Indien:Kennen Sie Naatu?

Indien: Einen "Golden Globe" hat er schon: Filmkomponist M. M. Keeravani.

Einen "Golden Globe" hat er schon: Filmkomponist M. M. Keeravani.

(Foto: Frederic J. Brown/AFP)

In den USA bekommen Werke von Bollywood & Co. sonst wenig Aufmerksamkeit. Doch nun wird ein Lied aus einem indischen Blockbuster sogar für einen Oscar gehandelt.

Von David Pfeifer

Es ist relativ schwer, sich "Naatu Naatu" anzuhören und dabei schlechte Laune zu haben. Das haben schon viele Millionen Inderinnen und Inder festgestellt, und seitdem das Lied einen "Golden Globe" gewonnen hat, lernen das immer mehr Menschen weltweit. Der Song setzte sich gegen Film-Scores von Taylor Swift, Rihanna und Lady Gaga durch und stammt aus dem Film "RRR" - einer Art Historien-Musical, das um 1900 spielt und bereits im vergangenen Sommer in die indischen Kinos kam. Anders als die bekannteren Bollywood-Filme ist er auf Telugu, der Sprache, in der in Indien zurzeit die erfolgreichsten Filme gedreht werden - daher der Name "Tollywood".

Es geht darin um den Widerstand gegen die britischen Kolonialherren, die damals nicht nur das riesige Land ausgebeutet haben, sondern den Inderinnen und Indern kaum Möglichkeiten boten, sich am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen - außer als Diener und Hausmädchen. In der Szene, die zu dem Lied und der dazugehörigen Choreografie führt, beleidigt ein britischer Offizier die beiden Hauptfiguren, indem er sagt, "Seht euch diese braunen Kerle an. Was wissen die schon von Kunst? Von Finesse? Von Tanz?"

"Kennen Sie Naatu?", fragen die Geschmähten zurück. Natürlich nicht, denn das Lied wurde für den Film geschrieben und die Choreografie für die beiden Hauptdarsteller entwickelt. Und für sehr viele Komparsinnen. Es wird heftig mit dem rechten Bein geschlackert und dabei auf dem linken gehüpft - "Hook Step" heißt der Schritt, der mittlerweile viele Dance Challenges ausgelöst hat.

Der "Naatu Naatu"-Komponist M. M. Keeravani dankte in seiner Rede unter anderen Prem Rakshith, dem Choreografen, und das ist angemessen, denn der dazugehörige Youtube-Clip brachte es schnell auf 100 Millionen Views in Telugu und auf mehr als 200 Millionen in Hindi. Rakshith ließ sich von alten "Tom & Jerry"-Cartoons und Szenen aus Charlie-Chaplin-Filmen zu dem "Hook Step" inspirieren. Eine Anleitung zum Tanz stellte Rakshith selber auf Youtube.

So haben das Lied und der Tanz nicht nur den Film bereichert, sondern ihn gleichzeitig vermarktet, bis in die USA, wo indische Werke selten viel Aufmerksamkeit bekommen, sehr zum Leidwesen ihrer Macher. Von dort geht das Lied nun weiter um die Welt. Unter dem Youtube-Clip hat ein Zuseher aus Kiew den Kommentar hinterlassen, dass er sich besonders freue, dass die Tanzszene "im Zentrum meiner Heimatstadt stattgefunden hat". Der türkise Kolonialbau im Hintergrund ist tatsächlich der Marienpalast, die offizielle Residenz von Wolodimir Selenskij. Gedreht wurde im August 2021, bei 30 Grad im Schatten. So bekommt die Revolutionsgeschichte noch eine aktuelle Anbindung.

Und die Preisverleihungssaison ist noch nicht vorbei. Am vergangenen Sonntag wurden in Los Angeles die "Critics' Choice Awards" verliehen, wieder gewann "Naatu Naatu". Regisseur S. S. Rajamouli bedankte sich bei seiner Mutter, "sie hat mir beigebracht, dass Schulbildung überbewertet wird, und hat mich ermutigt, Comics und Märchenbücher zu lesen". Er twittert jetzt Bilder von sich mit Steven Spielberg ("Ich habe Gott getroffen") und James Cameron. Und das Märchen ist noch nicht zu Ende: Am 24. Januar werden die Oscar-Nominierungen bekannt gegeben.

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