Süddeutsche Zeitung

Immobilien:Das Haus mit der Falltür

Die Polizei hat das besetzte Gebäude "Liebig34" in Berlin-Friedrichshain geräumt - ein Symbol der linksextremen Szene.

Von Jan Heidtmann und Verena Mayer, Berlin

Paul Geigerzähler ist so etwas wie der Chronist der Hausbesetzerszene rund um die Rigaer- und die Liebigstraße. Am Mittwochabend stand er noch auf dem "Dorfplatz", der Kreuzung beider Straßen. Es war die letzte große Solidaritätsbekundung für das Haus Liebigstraße 34, am Donnerstag wurde die Gegend von der Polizei abgesperrt. Geigerzähler, lange schwarze Haare und ein sehr langer schwarzer Bart, spielte auf seiner Geige und sang: "Wir wollen kratzen, beißen, kämpfen." Es hat nichts geholfen.

Am Freitagvormittag, um 11.26 Uhr, meldete die Polizei das, was Vollzug genannt wird: "Wir haben das Haus in der Liebigstraße 34 gesichert", hieß es auf Twitter. "Ein Bausachverständiger begutachtet aktuell die Räume. Im Anschluss bereiten wir die Übergabe an den Gerichtsvollzieher vor." Es klang wie ein fast alltäglicher Einsatz, doch es war die größte Räumungsaktion der Berliner Polizei seit Jahren. Wie die Rote Flora in Hamburg oder der Stadtteil Connewitz in Leipzig gehört das "anarcha-queer-feministische" Projekt in der Liebigstraße zu den Symbolen der linksextremen Szene. 1500 Beamte aus ganz Deutschland, darunter auch Mitglieder eines Spezialeinsatzkommandos, waren an der Räumung beteiligt.

Am Freitagnachmittag deutet dann auch erst einmal nicht mehr viel auf die Bedeutung der "Liebig34" hin. An den Absperrgittern der Polizei stehen nur mehr ein paar Grüppchen von schwarz-vermummten Demonstranten, die mit Latten rhythmisch auf Mülltonnen eintrommeln, von den Balkonen aus den Nachbarhäusern werden den versammelten Polizisten die Mittelfinger gezeigt.

Am Abend kam es dann noch zu einem Demonstrationszug gegen die Räumung, an dem laut Polizei etwa 1000 Menschen teilnahmen. Dabei flogen Steine in ein Schaufenster und auf die Einsatzkräfte, ein Auto brannte. Die Räumung war umfassend vorbereitet worden. Bereits in der Nacht hatten sich Polizisten auf den Dächern um die Liebigstraße 34 herum postiert, um sechs Uhr am Morgen war die Polizei mit Räumfahrzeugen und Wasserwerfern vorgefahren. Mit Hilfe einer Rampe, Brecheisen, Kettensägen und einem Gerüst verschafften sie sich Zutritt zu dem gut gesicherten Haus. Alles sei relativ ruhig verlaufen, sagt ein Polizeisprecher, selbst die 50 Bewohnerinnen haben sich weitgehend ohne Widerstand herausbringen lassen.

Im Innern des Hauses ist noch das Labyrinth aus Sperren und Fallen gegen die Beamten zu erkennen. Wenn man die Treppen hochsteigt, muss man unter einer schweren Falltür hindurch, die auf jeden herabgerasselt wäre, der nach oben will. Die Polizei hatte sich über Umwege durch das Gebäude gearbeitet und Ziegelwände durchbrochen. Wohin man auch blickt, kaputte Treppen, ausgehängte Türen, Schutt und Müll. Nur Graffiti an den Wänden und die Hinterlassenschaften der Bewohner erzählen noch davon, was hier einmal los war. Anarchiezeichen, Hammer und Sichel, auf dem Boden liegen Broschüren mit dem Titel "Anarcho-Feminismus".

Die Liebigstraße 34 gehörte zu den etwa 130 leer stehenden Häusern in Ostberlin, die nach der Wende besetzt worden waren, in die Räume zogen Künstler, Studenten, Linke aus ganz Berlin. 2008 wurde das Haus zwangsversteigert und von einem Investor gekauft. Damit begann eine Reihe von Klagen, Räumungsversuchen und Gerichtsverfahren, 2019 endete ein erster Räumungsversuch mit Tumulten.

Auch deshalb glaubt die Polizei nicht, dass die Räumung schon das Ende der "Liebig34" bedeutet. "Wir rechnen mit weiteren Protesten in der kommenden Woche", sagt Polizeisprecher Martin Hallweg. Bezogen auf die Liebigstraße 34 fügte er hinzu: "Eigentum verpflichtet, wenn wir das Haus übergeben haben, ist die Sicherung Aufgabe des Eigentümers."

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Quelle:
SZ vom 10.10.2020
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