Indien:Eine verblassende Dynastie

Bei der Wahl haben sich die Inder gegen Rahul Gandhi und damit gegen eine Rückkehr in verkrustete Strukuren entschieden. Ihre Demokratie haben sie damit nicht gestärkt.

Von Arne Perras

Indiens Oppositionsführer Rahul Gandhi verlässt die Bühne, und das ist weit mehr als ein Rücktritt. Alles deutet darauf hin, dass dieser Schritt eine Ära in Südasien beschließt. Die Nehru-Gandhi-Dynastie, die drei Premierminister im unabhängigen Indien stellte, steuert ihrem politischen Ende entgegen. Zwar halten Mutter Sonia, die aus Italien stammende Witwe von Rajiv Gandhi, und Rahuls Schwester Priyanka noch führende Positionen in der Kongresspartei. Doch die Wahlniederlage gegen Narendra Modi hat gezeigt, dass das dynastische Modell kaum noch Strahlkraft entfaltet. Religiös gefärbter Nationalismus verfängt weit stärker als das Beschwören eines Erbes, das jungen Indern nicht mehr viel zu sagen scheint.

Die Kongresspartei muss sich nun neu erfinden, um wieder zu Kraft zu kommen. Dass Rahul Gandhi den Weg frei macht, ist konsequent und zeugt von Größe. Leicht wird es nicht werden für die Partei, womöglich wird sie sich spalten, keiner weiß, ob sie je wieder im Rennen um den Premier eine große Rolle spielt.

Manche hoffen noch auf Schwester Priyanka, sie ist weitaus charismatischer als ihr Bruder, viele fühlen sich an ihre legendäre Großmutter Indira erinnert, wenn sie auftritt und spricht. Doch es ist unwahrscheinlich, dass sie dauerhaft in die Politik strebt. Die Ermordung ihres Vaters Rajiv Gandhi war für beide Kinder traumatisch, weder Rahul noch Priyanka verspürten je einen großen Drang, in Wahlkämpfe zu ziehen. Es schien, als beugten sie sich widerwillig einem übermächtigen Pflichtgefühl, das von ihnen verlangte, die Tradition des Clans fortzuführen. Nun hat Rahul den Bruch gewagt, vermutlich war das die mutigste Entscheidung seines Lebens.

Dass sowohl Großmutter Indira als auch Vater Rajiv Attentaten zum Opfer fielen, verwandelte die Geschichte der Gandhis in einen Mythos, getragen von der Vorstellung, dass sie alles für die Nation gaben, selbst ihr Leben. Wichtiger als der stilisierte Heroismus war für das moderne Indien, dass die Gandhis das säkulare Erbe von Staatsgründer Jawaharlal Nehru, dem Urgroßvater von Rahul, schützten. Ein Erbe, das durch die Dominanz der Hindu-Nationalisten in Gefahr gerät.

Rahul Gandhi hat das in seinen letzten Worten als Parteichef eindrücklicher formuliert, als er es in Wahlkampfreden je vermochte. Der spalterischen Politik Modis hielt er entgegen: "Wo sie Differenzen sehen, sehe ich Ähnlichkeiten. Wo sie Hass sehen, sehe ich Liebe. Was sie fürchten, umarme ich". Es ist, soweit man das abschätzen kann, ein ehrliches Bekenntnis für ein pluralistisches Indien. Aber es hat in all den Jahren nicht gereicht, die Kongresspartei zu neuen Höhen zu führen. Ihr größter Fehler war es, der Korruption freien Lauf zu lassen, das hat die Inder verbittert. Und Rahul Gandhi hatte nicht die Statur, um gegen Modi zu bestehen. Der Premier kann nun beinahe schalten und walten wie ein Alleinherrscher, zumal auch die großen Medien kaum noch kritische Distanz zur Regierung aufbauen, sie taugen kaum noch als Kontrolle.

Mit der Absage an Gandhi bei der Wahl haben die Inder klargemacht, dass sie eine Rückkehr in verkrustete Verhältnisse dynastischer Politik ablehnen. Dennoch haben sie ihre Demokratie damit nicht gestärkt. Modi und seine Partei entwickeln autoritäre Tendenzen, die nur durch eine starke Opposition einzudämmen wären. Die aber wird es in Indien so schnell nicht wieder geben.

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