Süddeutsche Zeitung

G 20:Der andere Modi

Indiens Premierminister will in diesem Jahr als Schlichter auf der Weltbühne auftreten. Doch eine neue TV-Dokumentation trübt dieses Image - und soll deshalb in Indien nicht zu sehen sein.

Von David Pfeifer, Bangkok

Wie immer, wenn etwas verboten wird, weckt das erst besondere Begehrlichkeit. So wollen derzeit viele Inderinnen und Inder eine TV-Dokumentation über ihren Premierminister Narendra Modi sehen, während die Regierung versucht, die Verbreitung einzudämmen, unter anderem durch ein Notstandsgesetz. Am Dienstag wurde beispielsweise die Strom- und Internet-Verbindung an der Jawaharlal Nehru University in Delhi gekappt, eine halbe Stunde bevor um 21 Uhr eine von einer Studentenvereinigung angesetzte Vorführung der BBC-Dokumentation "India: The Modi Question" stattfinden konnte.

Den Studenten war zuvor mit disziplinarischen Maßnahmen gedroht worden, falls der Film gezeigt würde, da dies "den Frieden und die Harmonie auf dem Campus stören" könne. So berichtete es ein Teilnehmer der Nachrichtenagentur Reuters. Die Regierung unter Premierminister Narendra Modi hat den Film, der vergangene Woche in Großbritannien ausgestrahlt wurde und seine Rolle als Chef-Minister während der tödlichen Unruhen im Bundesstaat Gujarat im Jahr 2002 beleuchtet, als "Propagandastück" abgetan. "Die Voreingenommenheit und der Mangel an Objektivität und eine fortgesetzte koloniale Denkweise werden unverhohlen sichtbar", sagte Arindam Bagchi, Sprecher des Außenministeriums. Das ist einer der Dauerbrenner der Modi-Regierung, um Kritik aus dem Ausland zu kontern. Manchmal trifft das auch zu, in diesem Fall aber geht es gar nicht um eine Sichtweise von außen, sondern um Modis Verhalten im Land - das er heute mit seinem hindu-nationalistischen Kurs regiert.

In den "Gujarat Riots" wurden mehr als 2000 Menschen getötet

2002 waren 59 Hindu-Pilger in einem Zugabteil ums Leben gekommen, nachdem dieses in Brand gesteckt worden war. Die Tat wurde Muslimen angelastet. In den darauffolgenden "Gujarat Riots" wurden mehr als 2000 Menschen getötet, die Mehrheit von ihnen Muslime. Es kam während der Ausschreitungen auch zur systematischen Vergewaltigung muslimischer Frauen. Ein Geheim-Bericht der britischen Regierung, der in dem Film erstmals zitiert wird, nennt die Ereignisse ein "Pogrom", die Unruhen hätten "alle Merkmale einer ethnischen Säuberung" aufgewiesen. Chef-Minister Modi habe zu wenig getan, um diese zu verhindern. Womöglich hat er sogar die Polizei angewiesen, sie laufen zu lassen.

Diese Anschuldigungen führten damals zu einem Reiseverbot Modis in die USA und nach Großbritannien, sie führten auch fast zu einer Anklage in London und sie wurden von Zeugen wiederholt, wenn auch teilweise als Hörensagen. All das dokumentiert der Film, inklusive der Zweifel an einigen Aussagen von Hindu-Fanatikern. Erst 2013 erklärte der Oberste Gerichtshof, es gebe nicht genügend Beweise, um Modi strafrechtlich zu verfolgen. Ein Jahr später wurde er Premierminister Indiens.

Dass die alte Geschichte nun wieder aufgerollt wird, hat einen Grund: Indien richtet in diesem Jahr den G-20-Gipfel aus und Narendra Modi wird als Vorsitzender weltweit gehört werden. Er nutzt die einzigartige politische Weltlage und seine aktuelle Position bereits sehr geschickt, um sich als Schlichter zu inszenieren. Ein guter Anlass, dem alten Modi nachzuspüren, der einer Reporterin vor Jahren in einem Interview auf die Frage, ob er in Gujarat Fehler gemacht habe, mit notdürftig unterdrückter Aggression antwortete: "Ja, einen. Ich bin zu schwach mit der Presse umgegangen."

Twitter und Youtube wurden angewiesen, Links zu löschen

Die Modi-Regierung reagiert nun so, wie ihre Kritiker es ihr immer wieder vorwerfen: mit Empfindlichkeit und Repression. Nicht nur die Universitäten werden unter Druck gesetzt. Auch Twitter und Youtube wurden angewiesen, Links zu löschen, die zu der Dokumentation führen. Im Film selbst wird darauf hingewiesen, dass diverse Quellen in Indien gar nicht sprechen wollten, aus Angst um ihre Sicherheit. Am Wochenende erließ das indische "Ministerium für Information und Rundfunk" eine Anweisung, die im Rahmen der 2021 eingeführten, international umstrittenen Gesetze eine "Sperrung von Informationen in Notfällen" erlaubt, wenn diese "die Souveränität und Integrität Indiens untergraben" und "unbegründete Behauptungen aufstellen."

Ob das funktioniert, bleibt fraglich. An der Jawaharlal Nehru University sah man nachts die Bildschirme der Laptops und Smartphones leuchten, nachdem Strom und Internet-Zugang abgedreht worden waren. Der Film wurde auch schon an einigen Universitäten im kommunistisch regierten, südlichen Bundesstaat Kerala gezeigt, wie die Zeitung The Hindu berichtet. Wobei bisher nur der erste Teil zu sehen war. Den zweiten hat die BBC erst gestern in ihre Mediathek gestellt, von wo aus er natürlich gestreamt werden kann, wenn man weiß, wie man die digitalen Blockaden überwindet. Und neugierig ist.

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