Süddeutsche Zeitung

Fragenkatalog an Spahn:Antworten in kleinen Dosen

Die SPD verlangte von Jens Spahn Auskunft über den schleppenden Impfstart. Das Gesundheitsministerium hat den Fragenkatalog nun abgearbeitet. Die Diskussionen werden davon nicht weniger - doch dafür gibt es bald mehr Impfstoff.

Von Nico Fried

Das Dokument hat alles in allem 30 Seiten. Der Zeilenabstand ist eng, die Schrift nicht besonders groß, und es finden sich darin jede Menge Tabellen. Die Antwort des Gesundheitsministeriums von Jens Spahn (CDU) auf einen Fragenkatalog von Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) und den Ministerpräsidenten der sozialdemokratisch geführten Länder kommt ziemlich unspektakulär daher und enthält doch eine gewisse Brisanz.

Denn das demonstrative Auskunftsbedürfnis der SPD hatte Anfang Januar für reichlich Ärger in der schwarz-roten Bundesregierung gesorgt. Aber eigentlich geht es um viel mehr als um koalitionspolitisches Geplänkel. Es liegt nun die offizielle schriftliche Stellungnahme zu einem schwerwiegenden Vorwurf auf dem Tisch: Hätte die Bundesregierung mehr und schneller Impfstoff beschaffen können?

Die EU stehe sehr gut da, schreibt Spahn

Unterm Strich fällt die Antwort nicht überraschend aus, schließlich war nicht zu erwarten, dass Jens Spahn sich selbst eines Fehlers bezichtigen würde. "Die derzeit begrenzte Verfügbarkeit von Covid-19-Impfstoffen ist nicht auf eine zu niedrige Gesamtmenge bestellter Impfdosen zurückzuführen", heißt es gleich zu Beginn. Ursächlich für den Mangel seien die "weltweit begrenzte Menge an Produktionskapazitäten" sowie unterschiedliche Fortschritte der Unternehmen, die sich an der Impfstoff-Entwicklung beteiligen. Mit diesem Argument hat sich der Gesundheitsminister bereits in den vergangenen Wochen gerechtfertigt, unter anderem in einer Regierungserklärung vor dem Bundestag.

Deutschland hatte sich bereits im Frühjahr zunächst mit Frankreich, Italien und den Niederlanden zu einer Impfstoff-Allianz zusammengeschlossen. Weil immer mehr europäische Länder sich daran beteiligen wollten, übertrug man schließlich die Zuständigkeit für die Beschaffung auf die EU-Kommission. Dieser europäische Weg wird zwar von Kritikern als die eigentliche Fehlentscheidung der Bundesregierung gesehen. Dieser Lesart hat sich die SPD allerdings nicht angeschlossen. Auch sie verteidigt die gemeinsame Beschaffung des Impfstoffs durch die EU.

Für die Analyse im Detail sind die Fragen 2b, 3 und 4a von besonderer Bedeutung. So wollten die Sozialdemokraten vom Gesundheitsminister wissen, warum die EU-Kommission im Vergleich zu anderen Staaten "insgesamt so wenige Dosen vorbestellt" habe. Jens Spahn hat diese Frage nach Brüssel weitergereicht und diese Antwort von der Kommission erhalten: "Wir standen schon sehr früh in Verhandlungen mit Biontech/Pfizer." Man habe bereits 300 Millionen Dosen Impfstoff gesichert, "bevor überhaupt klar war, dass er so effektiv sein würde". Später habe man die Option auf 300 Millionen weitere Dosen erworben. Die gesamte Menge werde im Laufe des Jahres 2021 geliefert.

Warum die USA schneller den Biontech-Impfstoff erhalten? Dazu gibt das Papier interessante Einblicke

Auch das Gesundheitsministerium sieht keinen Anlass, die Verhandlungsstrategie der EU zu kritisieren. "Die EU steht mit ihrer Auswahl der Impfstoffhersteller und den getroffenen Vereinbarungen sehr gut da", heißt es in dem Papier. Wenn alle Präparate der Hersteller, mit denen man Verträge geschlossen habe, in Europa zugelassen würden, stünden den 450 Millionen Europäern mehr als zwei Milliarden Impfstoffdosen zur Verfügung. Was das Ministerium nicht schreibt: Bei einigen Herstellern ist es noch offen, wann sie die Zulassung in Europa überhaupt beantragen können.

