Süddeutsche Zeitung

Indien:"Mir ging es nicht darum, den Indern ihr Land zu erklären"

Ein deutscher Student nimmt in Chennai an Protesten gegen die Änderung des Staatsbürgergesetzes teil und wird des Landes verwiesen - nun will er zurück.

Von Arne Perras und Cornelius Pollmer, Singapur/Leipzig

Das Semester in Chennai hat wieder begonnen, Jakob Lindenthal sagt, er wäre jetzt gerne in Indien, um sein Auslandsjahr als Physikstudent dort zu Ende zu bringen. Aber er hat keine Ahnung, ob das gelingen wird, nach allem was vorgefallen ist. Die Demonstrationen im Dezember, dann das Verhör durch die Staatsbeamten, gefolgt von der Aufforderung an ihn, Indien schnellstmöglich zu verlassen. Es war eine aufreibende Zeit für den 23-Jährigen, und der Vorwurf, er habe als politischer Aktivist die Visaregeln für Ausländer gebrochen, hatte für ihn harte Konsequenzen. Er musste raus aus Indien. Aber nun möchte er wieder rein. Er hat einen Brief an die indische Botschaft in Berlin geschrieben, den die Süddeutsche Zeitung einsehen konnte. Bekommt er von dort die Erlaubnis bis zum 24. Januar, könnte er noch rechtzeitig wieder einsteigen in Chennai. Sonst steht es schlecht um sein Auslandsjahr in Indien.

Beim Auswärtigen Amt gibt man sich wortkarg. Es heißt lediglich: Der Fall sei bekannt

Über den Fall Lindenthal berichteten im Dezember viele Medien, in Indien deutlich mehr als in Deutschland. Denn dort ist die Lage derzeit aufgeheizt, weil eine Änderung im Staatsbürgergesetz große Ängste bei Minderheiten auslöst, aber auch bei säkular und liberal eingestellten Indern, die dagegen seit Wochen auf die Straße gehen und protestieren. Viele sind vor allem deswegen alarmiert, weil Religion erstmals in der Geschichte Indiens zu einem Kriterium der Staatsbürgerschaft wird. Kritiker sehen darin einen möglichen Hebel gegen Muslime, die ausgeschlossen werden könnten, was die Regierung allerdings vehement dementiert.

Jakob Lindenthal sah in dieser Politik eine Gefahr für die Menschenrechte und marschierte deswegen im Dezember bei zwei Demonstrationen mit. Leise waren die Sprüche dort nicht. Auf einem von Lindenthals Plakaten war zu lesen: "1933-1945 We have been there", ein sehr klarer Hinweis auf die Nazizeit in Deutschland. "Ich wollte eben auf die Bedrohungen hinweisen", sagt Lindenthal. Tatsächlich sind historische Verweise dieser Art den Indern nicht fremd. Und der Aufstieg der Hindu-Nationalisten provoziert Ängste vor einem starken Rechtsruck. Oppositionsführer Rahul Gandhi bezeichnete die Ideologie der rechten Kaderorganisation RSS ohne Umschweife als faschistisch. Insofern ist der historische Nazi-Verweis in der politischen Auseinandersetzung nicht neu.

Mit etwas Abstand sagt der Student Lindenthal nun aber auch: "Mir ging es nicht darum, den Indern ihr Land zu erklären." Dass er teilnahm an den Protesten gegen die Änderungen im Staatsbürgergesetz, sei eher ein Akt der Solidarität mit Indiens Studenten gewesen und allen, "die nun mit dem Rücken zur Wand stehen". Lindenthal sagt zudem, dass er keineswegs damit gerechnet habe, dass sein Protest in den sozialen Medien in Indien so viel Aufmerksamkeit erzeugen würde.

Nach der Teilnahme an zwei Demonstrationen im Dezember in Chennai wurde Jakob Lindenthal von der Behörde einbestellt, die für die Registrierung von Ausländern zuständig ist. Dort erklärte ihm eine Beamtin, er habe mit der Teilnahme an den Demos seine Visaauflagen verletzt, weshalb sie ihn auffordern müsse, das Land umgehend zu verlassen. Sonst drohe ihm die Abschiebung.

Schriftlich gab die Behörde das Lindenthal allerdings nicht. Dieser erklärte daraufhin, er wolle sich "für einen eventuell unrechtmäßigen Eingriff in die inneren Angelegenheiten Indiens entschuldigen" und er sicherte zu, "künftig den Rechtsrahmen einzuhalten". Ein letzter Versuch, das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden, doch es half nichts. Lindenthal hatte nur ein paar Stunden, um zu packen, dann saß er auch schon im Flieger und war fort.

Sollte Lindenthal bis zum Freitag keine für ihn günstige Antwort von der Botschaft erhalten, wird er dieses Wintersemester an der TU in Dresden weiterstudieren, über die der Studienaufenthalt in Chennai auch zustande gekommen war. Seit 2008 besteht zwischen beiden Universitäten eine Kooperation, in deren Rahmen jährlich fünf Studierende aus Dresden nach Indien gehen können. "Diese Kooperation soll auch so fortbestehen, alle Beteiligten sind sich einig, dass dieser Vorfall jetzt nicht die Zusammenarbeit behindern wird", sagt Kim-Astrid Magister, Sprecherin der Universität. Das Akademische Auslandsamt bemühe sich zudem intensiv im Fall Lindenthal. Die TU Dresden steht demnach in Kontakt mit der Universität IIT Madras in Chennai. Magister sagt, dort würde man Lindenthal "sofort wieder nehmen, wenn mit seinem Visum alles in Ordnung ist".

Wenn Jakob Lindenthal auch womöglich nicht in Indien weiterstudieren kann, gelernt hat er aus den vergangenen Wochen auf jeden Fall. Den Leuten die Welt zu erklären, sei nicht das Richtige, wenn man als Student in ein anderes Land kommt, sagt Lindenthal. Aber er hält es nach wie vor für richtig, sich generell für Menschenrechte einzusetzen, über die es einen breiten Konsens gibt. Man müsse so etwas von Situation zu Situation entscheiden, sagt Lindenthal. Nun hofft er, dass sein Fall zumindest anderen Studierenden bei der Vorbereitung ihres Auslandsjahres in Indien nützt. Wer dort an Demonstrationen teilnehme, müsse eben mit harten Reaktionen rechnen, die rechtlich nicht immer transparent seien.

Die Härte, mit der Lindenthal des Landes verwiesen wurde, hat viele in Indien überrascht, Ausländer wie Inder. Manche fragen sich: War das nun ein Ergebnis der Arbeit übereifriger lokaler Beamter? Oder steht dahinter eine politische Weisung von ganz oben? Es herrscht darüber keine Klarheit. Und ebenso nebulös erscheint, worauf sich die Ausweisung, für die es keine schriftliche Begründung gab, eigentlich stützt. Der indische Jurist Chitranshul Sinha wies darauf hin, dass das Vorgehen der Regierung einer juristischen Prüfung womöglich gar nicht standhalten würde. Wortkarg bleibt man beim Auswärtigen Amt. Von dort heißt es lediglich, der Fall sei bekannt und man "stand mit dem Betroffenen vor dessen Ausreise in Kontakt."

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SZ vom 21.01.2020
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