Impeachment:Die Wut, und was daraus folgt

Security Tight On Capitol Hill After Invasion Of U.S. Capitol

In der Nähe des Kapitols: eine improvisierte Gedenkstätte für Brian Sicknick, den bei dem Überfall am Mittwoch ums Leben gekommenen Polizisten.

(Foto: Al Drago/AFP)

Viele bei den US-Demokraten sind entschlossen, ein zweites Verfahren zur Amtsenthebung von Trump zu beginnen. Aber einer ihrer Senatoren weist darauf hin, dass dies auch ein Risiko bedeutet.

Von Alan Cassidy, Washington

Vielleicht tut Donald Trump ja doch noch das, wozu ihn viele aufgerufen haben, und zwar längst nicht nur im demokratischen Lager. Vielleicht erspart er seinem Land eine letzte, zermürbende Schlacht um seine Präsidentschaft - und tritt noch vor Ablauf seiner Amtszeit zurück. Anzeichen dafür gibt es allerdings keine. Trump bleibt eingebunkert im Weißen Haus, und wenn nicht alles täuscht, wird er bis am Mittag des 20. Januar Präsident der Vereinigten Staaten bleiben, mit allen Unwägbarkeiten und Gefahren, die damit verbunden sind. Aus freien Stücken wird Trump also keinen Preis dafür zahlen, was ein Mob in seinem Namen beim Sturm auf das Kapitol angerichtet hat.

Die Politiker in Washington zwingt das zu der Frage: Wie ziehen sie den Präsidenten zur Rechenschaft? Es sind vor allem die Demokraten, die sich diese Frage stellen. Dabei steigt die Chance, dass sie in den kommenden Tagen zum zweiten Mal ein Impeachment-Verfahren gegen Trump einleiten werden. Unter den Abgeordneten der Partei ist die Wut über die Ereignisse vom 6. Januar riesig. Am Wochenende zeichneten mehrere Medien in detaillierten Rekonstruktionen nach, wie knapp der Kongress einer noch größeren Katastrophe entging. Wären die Eindringlinge bei ihrem Zug durch die Hallen und Gänge des Kapitols auf einige der Parlamentarier gestoßen, die sich in Sicherheit gebracht hatten: Es hätte wohl übel geendet. "Es sind Menschen gestorben", sagte der demokratische Abgeordnete Jamie Raskin in der New York Times. "Wir können darauf nicht bloß mit einer scharf formulierten Stellungnahme antworten." Wenn Trump nicht zurücktrete, müsse ihn der Kongress aus dem Amt entheben.

Pelosi über den Amtsinhaber: "Gestört und gefährlich"

Eine Anklageschrift dazu haben die Demokraten bereits entworfen und veröffentlicht. Darin wird dem Präsidenten die vorsätzliche Anstiftung zu einem gewaltsamen Aufstand gegen die Regierung der Vereinigten Staaten vorgeworfen. Noch hat Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses, keine öffentliche Entscheidung darüber getroffen, ob sie mit dem Impeachment ernst macht. Vieles deutet aber darauf hin, dass sie es tun wird. Trump sei "gestört und gefährlich", sagte Pelosi. Er müsse für sein Verhalten bei dem Angriff auf das Kapitol zur Verantwortung gezogen werden.

Aus Sicht vieler Demokraten im Kongress würde ein Impeachment einen doppelten Zweck erfüllen: Es wäre der ethisch und moralisch begründete Versuch, den Präsidenten für seine Handlungen zu bestrafen. Es wäre aber auch eine Reaktion auf die Stimmung an der demokratischen Basis, bei der nach einer neuen Ipsos-Umfrage 94 Prozent finden, dass Trump sofort aus dem Amt entfernt gehöre. Bei den Amerikanern insgesamt sind es 56 Prozent.

Nächste Sitzung im Senat: am 19. Januar. Frühestens

Ein Impeachment-Verfahren besteht aus zwei Teilen: der Anklage im Repräsentantenhaus und dem Prozess im Senat. Ersteres können die Demokraten nach Belieben beschleunigen, weil sie dort die Mehrheit haben. Auf Anhörungen im Justizausschuss würde die Partei wohl verzichten und die Anklage direkt im Plenum zur Abstimmung bringen. Dort hätten sie vermutlich die Unterstützung einiger weniger Republikaner. Die Kontrolle über den Senat liegt allerdings noch bis am 20. Januar, dem Tag der Vereidigung von Joe Biden und seiner Vizepräsidentin Kamala Harris, bei den Republikanern. Und weil der Senat erst am 19. Januar wieder tagt, würde auch der Prozess gegen Trump frühestens dann beginnen - so hat es der derzeitige Mehrheitsführer Mitch McConnell seinen Kollegen dargelegt.

Der Senat würde also über Trump erst urteilen, wenn dieser nicht mehr im Amt ist. Es geht bei einem zweiten Impeachment deshalb nicht darum, wie Trump in seinen letzten Amtstagen noch eingeschränkt werden kann, es geht vielmehr um eine Aufarbeitung seines Verhaltens.

Republikaner sorgen sich, als Verräter zu gelten

Was eine Verurteilung angeht, sind die Voraussetzungen allerdings immer noch die selben wie beim vergangenen Mal: Es braucht eine Zweidrittelmehrheit im Senat und damit mindestens 17 Republikaner, die Trump gemeinsam mit den Demokraten für schuldig erklären. Bisher gibt es erst zwei Republikaner, die dafür öffentlich - und vorsichtig - ihre Unterstützung in Aussicht gestellt haben. Es ist durchaus möglich, dass diese Zahl wächst.

Mit einer Verurteilung wäre wohl auch ein Verbot für Trump verbunden, je wieder für ein Amt zu kandidieren. Das wäre durchaus im Sinne jener Republikaner, die sich für ihre Partei eine Zukunft ohne Trump wünschen. Aber selbst republikanische Kritiker Trumps sind skeptisch, ob ein Amtsenthebungsverfahren zum jetzigen Zeitpunkt noch praktikabel ist. Und dann bleiben da jene vielen Vertreter, die sich auch nach Trumps Abgang davor hüten werden, in den Augen von dessen Anhängerschaft als Verräter dazustehen, indem sie sich gegen ihn stellen.

Es gibt allerdings auch Demokraten, die Zweifel haben. Ein Impeachment-Prozess würde den Senat auf Wochen hinaus blockieren, sagte Joe Manchin, Senator aus West Virginia. Das Wichtigste sei jetzt aber, dass sich der Senat darum kümmere, Joe Bidens Kabinett zu bestätigen und ein weiteres Corona-Hilfspaket zu verabschieden: "Wir brauchen nicht noch mehr politisches Theater."

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