, berichten von Prügel, Elektroschocks, Wasserfolter und sexueller Gewalt. Der Menschenhandel für die Cyberscams wird weitgehend von chinesischen Banden organisiert, der Bürgerkrieg in Myanmar und die Pandemie waren Treiber dieser Entwicklung. China isolierte sich von der Welt, und auch das organisierte Verbrechen war plötzlich abgeschnitten vom internationalen Markt. Die Gangster suchten nach neuen Einnahmequellen und entdeckten Online-Casinos und Cyberbetrug für sich, vor allem in den grenznahen Regionen von Myanmar und Laos. Hier standen genügend Räumlichkeiten leer, stillgelegte Kasinos, Hotels oder ganze Bürotürme in Sonderwirtschaftszonen, die nicht genutzt wurden.

Die Länder liegen im Korruptionsindex ganz hinten

Verschlimmert wird die Lage durch das Fehlen von Rechtsstaatlichkeit. Es ist kein Zufall, dass die Länder, in denen am meisten Betrügereien stattfinden, im Korruptionsindex 2022 von Transparency International auf den hintersten Plätzen liegen – von 180 Ländern belegt Laos Platz 126, Kambodscha Platz 150 und Myanmar Platz 157.

Das Problem ist nun auch in Delhi erkannt worden, wo mittlerweile viele der Verschleppten herkommen. Es wurde eine Taskforce gegründet, die alle Einzelheiten über die vermissten Personen sammeln soll. Die Einwanderungsbehörde wurde dazu aufgefordert, die Mechanismen zur Identifizierung potenzieller Opfer zu verbessern, bevor diese das Land verlassen.

Das „Zentrum zur Koordinierung der Cyberkriminalität“, eine Abteilung des Innenministeriums in Delhi, hat einen erheblichen Anstieg von Cyberscams festgestellt. Seit Januar 2023 wurden auf dem nationalen Meldeportal etwa 100 000 Beschwerden eingereicht. Jeremy Douglas, Regionalvertreter des Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung der Vereinten Nationen, hatte bereits Anfang des Jahres bei einer Informationsveranstaltung in Bangkok gesagt: „Wir werden im Jahr 2024 einen Anstieg dieser Form der Kriminalität sehen, und sie wird internationaler werden.“ Die Cyberkriminalität werde bald sogar dem Drogenhandel im Mekongdelta den Rang ablaufen. Doch die betroffenen Länder, alle eigentlich in der Asean-Staatengemeinschaft miteinander verbunden, haben bisher keine Idee, wie sie der neuen Bedrohung gemeinsam begegnen sollen. Vielleicht hilft es, wenn der Druck nicht mehr nur aus Peking kommt, sondern auch aus Delhi.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusBangladesch
:Revolution, Katastrophe und Billigmode

Erst kam der politische Umsturz, dann die Flut. Darf man jetzt eigentlich noch Kleidung aus Bangladesch kaufen? Ein Besuch zeigt: Vor allem die Näherinnen und ihre Familien wären ohne die Textilindustrie aufgeschmissen.

Von David Pfeifer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: