Süddeutsche Zeitung

Indien:Enttäuscht vom Paten

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Die größte Demokratie der Welt hat gewählt, viele Bürger hatten sich mehr von Premierminister Modi erhofft. Trotzdem kann er auf eine zweite Amtszeit hoffen.

Von Arne Perras, Jayapur

Wer das Ziehkind des Premiers kennenlernen will, muss in die Tempelstadt Varanasi am Ganges reisen und von dort noch eine Stunde weiter. So erreicht man Jayapur. Indiens Regierungschef Narendra Modi hat dieses Dorf mit seinen 4000 Einwohnern nach seinem Wahlsieg 2014 "adoptiert". So nennen das die Inder, wenn Politiker ganze Gemeinden unter ihre Obhut nehmen, um Fürsorge zur Schau zu stellen oder ihre angebliche Fähigkeit als Reformer.

Schon am Ortseingang prangen große Worte: "Das 21. Jahrhundert wird ein Jahrhundert des Wissens sein. Narendra Modi". Der Spruch steht auf einer Parkbank, gleich neben einem Feld, auf dem Kuhfladen zum Trocknen ausliegen, so wie es in Indien schon seit Jahrtausenden geschieht. Aber ja, die Zeichen der Amtszeit Modi sind natürlich ebenfalls zu besichtigen, wie könnte es anders sein, wo ihm der Ort als eine Art Schaukasten dient. Willkommen in Jayapur, modernisiert und herausgeputzt, Modi sei Dank.

Klar, da ist der grüne Mülleimer, der auch regelmäßig gelehrt wird. Drüben, neben dem rot gestrichenen Tempel, waschen sich zwei junge Männer an einer solarbetriebenen Wasserpumpe. Viele Menschen sind in der Mittagszeit nicht zu sehen, 42 Grad Hitze drücken das Dorf im Bundesstaat Uttar Pradesh nieder.

Der Wahlkampf war hitzig und schmutzig, und Prognosen sind in Indien äußerst unzuverlässig

Erst vor wenigen Tagen waren die Bürger von Jayapur aufgerufen, ihre Stimme abzugeben, zusammen mit 900 Millionen weiteren Indern. Mehr als fünf Wochen dauerte die Prozedur in der größten Demokratie der Welt, der Wahlkampf war hitzig und schmutzig, nun wird an diesem Donnerstag ausgezählt, und am späten Abend dürfte klar sein, ob die Inder dem Amtsinhaber noch einmal eine Mehrheit verschaffen, um weiterzuregieren. Prognosen über Wahlen sind in Indien äußerst unzuverlässig, allerdings wären viele überrascht, wenn die Opposition um die Kongresspartei triumphiert.

In Jayapur stößt man überwiegend auf Menschen, die Modi als Premier behalten wollen, nicht gerade überraschend in einem Dorf, das ihn zum Paten hat. Zwei Dorfbanken haben hier eröffnet, man sieht viele gelb gestrichene Toilettenhäuschen auf den Grundstücken stehen, Straßenlaternen, die an Solarstrom angeschlossen sind. Jayapur soll zeigen, was alles möglich ist unter Modi, der den Macher und Reformer gibt.

Nur dass dieses Dorf und seine Umgebung eben auch noch andere Seiten haben. Selbst Modis Modellgemeinde hat mit chronischen Problemen zu kämpfen, die der Regierungschef - trotz vollmundiger Versprechen - in den ersten fünf Jahren seiner Amtszeit nicht lösen konnte.

Manche Errungenschaften sind unbestritten, zum Beispiel die Bankkonten für mehr als 300 Millionen Inder, die Modi auf den Weg gebracht hat. Dorfchef Shree Narayan Patel sagt, dass das die "Lecks" doch kleiner gemacht habe, damit meint er die Korruption bei der Verteilung staatlicher Hilfen. Früher kam bei den Armen meistens viel weniger an, als ihnen zustand. "Jetzt bekommt jeder das Geld auf sein Konto, da kann keiner was auf dem Weg abzweigen", sagt Patel.

Drei Mal hat der Premier in Delhi den hageren Dorfchef schon empfangen. Patel glaubt, dass Modi über alle Kasten hinweg Wähler gewinnen kann, das unterscheide ihn von den meisten regionalen Parteien, die sich auf eine bestimmte Kaste als Gefolgschaft konzentrierten. Modi kann auf eine geölte Parteimaschine setzen, ein Netzwerk, das über Geld und viele Helfer verfügt, vor allem dank der rechten Hindu-Kaderorganisation RSS, die auch Modi einst durchlaufen hat. Dorfchef Patel kommt ebenfalls aus dem RSS, das verbindet. Der Gefolgschaft des Dorfchefs kann sich Modi sicher sein.

