Indien:Macher und Magier

Indischer Premierminister besucht Kaschmir-Region

Inszeniert sich gern als Botschafter des Fortschritts: Premier Narendra Modi bei der Eröffnung einer Wasserkraftanlage in Kaschmir.

(Foto: Dar Yasin/dpa)

Regierungschef Narendra Modi wirbt um seine Wiederwahl. Trotz mäßiger Erfolge genießt er noch großes Vertrauen bei vielen Bürgern - er gilt als unbestechlich und bodenständig.

Von Arne Perras, Delhi

Indiens Premier Narendra Modi ist in Wahlkampflaune. Am Sonntag rollte seine Wagenkolonne in brütender Hitze über den Asphalt. Der Regierungschef, in eine weiße Kurta gekleidet, stand aufrecht in seiner offenen schwarzen Limousine und winkte den Massen links und rechts des neuen Highways zu. So verwandelten der Regierungschef und Tausende Parteianhänger die Einweihung einer Autobahn zur großen Roadshow, wie man sie aus indischen Wahlkämpfen kennt. Modi will sich 2019 eine zweite Amtszeit sichern. Und er nimmt dafür einen langen Anlauf.

Der Regierungschef hat die Show vom Wochenende sorgsam inszeniert, um zu vermitteln: Was Modi kann, schafft kein anderer Politiker in Indien. 14 Spuren Highway von Delhi nach Meerut, fertiggestellt in Rekordzeit, eine Asphaltpiste als Symbol für Entwicklung. Modi präsentiert sie als eingelöstes Versprechen. Nun können Überland-Trucks die Hauptstadt umfahren, was nicht nur bedeutet, dass sie schneller ans Ziel gelangen. Die neue Strecke dürfte auch helfen, die Abgaskonzentration in Delhi zu mindern, einer der schmutzigsten Stadt der Welt.

Modis Welt ist voller Symbole, von Anfang an hat er den propagierten Fortschritt in leuchtende Labels gefasst. Die großen Kampagnen heißen "Make in India" und "Clean India", sie sollen die Industrie ankurbeln und das Land vom Schmutz befreien. Wer nach vier Jahren bilanziert, was der Premier umgesetzt hat, stellt allerdings fest: Modis Indien bleibt weit hinter seinen vollmundigen Ankündigungen zurück. Zwar gibt es einige spürbare Fortschritte, Modi hat die Dorfbewohner mit Gasanschlüssen zum Kochen versorgt und das Strom- und Straßennetz ausgebaut. Er treibt die Digitalisierung voran. Auch berichten ausländische Investoren, dass sich das Dickicht der Bürokratie dank Modi etwas gelichtet habe. Doch einen großen Durchbruch haben die Kampagnen noch nicht gebracht. Und mit der größten Herausforderung seiner Amtszeit hat der Premier schwer zu kämpfen: Im Wahlkampf 2014 versprach er den Massen Millionen Jobs, auf die sie immer noch warten.

Im April schrieb die Eisenbahn 90 000 Jobs aus - es gingen mehr als 28 Millionen Bewerbungen ein. Jeden Monat drängen etwa eine Million junge Inder auf den Arbeitsmarkt, die meisten schlagen sich mit Billigjobs oder als Tagelöhner im informellen Sektor durch, in dem keine Steuern gezahlt werden. Doch den hat es hart getroffen, seitdem Modi eine brachiale Bargeldreform durchzog, um Schwarzgeldsünder zu bestrafen. Die meisten Ökonomen haben den Schritt als eher nutzlos oder schädlich gegeißelt. Für die Einführung einer einheitlichen Mehrwehrsteuer (GST) hat Modi mehr Lob von Wirtschaftswissenschaftlern geerntet, der Staat beseitigt damit ein abenteuerliches Steuergestrüpp. Doch auch GST hat Tücken, zumal der Systemwechsel schlecht vorbereitet war und nun Millionen Kleinunternehmern das Leben sehr schwer macht.

Modi verwendet viel Energie darauf, einen direkten Draht zu den Leuten aufzubauen

Haben die Rückschläge den Magier Modi schon entzaubert? Wer sich umhört in der unteren Mittelschicht, bekommt Frust zu hören. Aber doch auch Stimmen wie die von Umesh Keswani. Er ist Angestellter in einem Schuhgeschäft, vor der Reform hatte sein Boss fünf Verkäufer angestellt, nun sind es noch drei. Um 40 Prozent sei das Geschäft eingebrochen, sagt er: "Ich bin nicht sicher, wie lange ich hier noch arbeiten kann". Man könnte vermuten, dass der Mann nicht gut auf seinen Premier zu sprechen ist. Aber der 30-Jährige sagt: "Wenn es künftige Generationen besser haben sollen, müssen wir erst einmal leiden." Er findet, Modi sei immer noch der Richtige. "Wir brauchen eine starke Hand, sonst kann man Indien nicht regieren."

Trotz zahlreicher Flops ist Modis Image als Macher nicht zerbrochen. "Seine Anziehungskraft ist immer noch weitgehend intakt", sagt der Politologe Satish Misra von der Observer Research Foundation. Ein charismatischer Herausforderer ist nicht in Sicht, Oppositionsführer Rahul Gandhi gilt vielen als Vertreter einer feudalen Politiker-Dynastie, die abgedankt hat. "Es scheint, als seien viele Inder bereit, dem Premier mehr Zeit zu geben", sagt Misra. Das Vertrauen habe vor allem einen Grund: "Die Leute betrachten Modi als einen Mann, der nicht korrupt ist."

Außerdem verwendet er viel Energie darauf, einen direkten Draht zu den Leuten aufzubauen, er tut dies mit seinen Reden, über Botschaften in sozialen Medien und mit Erfolgsgeschichten, die er in seiner Radiosendung, "Mann Ki Baat" erzählt, was so viel heißt wie: innere Stimme. Am Wochenende pries Modi sechs indische Frauen, die um die Welt segelten, er redete von Grenzschützern, die am Mount Everest Müll einsammeln, und er lobte all die jungen Leute, die jetzt mitmachten bei seiner neuen Kampagne "Fit India". All das ist Balsam auf die Seele jener, die sich so lange abgehängt fühlten.

Bislang ging die Strategie auf. Allerdings zeigen sich auch Risse: Bei der Regionalwahl in Karnataka wurde die BJP dank Modis Reden stärkste Partei, verfehlte aber die Mehrheit. Die unterlegene Kongresspartei bastelte daraufhin ein Bündnis mit einer dritten Kraft und kann nun den Bundesstaat als Koalition regieren. Es ist dieses Szenario, das der Premier auf nationaler Ebene fürchten muss: Modi gegen den Rest der Welt. Wenn alle Oppositionskräfte zusammenfinden, kann es eng werden für den Magier, der bis 2024 regieren will.

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