Süddeutsche Zeitung

Pandemiepolitik:Ist die Impfpflicht für Pflegepersonal noch sinnvoll?

Die Krankenhausgesellschaft meint: nein. Und auch in der Regierungskoalition scheint der Rückhalt für die umstrittene Regelung zu schwinden.

Von Angelika Slavik, Berlin

Mit älteren oder kranken Menschen zu arbeiten und dabei selbst nicht gegen das Coronavirus geimpft zu sein, ist in Deutschland seit viereinhalb Monaten verboten. Mitte März trat die einrichtungsbezogene Impfpflicht in Kraft - doch jetzt mehren sich die Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Regelung.

So sprach sich die Deutsche Krankenhausgesellschaft am Mittwoch überraschend deutlich für das Ende dieser Teil-Impfpflicht aus. "Sie weiterzuführen, ist nach jetzigen Erkenntnissen weder sinnvoll noch vermittelbar", sagte die stellvertretende Vorstandsvorsitzende Henriette Neumeyer dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Die Krankenhausgesellschaft hatte sich bisher stets für die Impfpflicht eingesetzt. Mit der Omikron-Variante seien aber viele Argumente für die Regelung hinfällig geworden, sagte Neumeyer. Auch in Union und Linkspartei gab es in den vergangenen Tagen kritische Stimmen.

Konkret lassen zwei Aspekte viele politische Entscheidungsträger an der Impfpflicht zweifeln. Zunächst schützt die Impfung - zumindest bei den aktuell dominierenden Virusvarianten und den eingesetzten Vakzinen - nicht so stark davor, das Virus weiterzugeben, wie das noch bei der Delta-Variante der Fall war.

Und dann ist da der Mangel an Pflegepersonal. Verlässliche Zahlen darüber, ob und wie viele Menschen den Beruf verlassen haben, weil sie sich nicht impfen lassen wollten, sind nicht zu bekommen. Bekannt ist aber, dass die Impfpflicht in vielen Bundesländern nicht oder nicht konsequent durchgesetzt wird - aus Sorge, der Personalmangel in der Pflege könnte so noch verschlimmert werden.

Innerhalb der Ampel-Koalition ist das Thema heikel. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht ist im Infektionsschutzgesetz geregelt und würde Ende des Jahres automatisch auslaufen, wenn nichts anderes vereinbart wird. Das Infektionsschutzgesetz wiederum ist seit Wochen Gegenstand harter Verhandlungen zwischen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Ende dieser oder Anfang nächster Woche wollen beide eine Einigung präsentieren. Lauterbach sagte am Mittwoch vor Journalisten, die Teil-Impfpflicht werde "derzeit hier im Haus nicht so diskutiert, als dass wir sie beenden wollten". Ob sie aber über das Jahresende hinaus verlängert werde, "wird noch zu entscheiden sein".

"Keinerlei Anlass, die Isolationsregeln zu verändern"

Andrew Ullmann, der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, wird deutlicher: Er halte eine Verlängerung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht "aus heutiger Sicht für unwahrscheinlich", so Ullmann zur SZ. Die Entscheidung hänge auch mit der Pandemielage, den verfügbaren Impfstoffen und den dominierenden Virusvarianten zusammen. Bedeutet: Eine neue Mutante im Herbst könnte die Spielregeln wieder grundlegend verändern.

Das gilt allerdings nicht nur für die Impfpflicht, sondern für alle Corona-Schutzmaßnahmen im Herbst. Zuletzt mehrten sich Forderungen von FDP-Politikern, die Isolationspflicht für Corona-Infizierte zu beenden. Bislang muss, wer positiv auf das Virus getestet wird, sich mindestens fünf Tage isolieren. Der stellvertretende Parteichef der Liberalen, Wolfgang Kubicki, forderte aber, dass künftig auch Infizierte zur Arbeit kommen dürften, wenn sie sich gesund fühlten.

Dieser Idee erteilte Lauterbach am Mittwoch eine deutliche Absage. So ein Schritt würde die Pandemie nur beschleunigen. Es gebe derzeit "keinerlei Anlass, die Isolationsregeln zu verändern".

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