Am Kiosk sucht der Farmer Vinod Kumar Prajpati Schatten, er sagt, dass Modi das schon alles richtig anpacke, auch im Streit mit dem Erzfeind Pakistan. "Denen hat er es gezeigt", sagt er, womit er den Angriff der indischen Luftwaffe auf ein angebliches Terrorcamp im Nachbarland meint. Modi hat im Wahlkampf die nationalistischen Töne gegenüber dem Erzrivalen verschärft, er inszenierte sich als strenger "Wächter", womit er hofft, erneut eine Mehrheit zu mobilisieren.

Bei allem, was Modi bewegt hat: Auch ihm ist es nicht gelungen, Jobs zu schaffen

Doch so leicht wie 2014 wird ihm der Sieg nicht fallen, selbst in seinem Modelldorf gibt es Straßenzüge, in denen sie auf Modi gar nicht gut zu sprechen sind.

Eine Fahrt durch Jayapur, am Rand des Dorfes wird es plötzlich holperig, man spürt, dass die schön geteerte Straße auf einmal abrupt endet, überall Staub und Schlaglöcher. Die Häuser dieser Gegend sind kleiner und ärmlicher, dies ist das Viertel, in dem die Dalits leben, früher einmal als sogenannte Unberührbare bekannt. Am Straßenrand sitzen junge Männer, und wer mit ihnen ins Gespräch kommt, spürt viel Frust, manchmal Wut. Der zornigste von allen ist Jitendra Kumar. Er schimpft, dass Modi doch nur leere Versprechen abgegeben habe. Der 23-Jährige klagt, dass ihr Dorfchef, der einer höheren Kaste angehört, die Straße hier einfach nicht weiterbauen ließ; weil sie eben alle Dalits seien, unterste Schicht. "Und wo ist eigentlich die Fabrik, die Modi uns versprochen hat, damit wir alle Arbeit bekommen?" Schließlich hebt er wütend die Arme und ruft: "Wozu brauchst du eine Bank, wenn du kein Geld hast? Wozu brauchst du eine Toilette, wenn du nichts zu essen hast?"

Viele hier schuften als Tagelöhner, 200 Rupien bekommen sie am Tag für schwere Arbeit, zweieinhalb Euro, deutlich weniger als den Mindestlohn. Um überhaupt einen Job zu bekommen, müssen sie jeden Tag weit fahren. Nein, viele Dalits in Modis Modelldorf sind alles andere als begeistert vom Regierungschef.

Je länger man Jayapur erkundet, umso deutlicher zeichnet sich auch hier das größte Defizit der Regierung Modi ab. Er hat es nicht geschafft, Jobs zu schaffen, selbst Gefolgsmann Patel verschweigt nicht, dass ihnen die jungen Leute weglaufen, weil es außer auf dem Feld keinerlei Arbeit in der Gegend gebe.

Im aufgelassenen Gebäude einer Schule surren Maschinen, Frauen in Saris sitzen auf dem Betonboden und spinnen Baumwollfäden. Poonam Gupta macht ihren ersten bezahlten Job, viel Geld verdient sie nicht. "Aber es bessert die Kasse der Familie auf", sagt sie. Die Spinnerei in Jayapur beschäftigt 75 Frauen, und die Vorarbeiterin sagt, sie müsse jeden Tag viele Bewerberinnen nach Hause schicken. Der Betrieb ist allerdings vom Staat subventioniert, er kann sich nicht tragen, was mit der billigen Konkurrenz aus dem Ausland zu tun haben dürfte. Jobs in Jayapur? Es gibt sie nicht.

Im Nachbarort Chandrapur sind die Straßen staubig, Männer sitzen vor ihren Türen, hier leben viele Muslime. "Uns hat Modi nicht adoptiert", sagt Shaukat Ali, ein älterer Mann im Wickelrock. Er will aber auch nicht viel mit dem Premier zu tun haben, er steht lieber treu zur Opposition. Das Misstrauen gegen Modi ist hier groß, sie wissen, dass seine BJP an der Basis Stimmung macht gegen Muslime, so versucht das Lager des Premiers, die Hindu-Mehrheit hinter sich zu scharen. "Aber wir haben eine starke Verfassung, die Minderheiten schützt", sagt einer der jungen Männer. Er hofft, dass dies die Hindu-Hardliner zügelt, sollte Modi an der Macht bleiben. Ansonsten aber hat er andere Sorgen: Er sucht - wie so viele junge Leute - einen Job.

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Quelle:
SZ vom 23.05.2019
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