Innenminister Amit Shah, einer der Architekten hindu-nationalistischer Politik in Indien, spricht Sätze, die beschwichtigend klingen. "Wir werden niemanden auf der Grundlage von Religion diskriminieren", beteuerte Shah im Streit um das neue Staatsbürgergesetz. "Muslime haben nichts zu befürchten." Sonia Gandhi, Witwe des ermordeten Premiers Rajiv Gandhi und Führerin der oppositionellen Kongresspartei, sieht das anders. Sie sprach von einem "schwarzen Tag" für Indien, als das neue Regelwerk Mittwochnacht vom indischen Parlament verabschiedet wurde. Gandhi sieht darin einen "Sieg bigotter und engstirniger Kräfte über den Pluralismus Indiens".
Das Gesetz mit dem Namen "Citizenship Amendment Bill" (CAB), das im Osten Indiens bereits tödliche Gewalt ausgelöst hat, regelt die Einbürgerung von Migranten, die aus Afghanistan, Pakistan und Bangladesch stammen. Wer Hindu ist, Sikh, Buddhist, Parsi, Jain oder Christ, bekommt die Chance auf Einbürgerung nach einer Frist von fünf Jahren. Nur Muslime sind ausgenommen.
Dass ein solches Gesetzeswerk im Jahr des 150. Geburtstages von Mahatma Gandhi beschlossen wird, dem großen Versöhner zwischen Hindus und Muslimen, deutet auf größere Umwälzungen hin. Die Frage der indischen Identität wird neu verhandelt. Buchautor und Kommentator Nilanjan Mukhopadhyay sieht schwerwiegende Folgen: "Die indische Staatsbürgerschaft wird nun mit Religion verbunden, so wie in Pakistan. Das ist sehr bedauerlich." Das Lager von Premier Narendra Modi sieht das Gesetz allerdings als Akt des Minderheitenschutzes. Indien soll nach dieser Lesart zum sicheren Hafen für verfolgte religiöse Minderheiten aus der muslimisch dominierten Nachbarschaft werden.
Die Debatte ist von der Geschichte des Subkontinents geprägt, die Zeit der blutigen Teilung, als die britische Kolonialmacht abzog, wirkt immer noch nach. Die Geburt der Staaten Indien und Pakistan war chaotisch, traumatisch; Hunderttausende starben auf der Flucht von einem Gebiet ins andere, die Dekolonisierung war den Briten weitgehend entglitten.
Pakistan wurde gegründet als neue Heimat für Muslime. Wer sich hingegen für Indien entschied, wurde Bürger eines mehrheitlich von Hindus bevölkerten Staates, der Säkularismus und Pluralismus garantierte. In Pakistan haben Minderheitenrechte und religiöse Toleranz im Laufe der Jahre stark gelitten, in Bangladesch ist es ähnlich. Lange verdiente sich Indien weltweit Respekt, weil es solchen Trends widerstand. Doch seitdem die Hindu-Nationalisten regieren, haben Indiens religiöse Minderheiten - allen voran die Muslime - Angst davor, an den Rand gedrängt zu werden und Verfolgung zu erleiden, ähnlich, wie hinduistische und christliche Minderheiten in Pakistan oder Bangladesch.
Befürworter der neuen indischen Politik machen oft deutlich, dass sie das neue Staatsbürgerrecht als eine Art ausgleichende Gerechtigkeit betrachten, nachdem Hindus jenseits der Grenzen oft gelitten hätten. Für Kritiker ist es hingegen ein Schritt zur weiteren Spaltung des indischen Staates. Doch es wird noch komplizierter: Denn das Staatsbürgergesetz irritiert nicht nur muslimische Kreise, es schürt auch große Wut im Osten Indiens, vor allem im Bundesstaat Assam. Dort gehen Tausende Einwohner im Zorn auf die Straße, weil sie verhindern wollen, dass eingewanderte Gruppen - welcher Religion auch immer - überhaupt zu Staatsbürgern werden und bleiben dürfen.
Die Hindu-Regierung hat Truppen geschickt, um Unruhen im Osten einzudämmen
Assam grenzt an Bangladesch, von wo im Laufe der Jahrzehnte viele Menschen eingewandert sind, Hindus und Muslime. Die assamesische Bewegung begründet ihren Abwehrreflex damit, dass der Zustrom ihre einheimische Identität und Kultur bedrohe. Der Wettbewerb um Jobs und Land verschärft den Konflikt.
Die Regierung hat Tausende zusätzliche Truppen entsandt, um die Unruhen im Osten einzudämmen, bislang starben zwei Menschen. Indische Medien zitierten Quellen aus Sicherheitskreisen, wonach die Zentralregierung das Risiko von Ausschreitungen offenbar unterschätzt hat.
Unterdessen schwelt der Unmut unter den Muslimen weiter. Sie argumentieren, dass das neue Gesetz gegen die Verfassung verstoße. Sie wollen die oberste Justiz anrufen. Die Verunsicherung ist groß, sie fürchten, die BJP schmiede einen größeren anti-muslimischen Plan. Und sie verweisen auf mehrere Entwicklungen: Zuerst konzentrierte sich die hindu-nationalistische Regierung nach der Wiederwahl auf das überwiegend muslimisch bevölkerte Gebiet Kaschmir, dem sie die Autonomie entzog. Wochen später sorgte ein Gerichtsurteil im Streit um heiliges Land in Ayodhya für Irritation. Wo 1992 ein Hindu-Mob eine alte Moschee zerstörte, darf nun ein Hindu-Tempel gebaut werden.
Wer darüber debattieren will, bekommt in Indien nun oft den Satz zu hören, er könne ja gehen, wenn es ihm nicht gefalle: rüber, über die Grenze - nach Pakistan.