In Erwartung des SPD-Parteitags:Die gespaltene SPD

Die SPD sucht vor ihrem Parteitag nach Orientierung. Zu einem konsequent linken Kurs kann sie sich nicht durchringen, die angestrebten Reformen wollen ihr die Wähler nicht recht honorieren. Da bleibt nur eines: in der erfolgreichen Vergangenheit schwelgen.

Kurt Kister

Am Freitag beginnt der Parteitag der Sozialdemokraten in Hamburg. Ja, die SPD ist wieder einmal in der Krise, aber wann war sie das nicht in den letzten Jahren? In den Umfragen liegt sie bundesweit konstant unter 30 Prozent; in einzelnen Ländern hat sie mit Wahlergebnissen unter 20 Prozent eigentlich den Charakter einer Volkspartei verloren.

SPD-Parteitag

Die SPD steht vor einer entscheidenden Wegmarke, dem Parteitag ab Freitag.

(Foto: Foto: dpa)

Die Sozialdemokraten sind nun im zehnten Jahr Regierungspartei im Bund. Sie haben sich verschlissen, ihr Spitzenpersonal hat sich und ist erschöpft. Etliche Wählergruppen, die 1998 nahezu fröhlich gegen Kohl und für die SPD gestimmt hatten, haben sich enttäuscht von den Sozialdemokraten, ja vom politischen Prozess insgesamt abgewandt.

Die "neue Mitte" zum Beispiel ist gewandert zu Union oder Grünen. Die Protest-, Aufbruchs- und Angstwähler trippeln zur Linkspartei oder bleiben zuhause.

Die SPD ist seit ihrem Eintritt in die Große Koalition einem stetigen Vertrauensverlust ausgesetzt, der ihre Partner von CDU und CSU so nicht trifft. Dies ist kein Wunder, denn die SPD befindet sich sowohl in ihrem Selbstbild als auch in der Wahrnehmung durch Bürger und Wähler in einem Dilemma.

Die Schizophrenie der Sozialdemokratie

Die Sozialdemokraten würden am liebsten das Beste aus zwei verschiedenen Welten für sich reklamieren; sie möchten als Regierungs- und gleichzeitig als Oppositionspartei gesehen werden.

In der Regierungswelt, in der sich die SPD so lange eingerichtet hat, beansprucht sie die "guten" Reformen, die zu wirtschaftlichem Aufschwung geführt haben. Das Symbol dafür ist die Agenda 2010; ihre Symbolfiguren sind Franz Müntefering oder Peer Steinbrück. Sie stehen für eine reformistische SPD, in der man mit dem Anziehen von Stellschrauben und Kabelmanschetten auf Wirtschaft und Gesellschaft einwirken will.

Die Erwähnung des "demokratischen Sozialismus" im neuen Grundsatzprogramm verstehen sie als Erinnerung an eine recht ferne Vergangenheit, wenn sie es denn nicht mit ironischem Schulterzucken abtun.

Opportunistisch links

Sie sind relativ skeptisch gegenüber dem Staat, zumal dann, wenn er als Unternehmer auftritt. Das ist jene Strömung in der Sozialdemokratie, deren politischem Denken die Kanzlerin Merkel manchmal so nahe steht, dass ihr eigene Leute die "Sozialdemokratisierung der CDU" vorwerfen. (Der Parteichef Beck ist überwiegend ein Merkel-Sozialdemokrat. "Links" wird er, wenn es ihm, wie im Streit mit Müntefering, politisch und persönlich nützlich erscheint.)

Die Agenda 2010 ist aber auch Dreh- und Angelpunkt der "linken" Kritik an der Regierungs-SPD, also argumentativer Fixpunkt für die Oppositions-SPD. Auch innerhalb der Partei gibt es eine immer breitere Bewegung, die "Agenda 2010" mit "ungerecht" assoziiert.

Hier treffen sich jene Sozialdemokraten, welche die Agenda schon zu Schröders Zeiten für falsch hielten mit den vielen, die meinen, jetzt sei ja wieder Geld da, sodass man den Bedürftigen wieder länger mehr Geld auszahlen könne.

Die gespaltene SPD

In diesem Lager glaubt man weniger an gute Reformen als vielmehr an den guten Staat. Der soll den "Kleinen" nicht nehmen, sondern geben, und er soll schärfstens Investoren, gewinnorientierte Versorgungsbetriebe und Privatisierungen staatlichen Eigentums kontrollieren.

"Soziale Ungerechtigkeit", zumal in Verbindung mit dem Begriff "neoliberal", hat als nahezu magische Floskel im Konflikt auch zwischen den beiden SPD-Lagern - das sind nicht mehr nur Flügel - größte Wirkmächtigkeit gewonnen.

Das erinnert an den Streit um die Nachrüstung und den Begriff "Frieden". Wer damals in der SPD (und außerhalb) für "Frieden" war, musste nicht mehr rational begründen, warum er die Pershings ablehnte, auch wenn das kleiner werdende Schmidt-Lager an ihnen festhielt. Schmidts Regierung fiel damals über die wendebereite FDP, aber auch über das Schisma in der eigenen Partei.

Ein Schisma gibt es jetzt wieder und es ist für die Partei eigentlich zu gefährlich, als dass Müntefering und vielmehr noch Beck vor dieser Zerrissenheit persönliche Machtspielchen veranstalten sollten.

Gerne die rühmliche Vergangenheit im Blick

Es wird nicht ausreichen, wenn die SPD in Hamburg versucht, sich über Korrekturen an einzelnen Punkten der Agenda ein neues, ein "linkeres" Image zu geben. Außerhalb der SPD wird die linke Opposition, organisiert in Lafontaines Linkspartei, ohnehin so lange ähnliche Umfragewerte wie FDP und Grüne erzielen wie die SPD in der Regierung bleibt.

Die westdeutsche Protestlinke, die in der öffentlichen Wahrnehmung die Linkspartei dominiert, bezieht ihre Identität daraus, dass sie die SPD eben nicht mehr für "links" genug hält. Und solange die SPD in einer Regierung mit der CDU ist, werden dies wohl auch um die zehn Prozent der Bevölkerung ähnlich sehen.

Die SPD hat also keinen Grund, sich von der Linkspartei treiben zu lassen. Aber sie wird nicht umhin kommen, den Grundkonflikt in den eigenen Reihen auszufechten. Das aber wird sie vermeiden wollen, solange sie in Berlin mit in der Regierung ist - schon allein weil ein ernsthafter innerparteilicher Richtungskampf die nächsten Wahlen in Bund und Ländern verhageln würde. In Hamburg wird die SPD ihre Vergangenheit und Gegenwart kritisch rühmen. Der Zukunft aber wird sie eher ausweichen.

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