Süddeutsche Zeitung

Pandemie:Die Impfzentren verschwinden

Die meisten Bundesländer schließen zum Jahresende ihre letzten Impfzentren. Sie waren teuer, aber effektiv: Ohne sie hätten nicht so schnell Millionen Menschen geimpft werden können.

Von Max Ferstl und Berit Uhlmann, München/Stuttgart

Vor ein paar Tagen konnte das Impfzentrum Mainz noch eine kleine Erfolgsmeldung verbuchen. Am 20. Dezember wurde hier die 175 000. Impfung verabreicht. Die stolze Zahl wirkte wie ein vorweggenommener Abschiedsgruß, es war ja zuletzt nicht mehr viel los im Impfzentrum Mainz. Im November kamen nur noch 150 Menschen am Tag. Und seit Freitagnachmittag kommt niemand mehr. Die letzten Mitarbeiter wurden verabschiedet, das Gebäude soll abgerissen werden. Endgültiger kann ein Impfzentrum kaum verschwinden.

Aber die Zentren verschwinden überall. In Berlin schließt zum Jahresende die letzte Einrichtung im Ring-Center. Im Münchner Impfzentrum im Gasteig werden am 31. Dezember die letzten Spritzen aufgezogen. Das Impfzentrum Trier befindet sich schon seit März im Stand-by-Modus. Eine Ausnahme ist Schleswig-Holstein, wo sie bis zum 31. März noch sieben Einrichtungen weiterbetreiben wollen. Der Großteil Deutschlands nimmt hingegen Abschied von seinen Impfzentren, und wer die Stellungnahmen der Gesundheitsminister liest, kann den Eindruck bekommen, dass dieser Abschied nicht allzu schwer fällt.

95 Millionen Spritzen

Der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) zum Beispiel sagte im November, als er das Aus für die 22 verbliebenen Einrichtungen zum Jahresende verkündete, dass der Andrang in den Impfzentren zuletzt gering gewesen sei. Künftig sollen sich die niedergelassenen Ärzte um die Corona-Impfung kümmern. Hoch gab sich optimistisch, dass keine "Versorgungslücke" entstehen werde.

Mit den Impfzentren verschwindet auch ein Symbol der Pandemie. In Messehallen, ehemaligen Kasernen und Schwimmbädern, in Containern oder am stillgelegten Flughafen Berlin-Tegel: Mehr als 400 solcher Anlaufstellen wurden in Deutschland während der Pandemie errichtet. Zusammen mit den Betriebsärzten setzten die Impfzentren etwa 95 Millionen Spritzen, bilanziert das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland. Dabei ist der Beitrag der Betriebsärzte an der Impfkampagne gering, laut Robert-Koch-Institut waren sie in ihren aktivsten Monaten für etwa fünf Prozent aller Impfungen verantwortlich, in den anderen Monaten für viel weniger. Die Impfzentren haben damit fast die Hälfte aller Corona-Impfungen verabreicht.

Ohne diese zentralen Stellen wäre die deutsche Impfkampagne wohl sehr viel schleppender verlaufen. Das zeigten besonders drastisch die letzten Monate des Jahres 2021. Nachdem ein großer Teil der Impfzentren zum 30. September 2021 geschlossen worden war, stiegen wenig später die Corona-Zahlen auf neue Höchstwerte. Es musste in großer Eile eine Booster-Kampagne ins Leben gerufen werden. Während manch verbliebenes Impfzentren an seine Grenzen gelangte, mahnte die Kassenärztliche Bundesvereinigung, dass "nicht jeder sofort und gleich geimpft werden" könne. Das Zentrum im bayerischen Haar beispielsweise war zeitweise das einzige noch geöffnete Impfzentrum im Landkreis München. Menschen aus 29 Kommunen kamen hierher, standen über Stunden in Regen und Kälte an - und gelangten doch nicht immer an die begehrte Spritze. Obwohl es genügend Impfstoff gab, sagten damals etwa 30 Prozent der Bundesbürger, dass es extrem oder sehr schwer sei, eine Covid-Impfung zu bekommen.

Anknipsen, ausknipsen

Der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn forderte dann im November vergangenen Jahres die Bundesländer auf, ihre Impfzentren wieder zu öffnen - eine Volte, die viel Irritation und Kritik hervorbrachte. Ein Impfzentrum sei "keine Taschenlampe", die je nach Stimmungslage aus- und wieder angeknipst werden könne, kritisierte beispielsweise der Deutsche Städtetag.

Am Ende wurden viele Impfzentren wieder hochgefahren. Sie blieben bis zum Ende dieses Jahres geöffnet, obwohl die Nachfrage zum Schluss nur noch gering war. Seit April 2022 verabreichten die Zentren nach der Statistik des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in den meisten Wochen weniger als 100 000 Impfungen. In ihren Hochzeiten impften die Zentren mehr als drei Millionen Menschen pro Woche, die Arztpraxen sogar fast fünf Millionen pro Woche.

Teuer und nutzlos nannte der Bayerische Hausärzteverband diese "Parallelstruktur". Tatsächlich sind die Impfungen in den Zentren teurer als in den Praxen. Nach Schätzungen des Bundesamts für Soziale Sicherung kostete der Betrieb der Impfzentren Bund und Länder zusammen mehr als sechs Milliarden Euro. Für die Vergütung der niedergelassenen Ärzte fielen insgesamt 2,7 Milliarden Euro an. Die Diskrepanz erklärt sich damit, dass für die Impfzentren auch Miet- und Technikkosten anfallen und die Mitarbeiter pro Stunde vergütet werden, egal wie viele Kunden kommen. Arztpraxen dagegen werden pro Spritze bezahlt.

Dass nun zum Jahresende massenhaft Impfzentren schließen, hat denn auch mit Geld zu tun. Allein im kleinen Rheinland-Pfalz etwa haben die Impfzentren und mobilen Impfteams mehr als 200 Millionen Euro gekostet. Bisher teilten sich Bund und Länder diese Kosten, doch zum neuen Jahr zieht sich der Bund aus der Finanzierung zurück. Die meisten Bundesländer wollen sich die teuren und kaum noch besuchten Einrichtungen nicht mehr leisten.

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