Corona:Eine lästige Pflicht

Corona: In Pflegeheimen - wie hier in Heidelberg - gehen Mitarbeiter mit Menschen um, die das Coronavirus besonders gefährdet.

In Pflegeheimen - wie hier in Heidelberg - gehen Mitarbeiter mit Menschen um, die das Coronavirus besonders gefährdet.

(Foto: Ute Grabowsky/Imago)

Wer in Kliniken und Pflegeheimen arbeitet, muss sich gegen Covid impfen lassen. So steht es im Gesetz. Doch die Wirklichkeit sieht oft anders aus. Ob die Vorschrift eingehalten wird, hängt vom jeweiligen Bundesland ab - und lässt sich von den Behörden kaum überprüfen.

Von Rainer Stadler

Im Oberbergischen Kreis nahe Köln hat die einrichtungsbezogene Impfpflicht erste Spuren hinterlassen. Für 24 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sprach das Gesundheitsamt ein Betretungs- oder Tätigkeitsverbot aus. Auch das Brandenburger Gesundheitsministerium bestätigte Anfang der Woche, dass zwei Beschäftigten des Gesundheitswesens die Weiterarbeit untersagt worden sei. In Baden-Württemberg haben Behörden mehr als 450 Bußgeldverfahren gegen Personal aus Einrichtungen eingeleitet, die gegen die Teil-Impfpflicht verstoßen. Ganz so wirkungslos scheint das Gesetz doch nicht zu sein, wie Kritiker noch vor Kurzem unkten. Verstummt ist die Kritik dennoch nicht, aus gutem Grund.

Wie stark die Sanktionen ausfallen und ob überhaupt welche ausgesprochen werden, hängt nämlich bisher vom Bundesland ab. Bayern hat sich früh festgelegt, das Gesetz mit "Augenmaß" auslegen zu wollen. Und in Sachsen dürfen mit dem Segen der Gesundheitsministerin Tausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kliniken und Pflegeeinrichtungen weiterarbeiten, obwohl sie weder einen Immunitätsnachweis vorlegen konnten noch ein ärztliches Attest, "dass sie auf Grund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 geimpft werden können". Das aber hätten sie laut Paragraf 20a des Infektionsschutzgesetzes tun müssen, um arbeiten zu dürfen.

Aber ein Gesundheitsamt muss Verstöße nicht sanktionieren, betont das Bundesgesundheitsministerium. Bei allen Entscheidungen seien "im Rahmen der Ermessensausübung alle relevanten Umstände zugrundezulegen". Insbesondere seien "auch die personelle Situation in der Einrichtung und eventuell drohende Versorgungsengpässe" zu berücksichtigen. Genau das ist in Sachsen geschehen: Den 3200 ungeimpften Beschäftigten hat das für sie zuständige Gesundheitsamt bescheinigt, dass sie unverzichtbar sind.

Kritiker sehen in der Vorschrift "ein bürokratisches Monster"

Aus Sicht von Gerald Gaß, dem Vorsitzenden der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), ist diese Praxis "nicht hinnehmbar". Die Umsetzung des Gesetzes sei "völlig uneinheitlich und damit ungerecht". Nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern "sogar von Gesundheitsamt zu Gesundheitsamt gibt es unterschiedliche Auslegungen und unterschiedliche Handlungsweisen", klagt Gaß. Dazu komme die Mehrarbeit für die Kliniken. Sie müssten Impfnachweise prüfen und an die Gesundheitsämter melden, die einrichtungsbezogene Impfpflicht sei "ein bürokratisches Monster".

Das sehen die Mitarbeiter der Gesundheitsämter ähnlich. Kristina Böhm leitet die Behörde in Potsdam und gehört dem Vorstand des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) an. Sie sagt, das Problem mit dem Gesetz beginne schon bei der Frage, für wen es eigentlich gelten soll. Für das Personal von Kliniken, Altenheimen, ambulanten Pflegediensten, Arztpraxen oder Rettungsdiensten, heißt es unter anderem in Paragraf 20a.

Für die Kontrolle fehlt den Ämtern das Personal

Klingt einfach, ist es aber in der Praxis nicht, erklärt Böhm. Viele Kliniken hätten längst wichtige Aufgaben an Fremdfirmen ausgelagert, etwa die Reinigung oder die Essensversorgung. Müssen diese Firmen auch melden, wer aus ihrer Belegschaft nicht geimpft ist? Und was ist überhaupt mit den Beschäftigten in der Verwaltung, die keinerlei Kontakt zu Patienten haben: Ist es wirklich verhältnismäßig, sie zu einer vollständigen Impfung zu verpflichten? Das sind Fragen, die Böhm und ihre Amtskollegen in Deutschland derzeit beschäftigen.

In Kraft trat das Gesetz am 16. März dieses Jahres. Seitdem sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Einrichtungen des Gesundheitswesen verpflichtet, einen Impfnachweis zu erbringen. Alternativ gilt auch der Genesenenstatus, allerdings nur von Tag 28 bis Tag 90 nach Ansteckung. Oder eben eine ärztliche Befreiung. Die Einrichtungen sollten den Gesundheitsämtern melden, wer diese Nachweise nicht erbringen kann. Schon das zog sich länger hin als ursprünglich geplant, die Ämter wurden mit Unterlagen überschwemmt. Ob die Einrichtungen tatsächlich alle Ungeimpften gemeldet haben, steht allerdings in den Sternen.

In Köln etwa verzeichnete das Gesundheitsamt Meldungen für 3566 Mitarbeiter aus 372 Einrichtungen. Die stellvertretende Amtsleiterin sagt, das entspreche in etwa ihren Schätzungen. Von den großen Krankenhäusern der Stadt wisse man ja, dass die große Mehrheit der Ärzte und Pflegekräfte geimpft sei. In anderen Städten geht die Rechnung nicht auf. Kristina Böhm vom Gesundheitsamt Potsdam etwa sagt, die Zahl der gemeldeten Fälle "korreliert leider nicht mit dem, was zu erwarten wäre". Aber für eine Kontrolle der Angaben in den Einrichtungen fehlt das Personal.

Die Bundesregierung hält an der Regel fest

Das gilt auch für die Frage, ob ungeimpfte Mitarbeiter für einen Betrieb unverzichtbar sind - und deshalb nicht zur Impfung verpflichtet werden können. Das entscheidet letztlich die Einrichtung selbst. "Wir können das unmöglich prüfen", sagt Amtsleiterin Böhm, "wir haben ja noch nicht einmal Einblick in die Dienstpläne der Einrichtungen."

Kann ein Gesetz überhaupt funktionieren, wenn über seine Einhaltung ausgerechnet die Branche mitentscheidet, die dieses Gesetz nie wollte? Pflegeeinrichtungen und -verbände liefen von Anfang an Sturm gegen die Einführung der Teilimpfpflicht - obwohl unbestritten war, dass in den Alten- und Pflegeheimen die Menschen leben, für die eine Infektion besonders bedrohlich ist.

DKG-Chef Gaß sagt, er habe das Gesetz anfangs befürwortet, weil er sich davon "in der Delta-Welle eine hohe Schutzwirkung auch für die vulnerablen Gruppen im Krankenhaus erwartet" habe. Aber mit der Verbreitung der Omikron-Varianten diene die Impfung "praktisch nur noch dem Selbstschutz". Deshalb fordert er, die Impfpflicht auszusetzen. Die Bundesregierung sieht dazu keinen Anlass: Sie erwägt, die lästige Pflicht, die Ende Dezember auslaufen sollte, demnächst zu verlängern.

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