Indien:Heiliger Unfriede

Navratri festival celebrations in Bhopal

Repliken des alten Tempels von Ayodhya (hier in Bhopal) werden von Hindus bereits heute zu Festen aufgebaut.

(Foto: Sanjeev Gupta/dpa)

Im indischen Ayodyha zerstörten Hindus vor 25 Jahren eine Moschee. Nach dem Wahlsieg der nationalistischen BJP haben radikale Hindus Auftrieb, die hier einen eigenen Tempel bauen wollen - es drohen Unruhen.

Von Arne Perras, Ayodhya

Wer leicht Platzangst bekommt, hat es auf diesem Pilgerpfad schwer. Einige Hundert Meter sind es noch bis zum Heiligtum auf der Kuppe, aber der Weg führt durch einen vergitterten Gang. Warum dieses käfigartige Labyrinth? "Das ist wegen der Affen", sagt der Polizist am dritten Checkpoint. Die Tiere sind den Hindus heilig. Weil sie aber Taschen und Essen klauen und beißen, haben die Behörden einen mit Gittern eingefassten Gang zum Schutz der Menschen gebaut, der sich wie ein Metallwurm über das Gelände zieht.

Insgesamt fünf Kontrollpunkte muss man passieren, Polizisten tasten Besucher von den Haarspitzen bis zu den Zehen ab. Schwer bewaffnete Sicherheitskräfte wachen am Weg. Nicht einmal Block und Kugelschreiber dürfen mitgenommen werden zur provisorischen Tempelstätte für den Hindu-Gott Ram, der in mythischer Vorzeit hier geboren sein soll. Ayodyha ist Hochsicherheitszone. Und das aus gutem Grund: Um den Ort wird in Indien gestritten wie um keinen anderen. Hindus und Muslime erheben Anspruch auf einen heiligen Flecken Erde, ein Hektar groß. Eigentlich sollte es ein Ort stiller Einkehr sein. Aber davon ist Ayodhya weit entfernt. Der Streit birgt so viel Sprengkraft, dass er ganz Indien aus der Balance bringen kann.

Innerhalb weniger Stunden zertrümmerte ein Mob das Gotteshaus aus dem Jahr 1528

So geschah es vor 25 Jahren, als Tausende Hindu-Eiferer das Gelände stürmten und ein wütendes Zerstörungswerk in Gang setzten: Innerhalb weniger Stunden zertrümmerten sie eine religiöse Stätte der Muslime, die Babri-Moschee. Einer der Mogulherrscher, die Indien zeitweise dominierten, hatte sie um 1528 errichten lassen. Der Sturm auf die Moschee provozierte blutige Zusammenstöße zwischen den religiösen Gruppen, 2000 Menschen starben. Es waren die schlimmsten Unruhen seit der chaotischen Teilung des britischen Kolonialgebiets, aus dem 1947 Indien und Pakistan hervorgegangen sind.

Seither beschäftigt der Streit um Tempel und Moschee die Justiz. Der Fall landete beim indischen Verfassungsgericht. Muslimische Gruppen wollen ihr Gotteshaus wieder errichten, Hindus fordern hingegen den Bau eines Tempels am Geburtsort von Ram. Sie behaupten, die Erbauer der Moschee hätten damals ihre noch viel ältere Gebetsstätte zerstört. Die Verfassungsrichter zeigten bislang keine Eile, den Fall juristisch zu lösen. Vielmehr legten sie den Streit de facto auf Eis. Doch der Druck der Hindu-Gruppen steigt. Und vor einer Woche schlugen die Richter vor, dass sich die Parteien doch besser um eine außergerichtliche Lösung "im Dialog" bemühen sollten. Schließlich seien auf allen Seiten starke religiöse Gefühle im Spiel. Offenbar herrscht in der Justiz keine Zuversicht, dass ein Richterspruch den Streit von Ayodhya lösen kann.

