Ilse Aigner im Interview:"Milch hat für mich die höchste Priorität"

Bundesagrarministerin Ilse Aigner über die Nöte der Bauern, ihren Vorgänger und neue Ziele im Verbraucherschutz.

Daniela Kuhr

Seit sieben Tagen ist Ilse Aigner Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die 43-Jährige folgt auf Horst Seehofer, der als CSU-Chef und Ministerpräsident nach Bayern wechselte. Das Thema Milch habe für sie höchste Priorität, sagt Aigner in ihrem ersten Zeitungsinterview als Bundesministerin. Aber auch den Verbraucherschutz will sie "für die Union noch stärker platzieren".

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(Foto: Foto: AP)

SZ: Frau Aigner, wann genau haben Sie selbst von Ihrem Aufstieg erfahren?

Aigner: Definitiv gewusst habe ich es erst Donnerstag vergangener Woche. Horst Seehofer hatte bis dahin ein großes Geheimnis daraus gemacht.

SZ: Gleich am Tag Ihrer Ernennung meldeten sich Dutzende Organisationen zu Wort: Sie sollen sich um Gentechnik, Milchpreise, Verbraucherrechte oder auch Pestizide kümmern. Was werden Sie als Erstes angehen?

Aigner: Man sagt Frauen zwar nach, dass sie multitasking-fähig sind, aber alles braucht seine Zeit. Mir ist klar, dass die Erwartungshaltung sehr groß ist. Ich habe auch schon vorher gewusst, die jeweiligen Interessen unter einen Hut zu bringen. Die Kunst wird jetzt darin liegen, alle Themen nach und nach aufzugreifen und Lösungen zu finden.

SZ: Wie viele Stunden waren Sie im Amt, als die Milchbauern anklopften?

Aigner: Die waren mit die ersten, die geschrieben haben. Aber das Thema Milch hat für mich ja auch höchste Priorität.

SZ: Auf dem Milchgipfel hat Horst Seehofer den Bauern viel versprochen. Doch jetzt kassierte er eine Niederlage. Der Bundesrat schmetterte am Freitag alles ab. Was sagen Sie dazu?

Aigner: Ich bin enttäuscht von den Ländern. Ich hätte mir gewünscht, dass sie sich an die Vereinbarungen vom Milchgipfel halten. Die haben bei dem Treffen ja alle mit am Tisch gesessen.

SZ: Ist den Bauern überhaupt noch zu helfen?

Aigner: Momentan ist einfach zu viel Milch auf dem Markt. Das ist kein nationales Problem, sondern stellt sich ähnlich auch in anderen Ländern. Ich habe daher bereits Gespräche geführt mit meinen Amtskollegen aus den europäischen Nachbarländern. Wir sollten eine gemeinsame Linie finden für das Treffen der EU-Agrarminister Ende des Monats.

SZ: Um was zu erreichen?

Aigner: Die EU darf die Quote - also die Höchstmenge an Milch, die jeder Landwirt produzieren darf - nicht weiter heraufsetzen.

SZ: Es gibt aber Bauern, die so effizient produzieren, dass sie selbst bei niedrigen Milchpreisen Gewinn machen. Für sie ist die Quote lästig, weil sie gerne mehr produzieren würden.

Aigner: 2015 läuft die Quote aus, das hat die EU bereits vor Jahren beschlossen. Eine Veränderung dieses Beschlusses könnte nur von allen Mitgliedstaaten einstimmig erfolgen. Das ist aber nicht zu erwarten. Ich bin nur dagegen, die Quote jetzt vorher schon schrittweise zu erhöhen ohne flankierende Maßnahmen. Die Landwirte brauchen eine verlässliche Politik. Und dafür will ich mich einsetzen.

SZ: Bei Ihrem Amtsantritt sagten Sie, es sei im Interesse der Verbraucher, dass die Bauern faire Preise erzielen. Sagen Sie das auch einer armen Familie, die jeden Monat sehen muss, wie sie über die Runden kommt?

Aigner: Ich weiß, dass viele Menschen jeden Cent umdrehen müssen. Die Verbraucher haben aber auch ein Interesse an hochwertigen Produkten und damit an einer funktionierenden Landwirtschaft. Dies wiederum garantiert Versorgungssicherheit und Preisstabilität. Ich bin für einen fairen Preis für den Verbraucher und den Landwirt. SZ: Die Discounter nutzen den Preis für Butter und Milch aber als Signal, um zu zeigen, wie billig sie sind.

Aigner: Genau darüber habe ich gerade mit Vertretern des Einzelhandels geredet und appelliert, dass Milch und Milchprodukte nicht als Signalwirkung für Preissenkung verwendet werden. Ein wichtiges Ergebnis des Gesprächs war, dass der Handel entgegen dem öffentlichen Eindruck ein großes Interesse an einem ebenbürtigen Verhandlungspartner auf der Verarbeitungsebene hat. Die Supermärkte selbst wollen nicht den Eindruck erwecken, dass man Produkte von Bauern einfach so zum Schleuderpreis verramschen kann. Wir sind alle auf eine funktionierende Landwirtschaft angewiesen. Wenn unsere Bauern aufgeben, müssen wir aus dem Ausland zukaufen - ohne jeden Einfluss auf die Herstellung oder die Qualität. "Vom Stall bis an den Tisch" - Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Ilse Aigner vom Zuschnitt ihres Ministeriums hält und was sie besser machen will als Horst Seehofer.

