Im Schatten der Bundespolitik:Mit Iro in den Gemeinderat

Viele Jugendliche interessieren sich nicht für Kommunalpolitik. Es gibt aber auch jene, die schon mit 18 Jahren für den Gemeinderat kandidieren. Sei es in einer Partei oder auf einer eigenen Liste.

Jan Hendrik Hinzel

Was auf Bundesebene schon sehr schwierig ist, funktioniert auf Kommunalebene nicht unbedingt leichter: Jugendliche für Politik begeistern. Vielen jungen Wählern ist es schlicht egal, dass im Schatten der Bundespolitik auch auf kommunaler Ebene Entscheidungen getroffen werden. In Nordrhein-Westfalen sind es laut einer Umfrage der Landeszentrale für politische Bildung nur 30 Prozent aller Jugendlichen, die sich für Kommunalpolitik interessieren. Ein möglicher Grund: Die Agenda der Gemeinderäte beinhaltet Themen, die für Jugendliche nicht interessant sind. Das liege sicherlich an der Altersstruktur vieler Gemeinderäte, wo die alteingesessenen Mitglieder nur ungern Platz für Nachwuchs machten. Dieser Meinung ist zumindest Nino Niechziol.

Im Schatten der Bundespolitik: Nino Niechziol hat mit den "Jungen Gerlingern" den Einzug in den Gemeinderat geschafft.

Nino Niechziol hat mit den "Jungen Gerlingern" den Einzug in den Gemeinderat geschafft.

(Foto: Foto: oH)

Der gelernte Fachinformatiker kommt aus Gerlingen, einer Stadt bei Stuttgart mit knapp 19.000 Einwohnern. Dort gibt es zwar bereits einen Jugendgemeinderat für die 14- bis 18-Jährigen, dieser kann jedoch keine verbindlichen Entscheidungen treffen und höchstens Anträge beim Gemeinderat einreichen. Dessen Mitglieder machen die eigentliche Politik. Für das Jugendgremium ist Niechziol mit seinen 24 Jahren aber zu alt, für den richtigen Gemeinderat offenbar zu jung: Die etablierten Parteien hatten die guten Listenplätze für die Kommunalwahl am 7. Juni dieses Jahres hauptsächlich an ältere Kandidaten vergeben.

Junge Kandidaten waren meistens an weniger prominenter Stelle vertreten. "Um nach vorne zu rutschen, muss man schon sehr viele Stimmen erhalten", sagt Niechziol. Für ihn war die Lösung des Problems klar: eine eigene Liste nur mit jungen Kandidaten.

Sieben Prozent bei der ersten Wahl

Schon bald stellten sich die 14 "Jungen Gerlinger" nach und nach im örtlichen Lokalblatt vor. Mit Erfolg. Sie erhielten fast sieben Prozent der Stimmen und haben mit Nino Niechziol jetzt ihren ersten Abgeordneten im Gemeinderat. Dort will er aber nicht nur durch seinen Irokesenhaarschnitt auffallen, sondern sich aktiv für die Interessen der Jugendlichen einsetzen.

Diese Interessen herauszufinden, stellt für die "Jungen Gerlinger" kein Problem dar: Die meisten von ihnen waren oder sind selbst noch im Jugendgemeinderat, der Schülermitverwaltung, Jugendcafés und in Vereinen aktiv. Die Hemmschwelle, einen Gleichaltrigen anzusprechen, sei für viele junge Leute nicht so hoch, meint Niechziohl, man sei einfach näher dran. Dadurch könne man die Jugendlichen vielleicht sogar wieder für Politik begeistern.

Nicht alle Jugendlichen scheuen Parteipolitik

Wahrscheinlich konnten die "Jungen Gerlinger" aber auch punkten, weil sie sich auf ihr Thema "Jugend" konzentrieren und keiner Partei nahestehen. Parteipolitik spiele auf kommunaler Ebene zwar ohnehin nur eine geringe Rolle, sagt Nino Niechziol, aber man könne sich eben auch nicht komplett von der Parteilinie lösen. Die Jugendlichen gingen Probleme generell eher pragmatisch an. "Wir wollen schon etwas verändern, aber nicht gleich die gesamte Ideologie einer Partei übernehmen," sagt er weiter.

Amely Krafft hat sich für eine Partei entschieden. Die 20-Jährige sitzt seit Juni für die SPD im Tübinger Gemeinderat, bei der Wahl war sie noch 19. Sie wünscht sich ebenfalls, dass Jugendliche mehr mitentscheiden können. "Ein Jugendgemeinderat reicht nicht", sagt die Studentin, "Wenn man unter 18 ist, wird man doch nicht ernst genommen." Nur Abgeordnete, die selbst jung seien, wüssten über die Belange von Jugendlichen richtig Bescheid. Nino Niechziols Problem der hinteren Listenplätze kennt sie nicht. Von den 40 Plätzen der Tübinger SPD kandidierte sie auf dem elften. "Nur weil jemand weit hinten kandidiert, heißt das nicht, dass er nicht reinkommt," erzählt sie.