Die Gefahr, dass Emotionen erneut hochschlagen und in Gewalt münden, ist nicht gebannt, solange es keine Übereinkunft gibt. Ayodhya ist wieder ein brisantes Thema, seitdem die hindu-nationalistische Partei BJP des Premiers Narendra Modi die Wahlen im Bundesstaat Uttar Pradesh gewonnen hat. Sie berief dort den Scharfmacher Yogi Adityanath zum Regierungschef. Der Hindu-Priester wird von religiösen Minderheiten und Verfechtern eines säkularen Staates mit Argwohn betrachtet. Die Times of India berichtet, Adityanath wolle Anfang dieser Woche nach Ayodyha reisen, was den Befürwortern des hinduistischen Tempelbaus Auftrieb gibt. Nach dem Wahltriumph finden viele, dass die Zeit für das Projekt nun reif sei. Muslimische Gruppen hoffen unterdessen darauf, dass das Gericht und nicht die Politik über den Fall entscheidet.

Wo sich einst die Kuppeln der Babri-Moschee erhoben, spannt sich derzeit nur ein weißes Zelt über Mauerreste. Der vergitterte Gang für die Pilger führt vor dessen Eingang vorbei. Die kleine Figur im Inneren ist nicht gut zu erkennen, doch sie verkörpert den Hindu-Gott Ram. Vor ihm wacht ein hagerer Hindu-Priester, der Weihwasser und Süßigkeiten an die Pilger verteilt. Der Geistliche hat als 18-Jähriger miterlebt, wie die Massen die Moschee erklommen und mit Hämmern und Pickeln Kuppeln und Mauern zerschlugen. Gerne spricht er darüber nicht, aber er legt doch Wert darauf, dass er selbst nicht mitgemacht habe. 150 000 sogenannte Freiwillige waren damals nach Ayodhya gezogen, sie folgten Aufrufen führender Hindu-Nationalisten, die sich für den Bau eines Ram-Tempels stark machten, später jedoch jede Verantwortung für die Zerstörung der Moschee ablehnten. Gerichtsverfahren wegen mutmaßlicher Anstiftung zum Unfrieden gegen prominente Mitglieder der BJP sind noch nicht abgeschlossen.

Vor Gericht wird noch gestritten, doch Steinmetze bearbeiten schon Blöcke für den Hindu-Tempel

Vor dem Zelt für Ram kann man an diesem Nachmittag kaum länger als zwei Minuten verweilen, die nächsten Besucher drängen in der Schlange. Der vergitterte Gang führt wieder zurück in die verwinkelten Gassen von Ayodyha, wo Händler in kleinen Läden Bilder von Hindugöttern und religiöse Literatur verkaufen. Hier kann man mit Priester Ram Janam Singh ins Gespräch kommen, der sich doch größere Sorgen um Ayodhya macht. "Es war keine gute Idee, die Moschee niederzureißen", sagt er. "Schließlich war das ein Gotteshaus. Und ob Hindu oder Muslim: Gott bleibt Gott." Der Hindu-Geistliche vertritt, was den Hinduismus immer noch vielerorts kennzeichnet: Toleranz und Offenheit. Nur dass bei diesen Sätzen sofort der Streit beginnt. Zwei Männer, die dem Gespräch zugehört haben, mischen sich nun verärgert ein. Als Singh schließlich auch noch sagt, man solle an diesem Ort einfach beide Gotteshäuser bauen, Tempel und Moschee, ist es mit der Geduld eines Mannes ganz vorbei: "Du bist Hindu und willst tatsächlich die Moschee?" Es hat keine Minute gedauert, bis sich dieser Disput entzündet hat.

In der Nähe der alten Gassen wird nicht gestritten, sondern bereits gemeißelt. In einem Bauhof türmen sich Sandsteinblöcke aus Rajastan, viele sind längst behauen und verziert. Neben dem Eingang steht ein gläserner Würfel mit einem Modell aus Holz, das zeigt, wie das ersehnte Heiligtum für Ram einmal aussehen soll. 82 Meter lang, 43 Meter breit und 40 Meter hoch lauten die geplanten Maße. "Wir sind bereit", sagt einer der Wächter. "Wir warten nur auf das Zeichen. Dann fangen wir an. Und dann werden Hindus aus ganz Indien kommen, um mit uns zu bauen. Wir werden diesen Plan niemals aufgeben."

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