Indien:Kaschmir-Konflikt flammt wieder auf

Youths hurl stones towards the Indian police during a protest against the recent killings in Kashmir, in Srinagar

"Kinder der Gewalt": Im Juli erschoss die Polizei einen Jugendführer. Seither kommt es in Kaschmir fast täglich zu blutigen Straßenkämpfen.

(Foto: Danish Ismail/Reuters)

Eine tödliche Attacke von Separatisten auf ein indisches Armeelager schürt neue Spannungen zwischen Delhi und Islamabad. 17 Soldaten sterben. Indiens Innenminister nennt Pakistan einen "terroristischen Staat".

Von Arne Perras, Srinagar

Bei der schwersten Terrorattacke gegen die indische Armee in den vergangenen 20 Jahren haben Delhis Truppen in Kaschmir schwere Verluste erlitten. 17 indische Soldaten starben bei dem Angriff am frühen Sonntagmorgen im Ort Uri, als eine Gruppe schwer bewaffneter aufständischer Kämpfer ein indisches Armeelager stürmte; auch vier der Angreifer wurden dabei getötet. Bilder vom Ort des Überfalls zeigten, wie dicke Rauchschwaden über dem Lager aufstiegen und Baracken und Zelte brannten. Zeugen sprachen in lokalen Medien davon, dass Explosionen und Gefechten mehrere Stunden lang zu hören waren. Kaschmirs Regierungschefin Mehbooba Mufti verurteilte die Tat und sagte, der Angriff diene dazu, eine kriegsähnliche Situation zu provozieren.

Die jüngste Attacke 100 Kilometer westlich von Srinagar verschärft die Spannungen zwischen Delhi und Islamabad in einem Gebiet, in dem gleichzeitig ein schwer zu kontrollierender Aufstand der kaschmirischen Jugend gegen die indischen Sicherheitskräfte tobt. Jeden Tag sammeln sich Hunderte Jugendliche in den Straßen, darunter oft auch Kinder. Sie werfen Steine und versuchen mit Brandsätzen, Armeefahrzeuge und Polizeiposten anzuzünden. Die paramilitärische Polizeitruppe reagiert mit dem Einsatz von Tränengas, Gummigeschossen und auch mit Schrotmunition. Diese sogenannten "Pellets" hinterlassen schwer heilende Verletzungen und können in Einzelfällen auch tödlich sein. Um die Verwendung dieser Waffen ist eine heftige Debatte entbrannt, seitdem Dutzende Kaschmirer durch die Munition erblindet sind. Der Aufstand, der nun schon mehr als 70 Tage dauert, hat bislang mehr als 80 Todesopfer auf den Straßen gefordert, ausgelöst wurde er am 8. Juli, als indische Sicherheitskräfte den populären militanten Jugendführer Burhan Wani beim Einsatz töteten.

Waheed ur Rehman, Jugendbeauftragter der in Kaschmir mitregierenden Peoples Democratic Party PDP, sagte der Süddeutschen Zeitung: "Diese jungen Leute sind in eine Zeit der Gewalt hineingeboren worden, sie kennen nichts anderes." Mit harten Einsätzen der Polizei seien die Probleme dieses Aufstandes nicht zu lösen. Nötig sei ein politischer Dialog über Kaschmir, wo der Ruf nach Freiheit nach Jahrzehnten des Konflikts nicht verstummt ist. Die Rivalität zwischen Indien und Pakistan und die Militanz separatistischer Kräfte in Kaschmir erschweren allerdings Gespräche über ein Ende der Gewalt. Indien stemmt sich gegen die Versuche Pakistans, den Konflikt in Kaschmir zu internationalisieren. Delhi insistiert, dass Kaschmir zum indischen Staatsgebiet gehöre und dies nicht verhandelbar sei.

Die beiden Atommächte Indien und Pakistan streiten seit 1947 um das strategisch bedeutsame Berggebiet Kaschmir. Der jüngste Überraschungsangriff ereignete sich nahe der sogenannten Line of Control, LOC, die Kaschmir teilt. Eine Hälfte des Gebiets kontrolliert Pakistan, die andere Indien. Ein kleiner unbewohnter Streifen im Gebirge wird von einer dritten Atommacht, China, gehalten, das ansonsten aber keine territorialen Ansprüche auf die Krisenregion erhebt.

Während die indischen Polizeitruppen am Wochenende weiterhin versuchten, die revoltierende Jugend auf den Straßen in Schach zu halten, durchkämmten Armee-Einheiten die Umgebung von Uri, um weitere mutmaßliche Terrorkämpfer aufzuspüren. Die Sicherheitskräfte gehen davon aus, dass die Angreifer über die LOC aus pakistanisch kontrolliertem Gebiet eingesickert sind, wie sie es nach indischen Angaben schon seit Jahrzehnten tun.

Der jüngste Angriff hat die indischen Streitkräfte derart hart getroffen, dass sich Innenminister Rajnath Singh gezwungen sah, geplante Reisen in die USA und Russland abzusagen. Außerdem wurden der Verteidigungsminister und der Armeechef noch am Sonntag in Kaschmir erwartet. Singh erklärte, er sei schwer enttäuscht über die anhaltende Unterstützung Pakistans für Terroristen. Er nannte Pakistan einen "terroristischen Staat" und rief dazu auf, ihn zu isolieren.

Stimmen jenseits der Grenze wiesen die Vorwürfe zurück. Tariq Pirzada, ein Sicherheitsanalyst aus Pakistan, insistierte im Sender CNN India, dass man die Kämpfer nicht als Terroristen bezeichnen könne, vielmehr handele es sich um kaschmirische Freiheitskämpfer, womit er auch indirekt zurückwies, dass die Angreifer über die Trennlinie aus pakistanisch kontrolliertem Gebiet eingesickert seien. Auch wies er indische Mutmaßungen zurück, dass die schweren Waffen aus Pakistan eingeschleust worden seien. Indiens Innenminister betonte hingegen, dass die Täter "bestens ausgebildet und speziell ausgerüstet" gewesen seien, ohne dies näher zu erläutern. Indiens Premier Narendra Modi versprach der Nation, jene zu bestrafen, die hinter diesem "Angriff" steckten, den er als feige und abscheulich bezeichnete.

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