Damit hat Amely Krafft zwar recht, schließlich gibt es in Baden-Württemberg die Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens - der Wähler kann hierbei Kandidaten einer Liste mehrere Stimmen geben oder seine Stimmen auf Kandidaten verschiedener Listen verteilen. Dieses Wahlrecht gilt jedoch nicht überall in Deutschland.

Lesen Sie weiter, welche Rolle ein Wahlrecht mit 16 Jahren spielen könnte.

Die Diskussion um ein früheres Wahlalter

Was Nino und Amely geschafft haben, hat die 18-jährige Gülcan Kaya noch vor sich. Sie möchte bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen am 30. August den Einzug in den Gemeinderat von Gelsenkirchen schaffen. Dort tritt sie auf dem siebten Listenplatz der FDP an und hat dennoch so gut wie keine Chance. Panaschieren und Kumulieren gibt es in Nordrhein-Westfalen nicht. Bei der sogenannten starren Liste entfallen die Stimmen automatisch auf die Kandidaten mit den vordersten Listenplätzen. Nur 2,3 Prozent und zwei Plätze holte die FDP bei den Kommunalwahlen im Jahr 2004.

Im Schatten der Bundespolitik: Amely Krafft möchte Jugendliche stärker in politische Prozesse einbeziehen.

Amely Krafft möchte Jugendliche stärker in politische Prozesse einbeziehen.

(Foto: Foto: oH)

Das Land Nordrhein-Westfalen weist aber noch eine andere Spezialität auf: Wählen dürfen dort - wie auch in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern - alle, die das 16. Lebensjahr vollendet haben. Gülcan Kaya könnte also zahlreiche Jungwähler dazu bringen, für sie zu stimmen. Damit ihr das selbst etwas bringt, müssten es allerdings sehr viele Stimmen sein. Würden die Jungwähler die Person und nicht die Partei wählen wollen, wie es bei Kommunalwahlen oft üblich ist, hätten sie umsonst für ihre Kandidatin gestimmt. Es würden nur die FDP-Spitzenkandidaten profitieren.

Junge Gesichter nur für den Wahlkampf?

Jens Walther vom Institut für Deutsches und Europäisches Parteienrecht und Parteienforschung (PRuF) in Düsseldorf sieht im Wahlrecht ab 16 ohnehin nur eine populistische Aktion. Das Argument, ein niedrigeres Wahlalter fördere die Identifikation mit der Politik, hält er für nicht überzeugend. "Das politische Interesse der Jugendlichen muss vorher schon gefördert werden," sagt der Politikwissenschaftler. Dadurch, dass bei allen anderen Wahlen das Wahlalter weiterhin bei 18 Jahren bleibe, würde außerdem der Eindruck vermittelt, Kommunalwahlen seien unwichtig. "Wieso sollten die Jugendlichen reif genug sein, auf kommunaler Ebene mit 16 Jahren zu wählen, auf Bundesebene aber nicht?", fragt er weiter.

"Vielleicht ist es auch einfach Wahlkampftaktik" sagt Walther in Bezug auf Gülcan Kayas guten Listenplatz. Zumindest entspräche das der Parteienlogik "Es ist verlockend zu sagen, du bist bei dieser Wahl nicht dabei, nächstes Mal geben wir dir einen noch besseren Platz." Demnach hätte die Gelsenkirchener FDP eines begriffen: Mit jungen Gesichtern könne man gut Wahlkampf führen. Die Realität bestätigt dies: Zahlreiche Lokalzeitungen berichteten schon über die 18-jährige Deutsch-Türkin.

Die Jugend wird unterschätzt

Amely Krafft steht ebenfalls kritisch zum Wahlrecht ab 16. Viele seien in dem Alter noch nicht reif genug und eigentlich noch ganz froh, bei den Wahlen erst mal zuschauen zu können. Aber auch die Vorwürfe, ihre Generation sei ohnehin politikverdrossen und würde darum nicht wählen gehen, hält sie für zu pauschal. "Es gibt zwar viele Jugendliche, die sich nicht für Politik interessieren, aber das sei schon immer so gewesen," erzählt sie. Sich einbringen würden aber dennoch viele, sei es in der Schule, dem Jugendgemeinderat oder anderen Einrichtungen, nur eben nicht in Parteien.

Möglicherweise liegt die Zukunft in unabhängigen Listen wie den "Jungen Gerlingern." In anderen großen Städten wie Freiburg gibt es solche Listen schon länger.

Nino Niechziol sieht hier eine Hol- und Bringschuld bei den Parteien, aber auch bei der Jugend. Die Parteien dürften die Jugendlichen nicht nur verstärkt als Mitglieder werben, sondern müssten ihnen anschließend auch reelle Chancen bieten, sich einzubringen. Die Jugendlichen auf der anderen Seite sollten solche Chancen dann aber auch annehmen.

In einem ist der Nachwuchspolitiker sich aber sicher: Die Jugendlichen seien unterschätzt: "Unsere Generation hat einiges drauf! Man muss die Kräfte nur mobilisieren."

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