Corona in Indien:In Innenhöfen werden die Leichen verbrannt

Corona-Pandemie in Indien

Bäume in indischen Stadtparks sollen gefällt werden, weil Holz für Feuerbestattungen ausgeht: Einäscherung eines Covid-Opfers in Jammu.

(Foto: Channi Anand/AP)

Die zweite Corona-Welle wütet in Indien und überrollt das Gesundheitssystem. Viele Menschen bunkern privat Sauerstoff und Medikamente. Deutschland und andere Staaten schicken Hilfe.

Von David Pfeifer, Bangkok

In Delhi sind nicht nur die Krankenhäuser, sondern auch die Krematorien überlastet. So viele Tote gilt es nach dem Hindu-Ritual zu verbrennen, dass der Rauch, der überall in der Stadt aufsteigt, wie ein Signal einer Tragödie wirkt, die sich erst noch voll entfalten wird. Etwa 20 Millionen Menschen leben in Delhi, meist sehr dicht und laut, betriebsam und bunt gedrängt. Durch die Pandemie ist Indiens belebte Hauptstadt zu einem Zentrum der Covid-19-Krise geworden. Momentan verzeichnet Delhi die höchsten Ansteckungsquoten im Land.

So viele Tote sind in den vergangenen Tagen verbrannt worden, dass die Stadtverwaltung Anfragen bekommen hat, die Bäume in den Stadtparks zu fällen, weil es an Brennholz für die Scheiterhaufen fehlt, wie AP berichtete. Die Agentur verschickte Fotos, auf denen man provisorisch zu Krematorien umfunktionierte Innenhöfe mit unzähligen kleinen Scheiterhaufen sehen konnte. Aufgeschichtet aus Ästen, Zaunlatten und Europaletten, darüber und darunter die Toten in weißen Leichensäcken. Für die Rituale, die einer solchen Verbrennung normalerweise vorangehen, blieb an vielen Orten keine Zeit.

352 991 neue Ansteckungen waren es am Montag, die Zahlen werden in den kommenden Tagen und Wochen womöglich noch weiter steigen. Wie hoch sie in Wahrheit sind, ist unbekannt, in den Slums der großen Städte wird nicht getestet, viele der fast 1,4 Milliarden Inderinnen und Inder in entlegenen Provinzen des riesigen Landes haben keinen Zugang zu ärztlicher Versorgung. Wer in Delhi an Schnupfensymptomen leidet, wird momentan nicht in eines der überfüllten Krankenhäuser gehen, wo man sich erst recht anstecken kann. Das Problem aber sind nicht die Ansteckungen oder die Toten, da ist Deutschland viel schlechter dran, wenn man die Zahlen auf die Gesamtbevölkerung umlegt. Das Problem sind in diesem Fall die absoluten Zahlen, die Tausenden Erkrankten, die auf ein überlastetes Gesundheitssystem treffen.

Wie soll Bangladesch die gemeinsame Grenze schließen? Sie ist 4000 Kilometer lang

Seit dem vergangenen Wochenende kennt man überall auf der Welt die Bilder der indischen Krankenhäuser, in denen Menschen an Beatmungsgeräten sterben, für die es keinen Sauerstoff mehr gibt. Ihre Verwandten schlafen vor den Toren in Autos, auf Matten und Pritschen, in der Hoffnung, dass sich alles zum Guten wendet, denn wer ins Krankenhaus geht, tut dies meistens schon in schlechtem Zustand. Dass nun überall im Land der Sauerstoff fehlt oder knapp wird, ist eines der akuten Probleme.

Mittlerweile bunkern viele Menschen privat Sauerstoff und Medikamente, "das Horten von Remdesivir-Injektionen und Sauerstoff zu Hause löst Panik aus und verursacht eine Knappheit", wie Dr. Randeep Guleria, Lungenarzt und Vorsitzender des "All India Institute of Medical Science" in einem Statement des Gesundheitsministeriums am Sonntag warnte. Die Covid-19-Erkrankungen, die man zu Hause behandeln könne, seien so mild, dass man weder Remdesivir noch Sauerstoff brauche. Guleria, der in Indien etwa die Rolle von Christian Drosten einnimmt, war es auch, der vor über einer Woche vor der neuen Mutante des Covid-19-Virus warnte, die sich in Indien ausbreiten und die Impfungen unterlaufen könnte.

Das Virus ist schneller als die Impfkampagne

Aus Furcht vor der B.1.617-Mutante hat Deutschland, wie einige andere Länder weltweit, ein Einreiseverbot für Menschen aus Indien erlassen. Die Vereinigten Arabischen Emirate hatten bereits am Donnerstag den Flugverkehr eingestellt. Am Sonntag verkündete Bangladesch die Schließung seiner etwa 4000 Kilometer langen mäandernden Grenze zu Indien, wie man das praktisch umsetzen will, blieb unklar. Gleichzeitig stellte Angela Merkel am Sonntag noch eine Unterstützungsmission für Indien in Aussicht. Eine Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums sprach konkret von 23 Anlagen zur Aufbereitung von Sauerstoff und Transportunterstützung für Hilfsgüter.

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schrieb auf Twitter: "Die EU bündelt ihre Ressourcen, um über das EU-Katastrophenschutzverfahren schnell auf Indiens Ersuchen um Hilfe zu reagieren." Großbritannien, historisch besonders mit Indien verbunden, bot Unterstützung an. Auch die USA wollen helfen, "so wie Indien den Vereinigten Staaten geholfen hat, als unsere Krankenhäuser überlastet waren, so sind die Vereinigten Staaten nun entschlossen, umgekehrt Indien in einer Zeit der Not zu unterstützen", sagte Emily Horne, Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats, nachdem es in der Nacht auf Montag Gespräche auf höchster Ebene zwischen Indien und den USA gegeben hatte. Es werden nun Testkits, Beatmungsgeräte und Schutzkleidung geschickt. Eines der wichtigsten Ergebnisse der bilateralen Gespräche: Das Exportverbot für Rohmaterialien, das die USA ausgesprochen hatten, um die eigene Vakzin-Produktion zu sichern, wurde aufgehoben.

Indien ist ja nicht nur das Land mit den meisten Infektionen derzeit weltweit, sondern auch der größte Vakzin-Hersteller. Doch der große "Vaccine Rollout", den die Regierung im Januar startete, ist ins Stocken geraten. Und nun rollt die zweite Covid-19-Welle durch das Land, und sie ist schneller als die Impfkampagne.

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