"Milch hat für mich die höchste Priorität"

SZ: Müssen Sie bei dem Zuschnitt Ihres Ministeriums nicht ständig gegenläufige Interessen vertreten?

Ilse Aigner im Interview: Mit einer schwarz-rot-goldene Kuh vor dem Reichstag in Berlin und einem bundesweiten Lieferstreik hatten Bauern im Juni für faire Milchpreise demonstriert.

Mit einer schwarz-rot-goldene Kuh vor dem Reichstag in Berlin und einem bundesweiten Lieferstreik hatten Bauern im Juni für faire Milchpreise demonstriert.

(Foto: Foto: ddp)

Aigner: Damit habe ich kein Problem. Ich finde es gut, dass ich für die ganze Palette zuständig bin. "Vom Stall bis an den Tisch" ist eine nahtlose Kette. Die Qualität eines Lebensmittel entscheidet sich häufig schon auf dem Acker des Bauern.

SZ: Ihrem Vorgänger hat man oft vorgeworfen, er sei populistisch. Werden Sie einen klareren Kurs fahren? Beispielsweise bei der Gentechnik?

Aigner: Ich bin genau wie er dafür, dass die EU nur noch darüber entscheiden soll, ob eine Pflanze gefahrlos ist und grundsätzlich zugelassen werden kann. Ob sie dann tatsächlich angebaut wird, sollten die Regionen entscheiden.

SZ: Werden Sie überhaupt etwas anders machen als Horst Seehofer?

Aigner: Ich wäre verrückt, wenn ich nach gerade mal sieben Tagen im Amt sagen würde, dass ich einen ganz anderen Kurs einschlagen werde. Aber je tiefer ich mich eingearbeitet habe, umso häufiger werde ich eigene Akzente setzen.

SZ: Der Verbraucherschutz stand bei Herrn Seehofer an letzter Stelle - im Namen des Ministeriums und, wie Verbraucherschützer meinen, auch inhaltlich. Wird sich das ändern?

Aigner: Das ist nun wirklich eine völlig verzerrte Wahrnehmung. Horst Seehofer hat viel erreicht. Ich nenne nur mal das Verbraucherinformationsgesetz oder die "Ohne Gentechnik"-Kennzeichnung.

SZ: Verbraucherschützer sagen trotzdem, seine Amtszeit werde nicht in Erinnerung bleiben.

Aigner: Das ist mir unverständlich. Aber ich werde das Thema Verbraucherschutz für die Union noch stärker platzieren.

SZ: Wie wollen Sie das machen?

Aigner: Da hab ich einige Ideen. Die Finanzmarktkrise zeigt, dass wir mehr Transparenz brauchen. Wer zocken will, soll auch weiter zocken dürfen, aber er soll zumindest wissen, dass er eine spekulative und damit riskante Anlage kauft. Zuletzt haben viele Anleger ja gar nicht gewusst, was sie da gekauft haben. Daher halte ich es für nötig, die Beweislast in solchen Fällen umzukehren. Dann müsste nicht mehr der Anleger beweisen, dass er falsch beraten wurde, sondern die Berater, dass sie korrekt beraten haben. Das gilt unter anderem für Wertpapiere und Lebensversicherungen.

SZ: Schwebt Ihnen noch was vor?

Aigner: Ich möchte Verbraucher im Internet besser schützen, indem sie Bestellungen ausdrücklich in einem eigenen Fenster bestätigen müssen, mit einem sogenannten Button. Außerdem lasse ich gerade prüfen, wie aussagekräftig die Werbung von Nahrungsergänzungsmitteln ist und ob wir bei der Frage nach allergieauslösenden Stoffen in Kleidung aktiv werden müssen.

SZ: Was war eigentlich Ihr erster Gedanke, als Sie erfuhren, dass Sie Ministerin werden?

Aigner: Ich hab mich riesig gefreut über das Vertrauen, das mir entgegen gebracht wird. Dieses Ministerium ist schließlich ein ganz besonders wichtiges Haus. Natürlich kamen mir auch Fragen wie: Kannst du das, schaffst du das? Das ist vermutlich eine weibliche Eigenschaft. Ich hab selten Männer erlebt, die sich das fragen. Aber eigentlich ist es gar nicht schlecht.

SZ: Was ist nicht schlecht?

Aigner: Wenn man in so ein Amt mit Respekt und Vorsicht geht. Dann wird man wenigstens nicht übermütig. Dennoch: Ich freue mich auf dieses Amt!

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