Um zu verdeutlichen, mit wem man es bei seinem Land zu tun hat, bringt Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar zu seinem Gastauftritt auf der Botschafterkonferenz des Auswärtigen Amtes ein paar Kennzahlen mit. Der eine oder andere sei ja möglicherweise mit Indien vertraut, auch von Besuchen, sagt der Chefdiplomat am Dienstagvormittag im bis auf den letzten Platz mit deutschen Diplomaten und Unternehmensvertretern gefüllten Weltsaal. Aber er wolle doch eine kurze Beschreibung geben. Denn Indien habe sich enorm verändert im vergangenen Jahrzehnt.
Indiens Wirtschaftsleistung erreiche inzwischen fast vier Billionen Dollar, sagt Jaishankar, und habe die Aussicht, um acht Prozent zu wachsen, und zwar auf Jahre hinaus – eine Zahl, die man lange nur aus China kannte. Der Ausbau der Infrastruktur zeige sich daran, dass jedes Jahr acht Flughäfen und ein bis zwei U-Bahn-Systeme eröffnet und jeden Tag 28 Kilometer Autobahn und zehn Kilometer Schienen gebaut würden. Zugleich spiele digitale Technologie eine große Rolle, Indien sei das drittgrößte Land weltweit gemessen an der Zahl der Start-ups, zudem habe es sein Bildungssystem modernisiert. Der Minister rattert die Superlative herunter. Indien sei heute „ein Land der Mondlandung und Mars-Missionen, der Impfstoffproduktion und der Halbleiter“.
Für deutsche Unternehmen klingen Indiens Pläne wie gemacht
Dagegen sehen jede Planungsbeschleunigungsinitiative der Bundesregierung und auch das von Kanzler Olaf Scholz ausgerufene „Deutschland-Tempo“ blass aus. Wirtschaftlich tut sich das Land ebenfalls gerade schwer, zumal auch der Export nach China schwächelt. Was Jaishankar aufzählt, hört sich dagegen an wie gemacht für das À-la-carte-Menü, mit dem deutsche Unternehmen aufwarten können. Man habe zwölf neue Industriezonen im Land ausgewiesen, wolle Häfen und Eisenbahnnetze ausbauen, die Luftfahrtindustrie, erneuerbare Energien und die Elektromobilität. Man habe wachsende Märkte zu bieten, wolle aber auch Produktionsstandort werden.
Im Gegenzug offeriere Indien verlässliche Lieferketten und sei ein zuverlässiger Partner in der digitalen Ära – auch das ein Seitenhieb auf den Rivalen China, der lange Deutschlands wichtigster und in vielen Dingen bevorzugter Partner war. Beim Handels- und Investitionsvolumen mit Deutschland und der EU sieht die Regierung in Delhi noch reichlich Luft nach oben.
Das Angebot geht aber auch mit klaren Erwartungen einher. Die Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Verteidigung müsse ausgebaut werden, sagt Jaishankar. Auch in der Rüstungsindustrie würde Indien gern enger kooperieren. Lange war Russland dabei sein wichtigster Partner. Umso größer ist das Interesse westlicher Staaten, diese Abhängigkeit auch mit Blick auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine zu verringern. Indien modernisiert im großen Stil seine Streitkräfte. Bislang sind vor allem die USA und Frankreich dabei zum Zuge gekommen, Deutschland hofft aber auf einen Auftrag für U-Boote.
Auch zum Krieg in der Ukraine äußert sich Jaishankar
Die Luftwaffe hat mit Eurofighter-Kampfjets an einer Übung teilgenommen, die Marine plant einen Hafenbesuch der Fregatte Baden-Württemberg, die gerade im Indopazifik unterwegs ist. Deutschland solle sich stärker dafür interessieren, was in der Region geschehe, sagt Jaishankar. Geopolitik und Geoökonomie würden dazu beitragen, dass sich beide Länder näherkommen. Allerdings sei es auch „unhaltbar, seinen Horizont zu beschränken“.
Indien ist Gründungsmitglied der Brics-Gruppe, und Premier Narendra Modi machte im Juli kurz nach seiner Wiederwahl erst dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau seine Aufwartung, bevor er im August nach Kiew reiste. Allerdings hatte er den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij zuvor schon am Rande des G-7-Gipfels in Italien getroffen.
Indien sei überzeugt, dass Differenzen nicht durch Konflikt gelöst werden könnten, erklärt Jaishankar, und dass der Krieg nicht zu einer Entscheidung auf dem Schlachtfeld geführt werden könne. Wenn es aber zu Verhandlungen komme, müsse Russland beteiligt werden. Das aber habe Moskau, wie die Gastgeberin, Bundeaußenministerin Annalena Baerbock, anmerkt, gerade abgelehnt. Ob Indien nach dem Treffen im Sommer im schweizerischen Bürgenstock eine weitere Friedenskonferenz ausrichten könnte, ließ Jaishankar offen. Er hatte sich am Montag am Rande eines Treffens des Golfkooperationsrates mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow beraten, und Indiens Sicherheitsberater Ajit Doval besucht derzeit Moskau.
Baerbock betonte die enge Kooperation, auch wenn man sich nicht immer in allen Fragen einig sei. Sie verwies darauf, dass inzwischen knapp 50 000 junge Studentinnen und Studenten aus Indien an deutschen Hochschulen eingeschrieben sind, die größte Gruppe ausländischer Studierender. Zudem sei die Zahl der indischen Fachkräfte in Deutschland um 25 Prozent gestiegen. Baerbock hatte die zugrundeliegende Migrations- und Mobilitätspartnerschaft vor zwei Jahren bei ihrem Antrittsbesuch in Indien auf den Weg gebracht.