Süddeutsche Zeitung

Internetsperre verfassungswidrig:Indisches Gericht rügt Vorgehen in Kaschmir

  • Im August hatte Indiens Regierung die Autonomie der indisch kontrollierten Kaschmir-Region aufgehoben und flächendeckend Internet- und Telefonzugänge blockiert.
  • Am Freitag erklärte das Oberste Gericht des Landes die monatelange Internetsperre für verfassungswidrig.
  • Indische Politiker behaupten, dass sich die Lage in der Region normalisiere.
  • Menschenrechtsorganisationen sehen das Vorgehen von Premier Modi hingegen kritisch.

Seit mehr als 150 Tagen ist die zwischen Indien und Pakistan umstrittene Region Kaschmir ohne Internet. Nun hat das Oberste Gericht Indiens die von der Regierung in Neu-Delhi verhängte monatelange Blockade des Internets in der mehrheitlich muslimischen Region für verfassungswidrig erklärt. Internetdienste auf unbestimmte Zeit auszusetzen, widerspreche der Presse- und Meinungsfreiheit, urteilten die Richter und sprachen von "Machtmissbrauch". Das Gericht forderte die Regierung zudem auf, alle geltenden Einschränkungen im Himalaya-Tal zu prüfen und die Internetzugänge von Krankenhäusern, Schulen und Universitäten wieder freizugeben.

Die Unruhe-Region Kaschmir im Himalaya ist seit Jahrzehnten ein Zankapfel zwischen Indien und Pakistan. Sie ist zwischen beiden Ländern geteilt. Im August hatte die indische Regierung den in der Verfassung verankerten Autonomiestatus der indischen Kaschmir-Region aufgehoben. Das löste eine Protestwelle aus.

Das Himalaya-Tal befindet sich seither im Ausnahmezustand. Internet-Verbindungen sind unterbrochen, wichtige Politiker stehen unter Hausarrest, es herrschen vielerorts Ausgangssperren. Tausende zusätzliche Soldaten wurden in die Region verlegt. Als Grund nannte die Regierung die Wahrung der inneren Sicherheit. Zudem gälten die Einschränkungen nur vorübergehend. Zwar wurden einige Maßnahmen wie die Unterbrechung von Telefon- und Mobilfunk-Verbindungen wieder aufgehoben, doch die Situation bleibt weiter angespannt.

Regierungschef Narendra Modi erfüllte mit der vollständigen Integration der indischen Kaschmir-Region in das mehrheitlich hinduistische Indien eines seiner Wahlversprechen. Viele Kaschmirer befürchten nun, dass mit der Aufhebung des Sonderstatus ihre Region "hinduisiert" werden soll. Auch wenn die Autonomie des Bundesstaates in den vergangenen Jahrzehnten ausgehöhlt wurde, hatte sie einen enormen symbolischen Wert für die Bevölkerung.

Besucher werden streng gesichert durch die Region geführt

Der Zugang nach Kaschmir ist weiterhin beschränkt. Am Donnerstag konnten Diplomaten aus 15 Staaten den indischen Teil der Region besuchen - aber nur unter strengen Sicherheitsvorkehrungen. Sie wurden von indischen Behörden vom Flughafen zum Militärhauptquartier in Srinagar gefahren. Dort wurden sie nach Angaben eines Offiziers über die Sicherheitslage informiert. Außerdem hätten sie Gespräche mit Vertretern der Zivilgesellschaft und einigen kaschmirischen Politikern geführt, sagte Außenamtssprecher Raveesh Kumar. Ziel des von der indischen Regierung organisierten Besuchs sei gewesen, dass sich die Gesandten selbst ein Bild davon machen könnten, "wie die Dinge vorangekommen sind und wie die Normalität weitgehend wiederhergestellt wurde", erklärte Kumar in Neu Delhi.

Von Normalität kann aus Sicht von Menschenrechtsorganisationen keine Rede sein. Das Vorgehen der indischen Regierung kritisieren sie immer wieder deutlich. John Sifton, Asien-Experte bei Human Rights Watch, schrieb in einem Bericht im November, dass die Menschenrechte nicht nur in Kaschmir, sondern in ganz Indien bedroht seien. Für die Konfliktregion prophezeit er: "Die Probleme in Kaschmir dürften so lange anhalten, bis die indische Regierung eingesteht und erkennt, dass ihre eigenen Missbräuche die Situation verschlimmern."

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