Indien:Probleme mit den Nachbarn

Indien: Überwältigende Aussicht auf eine konfliktreiche Umgebung: Indischer Soldat hält am Nastachun-Pass in der Region Kaschmir Wache.

Überwältigende Aussicht auf eine konfliktreiche Umgebung: Indischer Soldat hält am Nastachun-Pass in der Region Kaschmir Wache.

(Foto: Money Sharma/AFP)

Indien liegt geografisch in heikler Umgebung. Gerade gibt es wieder Gewalt in Kaschmir. Daneben wird China zunehmend als Bedrohung empfunden. Die Regierung in Delhi rüstet kräftig auf.

Von David Pfeifer, Bangkok

Es lohnt sich, die Welt einmal aus Kalkutta zu betrachten, wenn man ein Gefühl für Indien und seine vielen Nachbarn bekommen möchte. Von dort ist es nicht mehr weit nach Bangladesch, 166 Millionen Einwohner. Ein kleiner Streifen Indien streckt sich weiter bis an die Grenze zu Myanmar. In Richtung Norden erreicht man irgendwann den Himalaja und darüber theoretisch China, 1,3 Milliarden Einwohner. Nach Westen würde man nach Pakistan gelangen, etwa 225 Millionen Einwohner.

Es ist keine einfache Nachbarschaft: in Myanmar herrscht Bürgerkrieg, seitdem die Junta Anfang Februar 2021 über Nacht die Macht an sich gerissen hat. Wer sich vor der Militärdiktatur retten will, kann nur nach Thailand, Bangladesch oder eben Indien flüchten. Auf der anderen Seite liegt Pakistan, der verfeindete Bruderstaat, seit der Trennung von Britisch-Indien im Jahr 1947. Damals entbrannte auch der Streit um Kaschmir. Truppen beider Länder marschierten ein, das Ergebnis war die faktische Teilung Kaschmirs und ein Konflikt, der bis heute andauert und immer wieder eskaliert. Zementiert wurde die Feindschaft mit Pakistan, als sich Bangladesch, damals noch als Ost-Pakistan bekannt, in einem blutigen Bürgerkrieg 1971 von West-Pakistan löste, das damals von den USA unterstützt wurde. Indien wiederum unterstützte das heutige Bangladesch, auch mit russischem Militärgerät, und suchte das Bündnis mit Russland.

China wird als wachsende Bedrohung empfunden

Und dann wären da noch die Chinesen, bis 1950 nicht einmal Nachbarn. Doch nach der Einnahme Tibets eine wachsende Bedrohung, mit einer langen Demarkationsgrenze im Gebirge, der sogenannten Line of Actual Control (LAC), an der es seit zwei Jahren immer wieder zu Zwischenfällen kommt. Damals fing die chinesische Seite an, "Indien als nicht mehr neutral zu bezeichnen, wegen der Nähe zu den USA", wie der frühere indische Sicherheitsberater Shivshankar Menon 2021 in einem SZ-Interview sagte. "Die chinesische Seite versucht nun, die Linien zu verschieben, die Soldaten sind in Gebiete vorgedrungen und haben Posten errichtet, wo vorher niemand war. Vermutlich wollen sie eine Infrastruktur aufbauen, um sich dauerhaft festzusetzen." Auf mehr als 4000 Metern Höhe, wo es außer Fels und Eis nichts zu verteidigen gibt.

Die bislang letzten Scharmützel gab es am 9. Dezember. Die chinesischen Truppen, so wird es immer wieder kolportiert, übertreten ihren Bereich, dann kommt es zu Prügeleien mit Steinen und Knüppeln. Traditionell wird in der Gegend unbewaffnet patrouilliert. In Delhi forderte die Opposition laut der Zeitung The Tribune mehrmals eine Aussprache zu diesem Konflikt, doch die Regierung unterbindet das und rechtfertigt die chinesischen Feindseligkeiten mit unterschiedlichen Wahrnehmungen der LAC. Das ist eine erstaunlich passive Auslegung. Die oppositionelle Kongress-Partei fragte scharf nach: "Wenn die Beziehungen zu China nicht normal sind, warum haben wir dann nie den chinesischen Botschafter angerufen und eine Demarche ausgesprochen, wie wir es mit dem pakistanischen Hochkommissar tun? Und warum ist unsere Handelsabhängigkeit von China mit Importen von 95 Milliarden Dollar und einem Handelsdefizit von 74 Milliarden Dollar auf einem Rekordhoch?"