Zum Vergleich mit anderen Staaten, die offenkundig früher über mehr Impfstoff verfügten, gibt das Papier aus dem Gesundheitsministerium nur an zwei Stellen interessante Einblicke. So wird die hohe Menge an Impfstoff, die sich die britische Regierung gesichert hat, mit dem "weitgehenden Verzicht auf Haftungsansprüche gegenüber den Unternehmen" zurückgeführt. Und mit Blick auf die Bevorzugung der USA durch den Biontech-Partner Pfizer heißt es, dass die Versorgungssituation in den USA durch eine "Executive Order" von US-Präsident Donald Trump vom 8. Dezember 2020 geprägt werde.

Danach wurden die Produktionsstätten in den USA angehalten, Impfstoff zunächst für die Versorgung im eigenen Land zur Verfügung zu stellen. Deshalb müssten die europäischen Produktionsstätten von Pfizer auch für die gesamte restliche Welt produzieren. "Die Unternehmen sowie die Bundesregierung sind bestrebt", heißt es in dem Papier ein wenig hilflos, "mit der neuen US-Administration in Gespräche einzutreten, um Anpassungen zu erreichen."

Und was ist mit den Berichten, wonach Biontech und Moderna der EU zwischenzeitlich sehr viel höhere Dosen angeboten hätten, diese aber abgelehnt worden seien? Biontech-Gründer Uğur Şahin hatte sich darüber Ende Dezember in einem Spiegel-Interview verwundert gezeigt. Die Kommission antwortet jetzt: "Die EU hat alle Dosen zum frühestmöglichen Zeitpunkt gekauft."

Wann dieser Zeitpunkt liege, so ergänzt das Gesundheitsministerium, sei aber nicht allein von der Bestellmenge abhängig, sondern auch von Lieferfristen, Lieferkonditionen, dem Preis, der Höhe der notwendigen Anzahlung sowie Haftungsfragen. Details nennt das Ministerium nicht; so bleibt weiter unklar, ob die Bereitschaft, mehr Geld zu bezahlen, auch zu größeren und schnelleren Lieferungen geführt hätte.

Am Ende des Papiers geht das Ministerium auch noch auf die Probleme ein, die bei der Lieferung von bereits zugesagten Mengen des Biontech-Impfstoffs entstanden sind. Die Firma Pfizer hatte am 14. Januar 2021 völlig unvermittelt darüber informiert, dass das Werk Puurs in Belgien bis Mitte Februar zur Steigerung der Kapazitäten umgebaut werde und es dadurch die angekündigte Menge an Impfstoff für die folgenden Wochen nicht vollständig liefern könne.

Spahn hatte daraufhin eine Telefonschaltkonferenz mit den Landesgesundheitsministern einberufen, an der auch der Finanzvorstand und operative Geschäftsführer von Biontech teilnahm. "Mit Bedauern und Unverständnis wurde die sehr kurzfristige und unerwartete Mitteilung zur Kenntnis genommen", heißt es aus dem Gesundheitsministerium.

Am Dienstagmittag dann meldete sich das Gesundheitsministerium mit einem neuen Stand. Biontech/Pfizer hat die Bundesregierung darüber informiert, dass die Menge der nicht gelieferten Dosen wegen der Umbauarbeiten in Puurs geringer ausfallen soll, als zunächst befürchtet: Zwar bekommen die Bundesländer in der kommenden Woche statt der geplanten 667875 dann nur 485550 Impfdosen. Dafür, so das Gesundheitsministerium, würden den Bundesländern in dieser Woche noch 26 Prozent mehr Impfdosen als geplant geliefert, insgesamt 842.400. Ab Anfang Februar liege die Liefermenge dann konstant über Plan. Am 1. Februar rechnet das Unternehmen mit zwei Prozent, am 8. und am 15. Februar mit jeweils elf Prozent und am 22. Februar mit 36 Prozent mehr Dosen als geplant. Die Berechnungen beruhten darauf, dass ab dieser Woche sechs statt bisher fünf Dosen aus einem Impfampulle gezogen werden können. Doch auch ohne diese zusätzliche Portion, so das Ministerium, liege die Liefermenge ab Mitte Februar 13 Prozent über Plan.

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