Indien:Indische Muskelspiele

Die Regionalwahlen gelten als wichtiger Test für den Premierminister Narendra Modi. Viele Kandidaten sind kriminell.

Von Arne Perras, Ayodhya

Wollte man ein Lexikon über Wahlen in Indien verfassen, dürfte der Begriff "Bahubali" nicht fehlen. Auch an einem grauen Februarmorgen, einige Kilometer vom Ort Ayodhya entfernt, ist das Wort immer wieder zu hören. Die Leute reden über Politik und Parteien und wer wohl die Wahlen gewinnen wird. Und sie reden, manchmal sehr leise, über die "Bahubali", die mit im Rennen sind.

Das Wort hat seine Ursprünge im alten Sanskrit und ist in mehrere indische Sprachen eingeflossen. Ins Deutsche kann man es am ehesten mit "Muskelmann" übersetzen. Doch geht es nicht um Boxer oder Bodybuilder. Die Rede ist von mächtigen Männern, denen die Justiz im Nacken sitzt. Leute, die im Ruf stehen, Ganoven zu sein. Viele von ihnen kandidieren gegenwärtig bei den Wahlen für mehrere regionale Parlamente. "Das ist ein schwerwiegendes Problem", sagt der pensionierte Armeegeneral Anil Verma, Leiter der "Association for Democratic Reforms". Die nicht-staatliche Organisation kämpft dafür, Wahlprozesse zu verbessern und hat eine Analyse über "kriminelle Hintergründe" von Kandidaten veröffentlicht.

Früher halfen "Bahubali" den Politikern im Wahlkampf mit Geld oder dadurch, dass sie den Gegner einschüchterten. Auch das kommt noch vor, doch inzwischen gehen viele Ganoven gleich selbst in die Politik. Wie stark die Kandidatenlisten von mutmaßlichen Kriminellen durchsetzt sind, lässt sich ziemlich genau beziffern: Jeder, der in Indien bei einer Wahl antritt, muss eine eidesstattliche Erklärung abgeben, ob und welche Strafverfahren gegen ihn anhängig sind. Im Bundesstaat Uttar Pradesh etwa läuft gegen jeden Dritten der 4823 Kandidaten ein Verfahren, 704 Politiker müssen sich gar wegen Vorwürfen wie Mord, Kidnapping oder Vergewaltigung verantworten. Eine Kandidatur ist in Indien nur nach einer rechtskräftigen Verurteilung verboten, nicht aber, so lange ein Verfahren noch laufe. "Manche Fälle ziehen sich zehn oder zwanzig Jahre hin", sagt Verma. Die Justiz ist völlig überlastet.

Indien: Mit Spezialtinte markiert man im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh die Finger jener, die schon gewählt haben. So soll Betrug erschwert werden. Diese Wählerin verhüllt vorsichtshalber ihr Gesicht.

Mit Spezialtinte markiert man im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh die Finger jener, die schon gewählt haben. So soll Betrug erschwert werden. Diese Wählerin verhüllt vorsichtshalber ihr Gesicht.

(Foto: Rajesh Kumar Singh/AP)

Am 11. März werden in Indien die Ergebnisse mehrerer Regionalwahlen bekannt gegeben, von denen diejenige im Bundestaat Uttar Pradesh als die wichtigste gilt. Wer immer in Delhi die Zentralregierung kontrolliert, setzt viel daran, gleichzeitig die Macht in Uttar Pradesh zu erobern. Das will auch Premier Narendra Modi mit seiner Bharatiya Janata Party (BJP), doch stößt er auf starke Konkurrenz in Gestalt regionaler Parteien. Für Modi sind die Regionalwahlen auch ein Test, ob die Leute noch hinter seiner Politik stehen.

Uttar Pradesh ist hart umkämpft, die Parteien suchen nach Kandidaten mit viel lokalem Einfluss. Die besten Chancen haben oft die sogenannten "Bahubali": Manche Wähler fühlen sich eingeschüchtert und stimmen schon aus Angst für einen Kandidaten, der sonst das Dorf bestrafen könnte. Andere sind beeindruckt von Männern, die sich mit Härte durchsetzen. Wieder andere freuen sich über Geschenke und bedanken sich mit ihrer Stimme.

Ein Teeladen am Straßenrand in der Gegend um Ayodhya, dicht begrünte Alleebäume spenden Schatten, links und rechts wächst auf den Feldern der Senf, ein gelbes Meer in der Provinz von Uttar Pradesh. Hier serviert Daya Ram Tewari dampfende kleine Tontassen, dazu gibt es süßes Gebäck. Tewari hat natürlich auch gehört, dass die beiden aussichtsreichsten Kandidaten seiner Gegend gleich mehrere Verfahren anhängig haben. Aber es erschreckt ihn nicht. Im Gegenteil. "Wenn einer was für die Leute erreichen will, muss er auch mal Härte zeigen." So gesehen ist der Ruf des Ganoven fast ein Ritterschlag.

138 Millionen

Wahlberechtigte sind allein im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh registriert - bei 214 Millionen Einwohnern. Die Regionalwahl wird dort aus logistischen Gründen in sieben Phasen abgehalten und dauert fast einen Monat: Am 11. Februar öffneten die Wahllokale in den ersten der 403 Stimmkreise, einen Monat später soll nun das Ergebnis verkündet werden.

Der Analyst Verma spricht von den Defiziten der staatlichen Bürokratie auf dem Land, wegen derer Ärmere oft nicht zu ihrem Recht kommen. Manchmal erhalten sie nicht mal Bezugskarten für subventionierte Nahrungsmittel und suchen deshalb Hilfe bei lokalen Politikern. Sie wählen einen Paten, in der Hoffnung, dass er ihnen beisteht. Auf dem Land spielt auch eine Rolle, welcher Kaste ein Kandidat jeweils angehört. "Wenn die stimmt, ist manchem egal, wie viele Verfahren einer im Nacken hat," so Verma. Was zähle, sei der Gedanke: Der Mann ist einer von uns.

Die Parteien sehen gerne weg, solange ein Kandidat die nötigen Stimmen bringt

In Fernsehshows verteidigen sich zwielichtige Kandidaten gerne, dass sie als Politiker eben mit Schmutz beworfen würden, man ihnen nur etwas anhängen wolle. Solche schmutzigen Kampagnen gibt es, doch dass stets nur leere Anschuldigungen im Spiel seien, bezweifelt Verma. "Immerhin haben Polizei und Gerichte schon Indizien gesammelt, wenn es zu einem Verfahren kommt." Angehörige der Mittelklasse sehen im Ganoventum, das sich der Politik bemächtigt, ein zunehmendes Problem. Doch die sozialen Verhältnisse auf dem Land, kombiniert mit der Schwäche der Verwaltung, lassen kriminellen Kräften viel Raum. Die Parteien sehen gerne weg, solange ein Kandidat nur die nötigen Stimmen für sie sammeln kann.

Im Dorf Puari hütet Raj Dev Yadav seine Kühe. Er will keine Geschenke von Politikern, er wünscht sich Kandidaten, die sich einsetzen: "Wir brauchen jemanden, der was für uns tut, wenn es Ärger gibt". Zum Beispiel, wenn sie ihr Zuckerrohr nicht loswerden. Ob einer Strafverfahren gegen sich laufen hat oder nicht, kümmert den 40-jährigen Bauern wenig. Er muss ohnehin zwischen Kandidaten wählen, die beide im Ruf stehen, "Bahubali" zu sein: "Schwer zu sagen, wer von beiden die größeren Muskeln hat", sagt Yadav und lacht.

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