Das sind berechtigte Fragen, denn Delhi versucht, die Aggressionen Pekings seit zwei Jahren mit einer Abkopplungskampagne zu beantworten, viele Warenimporte wurden gestoppt, mehr als 30 Apps, darunter die beliebte Social-Media-Anwendung Tiktok, wurden gesperrt. Bislang ohne Erfolg. Das Außenhandelsdefizit wächst weiter. Und zur Frage, wieso man mit Pakistan so viel härter ins Gericht geht, kann man wohl vor allem auf die Erbstreitigkeiten verweisen, die nach dem Rückzug der Briten entstanden sind.

Indien: Indische Soldaten durchsuchen Dangri nach einem mutmaßlich antiindischen terroristischen Angriff am Jahresanfang.

Indische Soldaten durchsuchen Dangri nach einem mutmaßlich antiindischen terroristischen Angriff am Jahresanfang.

(Foto: Rakesh Bakshi/AFP)

Das Galwan-Tal, am westlichen Ende der LAC, wo es zu den meisten Zusammenstößen zwischen Indien und China kam, liegt am Rand des von Delhi kontrollierten Teils von Kaschmir. Die andere Hälfte steht unter der Verwaltung Islamabads. Indien wirft der pakistanischen Regierung immer wieder vor, über diese Region Terroristen ins Land zu schmuggeln. India Today berichtete im Dezember unter Berufung auf eine Quelle im Verteidigungsministerium in Delhi, dass allein im vergangenen Jahr zwölf Versuche Pakistans unterbunden wurden, Terroristen einzuschleusen. Dabei seien 18 Terroristen ausgeschaltet und große Mengen an Waffen und Munition sichergestellt worden. Am Sonntag und Montag dieser Woche sind laut Berichten indischer Medien mehrere Menschen, darunter auch Kinder, durch terroristische Attacken im Dorf Dangri im Distrikt Rajouri gestorben - einer eigentlich eher ruhigen Gegend im Süden Kaschmirs.

Bei den Militärausgaben rückt Indien auf Platz drei hinter die USA und China

Indien hat nach den jüngsten Auseinandersetzungen mit China sechs Armeedivisionen, die normalerweise die Grenze zu Pakistan bewachen, nach Nord-Ladakh an die LAC verlegt. Aber der Bedarf an Soldaten wird dadurch nicht kleiner. Nach Angaben des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) sind die indischen Verteidigungsausgaben innerhalb eines Jahrzehnts von knapp 50 Milliarden US-Dollar auf mehr als 76 Milliarden im vergangenen Jahr gestiegen - um Pakistan und China etwas entgegenzusetzen. Indien rückt damit nach den USA und China auf Platz drei, was die Militärausgaben angeht. Danach folgt Russland, von wo aus Delhi allerdings etwa 60 Prozent der militärischen Ausrüstung bezieht, teilweise noch aus Beständen der Sowjetunion.

"Unsere Luftwaffe und Marine hängen vom Handel mit Russland ab", hat Generalleutnant Deependra Singh Hooda im Interview mit der SZ erklärt. Bis 2016 war Hooda Befehlshaber des "Northern Command", ganz oben in der Region Jammu und Kaschmir. "Wir haben Flugzeugträger und Kampflugzeuge gekauft. Die Mehrheit unserer Jets sind russische Sukhoi Su-30. Eine Weile hatten wir sogar ein Atom-U-Boot von Russland geleast." Doch weil die Weltordnung sich derzeit verschiebt, versucht sich Delhi aus dieser Abhängigkeit zu befreien. So wird nun verstärkt mit Frankreich und Israel über Rüstungskäufe verhandelt. Und eine "Made in India"-Kampagne gestartet, um die Rüstungsindustrie im Land zu befeuern. Mit den USA hat Indien ein Verteidigungsabkommen unterzeichnet. Und im September lobte Premierminister Narendra Modi den ersten im Land gebauten Flugzeugträger INS Vikrant bei der feierlichen Inbetriebnahme als "Symbol des einheimischen Potenzials". Jetzt fehlen nur die Kampfjets "made in India", die darauf starten und landen könnten.

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