Krisenmanagement im Dioxin-Skandal:Immer billiger und immer mehr

Agrarministerin Ilse Aigner hätte in einer Debatte über die Zukunft der Landwirtschaft die Führung übernehmen können. Aber ihr fehlt der Mut. Stattdessen findet sie sich mit der industriellen Landwirtschaft und scheinheiligen Verbrauchern ab.

Martin Kotynek

Das Konzept klingt gut: schärfere Lebensmittelkontrollen, mehr Personal für die Überwachungsbehörden, konsequentere Strafen, null Toleranz gegenüber denen, die das Vertrauen der Verbraucher missbrauchen. So versprach es schon der damalige Agrarminister Horst Seehofer nach dem Gammelfleisch-Skandal - und so fordert es dessen Nachfolgerin Ilse Aigner nun abermals. Denn in den fünf Jahren seit Seehofers Konzept hat sich gezeigt, dass Aktionspläne, Sofortprogramme und Maßnahmenkataloge für die Landwirtschaft vor allem dazu dienen, die Verbraucher zu beruhigen. Sie sollen suggerieren: Die Politik macht etwas, die Lebensmittel sind sicher.

Verbraucherschutzministerin Aigner praesentiert Dioxin-Aktionsplan

Ilse Aigner kann appellieren und fordern - drohen und vorschreiben kann sie wenig.

(Foto: dapd)

Doch auch für Aigners Aktionsplan gilt: Alle Angaben sind ohne Gewähr. Viele Forderungen der Agrarministerin haben eine zeitlose Eleganz, ihre Umsetzung wäre zu Seehofers Zeiten genauso sinnvoll gewesen, wie sie es heute ist. Doch in weiten Teilen handelt es sich um eine Wunschliste, die so lange unverbindlich bleibt, wie die Bundesländer ihr nicht zugestimmt haben. Aigner kann appellieren und fordern - drohen und vorschreiben kann sie wenig.

Ohne die Länder sind Kernpunkte von Aigners Maßnahmenkatalog, zum Beispiel bessere Kontrollen von Futtermittelbetrieben, höchstens gut gemeint. Bei der Frage, ob ihr Plan als Erfolg gesehen wird, liefert sich die Ministerin in vielen Punkten damit voll den Ländern aus. Einige haben schon mitgeteilt, dass sie mit den Vorschlägen nicht einverstanden sind.

Bezeichnend ist, dass die Ministerin mit ihrem Programm die Chance vergibt, in der größten Krise ihrer Amtszeit wieder wirklich die Initiative zu ergreifen. Aus den Erfahrungen von Horst Seehofer hätte Ilse Aigner lernen können, dass das Ankündigen von schärferen Kontrollen zwar vorübergehend Ruhe in der Öffentlichkeit bewirkt, Lebensmittelskandale aber nicht verhindert. Statt also den nächsten Problemfall quasi einzukalkulieren, hätte die Ministerin die Gelegenheit zur Analyse gehabt, welchen Anteil das derzeitige landwirtschaftliche System daran hat, dass die Kette der Skandale nicht abreißt.

Sie alle passieren in einem System, das darauf ausgerichtet ist, immer schneller immer mehr und immer billigere Lebensmittel hervorzubringen. Dies führt dazu, dass Bauern große Teile ihres Tierfutters möglichst günstig zukaufen, statt es am eigenen Hof zu produzieren-deshalb boomt der Futtermittelmarkt, auch deshalb kommt es zu immer mehr Problemen.

Statt dieses krisenanfällige System mit neuen Vorschriften weiter zu zementieren, hätte die Agrarministerin in einer Debatte über die Zukunft der Landwirtschaft die Führung übernehmen können. Sie hätte viele Verbraucher mit ihrer Scheinheiligkeit konfrontieren können, in Umfragen die großindustriell ausgerichtete Agrarstruktur abzulehnen, um dann im Supermarkt zur Billigmilch zu greifen, an der die bäuerliche Landwirtschaft zugrunde geht. Aber diesen Mut wollte Ilse Aigner nicht aufbringen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: