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Imageprobleme: Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Ökonomen fordern mehr wirtschaftspolitischen Mut von Berlin. Die Großkonzerne müssten zudem ihre Krisen und Skandale schneller bewältigen.

Von Claus Hulverscheidt

"Wir Deutschen", so hat Wolfgang Schäuble dieser Tage gewohnt scharfsinnig analysiert, "neigen manchmal zum Belehren." Es gibt kaum jemanden, der kompetenter hätte Auskunft geben können zu diesem Thema als der amtierende Bundestagspräsident und ehemalige Finanzminister. Schäuble selbst, das kann man so sagen, hat es über die Jahre in dieser Disziplin zu einigem Erfolg gebracht.

Immer öfter jedoch regt sich in den Partnerstaaten rund um den Erdball Unmut über diese Deutschen. Denn deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitiker sind zwar ausgezeichnet darin, andere zu ermahnen und zu maßregeln, stellen sich aber gerne dumm, wenn es darum geht, selbst Ratschläge anzunehmen. Und hiesige Konzernmanager haben zuletzt vor allem dadurch von sich reden gemacht, dass sie Trends verschliefen, Skandale produzierten, toxische Firmen zukauften oder Traditionshäuser wie die Deutsche Bank zugrunde richteten. "Die Bundesrepublik hat dieses Oberlehrer-Image, das viele nervt", sagt ein deutscher Mitarbeiter einer großen europäischen Institution, dabei werde die Lücke zwischen moralischem Anspruch und ökonomischer Wirklichkeit immer größer. "Wir müssen aufpassen, dass das nicht zu viel wird."

Apple und Facebook, Amazon und Alibaba, Google und Huawei dominieren den Markt

Deutschlands Ruf leidet: in den USA, wo die Deutschen bis weit in liberale Kreise hinein "gewissermaßen als Schnorrer gelten, die sich auf Kosten anderer verteidigen lassen und ihren Wohlstand zu Lasten Dritter mehren", wie ein Mitarbeiter eines führenden Washingtoner Wirtschaftsinstituts sagt; bei den Franzosen, die sich immer noch fragen, ob Berlin jemals auf die Reformideen von Präsident Emmanuel Macron für die Euro-Zone antworten wird; bei Ökonomen im In- und Ausland, die seit Jahren vergeblich fordern, dass die Bundesrepublik mehr Geld in Bildung, Infrastruktur und digitalen Ausbau steckt, ihren immensen Exportüberschuss auf ein vernünftiges Maß reduziert, weniger knausert und endlich Verantwortung für das globale Wachstum übernimmt. Da kommt einiges zusammen. "Deutschland hat eine starke Volkswirtschaft, könnte aber viel kräftiger wachsen, wenn es mehr Dynamik, mehr Investitionen und mehr Risikobereitschaft gäbe", heißt es bei einer großen internationalen Institution. Die Bundesrepublik schöpfe notorisch ihr Potenzial nicht aus, die einzige Disziplin, in der sie Weltspitze sei, sei beim Sparen.

Das Paradoxe ist, dass vor allem das Ansehen von Angela Merkel vielerorts unverändert hoch ist, ja, dass manche gar Angst vor dem Abschied der ewigen Kanzlerin und einem möglichen Machtvakuum in Europa haben. Zugleich steht ihre fast eineinhalb Jahrzehnte währende Regentschaft, in der sie vier französische und drei US-Präsidenten erlebte, für einen bleiernen wirtschaftspolitischen Stillstand, für eine Zeit, in der sich Deutschland nach der aufreibenden Zeit der Hartz-Reformen allein auf ausgeglichene Haushalte, das Verteilen von Sozialleistungen und das Managen von Krisen verlegte. Als Merkel 2005 ins Amt kam, gab es noch kein iPhone und keine sozialen Netzwerke heutiger Prägung, da wurden Waren statt bei Amazon noch in echten Läden gekauft und Autos ausschließlich von Menschen gelenkt. Heute sind es Apple und Facebook, Amazon und Alibaba, Google und Huawei, die die Branchen der Zukunft dominieren, die einst so stolze deutsche Wirtschaft hingegen hat sich zumeist in Nischen zurückgezogen.

Dabei ist es wohl so, dass es ausgerechnet Deutschlands frühere Erfolge sind, die den Firmen heute die Eroberung neuer Märkte erschweren, schließlich ist es naturgemäß leichter, mit einem neu gegründeten Unternehmen wie Tesla von Beginn an auf Elektromoblität zu setzen als alte Tanker wie VW, BMW und Mercedes zu wenden. Zwar gelten deutsche Oberklassewagen etwa in den USA weiter als schick - gerade die liberalen Eliten an der Ost- und der Westküste bevorzugen aber immer öfter die hippen Elektroautos aus dem kalifornischen Palo Alto. "Wir nehmen Tesla sehr, sehr ernst", sagt der USA-Chef eines deutschen Herstellers, ohne zu erwähnen, dass das beileibe nicht immer so war. Doch mittlerweile hat man in Wolfsburg und Stuttgart, in München und Ingolstadt begriffen, dass die neuen Wettbewerber aus den USA und auch China nicht so einfach wieder vom Markt verschwinden werden.

Der Name Deutsche Bank fällt an der Wall Street fast nur noch, wenn jemand böse Witze macht

Firmen, die die Kurve nur sehr langsam kriegen, sind noch das kleinere Problem. Schlimmer für das Image Deutschlands sind jene Unternehmen, die mit Missmanagement und Skandalen einen Schatten auf die gesamte Republik werfen. Als etwa 2015 die Diesel-Manipulationen bei VW bekannt wurden, waren manche Amerikaner regelrecht entsetzt - gar nicht einmal so sehr wegen der eigentlichen Vorwürfe. Skandale sind die US-Bürger auch von ihren eigenen Firmen gewöhnt. Was sie vielmehr verwirrte, war der Umstand, dass auch die als vermeintlich so korrekt bekannten deutschen Unternehmen in großem Stil schummeln und betrügen. Noch trauriger ist es um die Deutsche Bank bestellt, einst Stolz und Symbol des aufstrebenden Nachkriegsdeutschlands, deren Namen an der Wall Street nur noch fällt, wenn jemand eine Kostprobe seines schwarzen Humors geben will. "Die Deutsche Bank ist ein kompletter Witz", schrieb der New Yorker Finanzanalysedienst Investment Research Dynamics schon 2016. Damals war die ganze Bandbreite der Skandale, in die das Frankfurter Geldinstitut verwickelt ist, noch gar nicht bekannt. Die breite Öffentlichkeit hatte auch noch keinen Schimmer davon, dass die Bank im Streben nach Weltgeltung das einzige Finanzinstitut war, das dem späteren Präsidenten Donald Trump bis zu dessen letztem Arbeitstag als windigem Immobilienunternehmer noch Kredit gab.

Das Tröstliche ist, dass man trotz aller Fehler, die deutsche Regierungsvertreter und Manager in den vergangenen Jahren begangen haben, vielerorts weiter auf das einstige Wirtschaftswunderland hofft. Schließlich gibt es sie noch, die deutschen Weltmarktführer und Spezialanbieter, die allein mit ihrer Herkunft für Qualität und Spitzenleistung bürgen. Und auch politisch ist das Land nicht abgeschrieben: "Es waren Deutschland und Merkel, die Europa aus der Krise geführt haben", heißt es etwa beim Internationalen Währungsfonds (IWF), nicht Frankreich oder Spanien. "Ohne Deutschland wird es auch künftig nicht gehen."

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