Süddeutsche Zeitung

Illegaler Medikamentenhandel:Wenn Medikamente für Afrika wieder in Deutschland landen

  • Vor der Wirtschaftskammer des Hamburger Landgerichts stehen fünf Deutsche, zwei Belgier, ein Südafrikaner und ein Däne aus Serbien.
  • Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Markenrechtsverletzungen vor, Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz und gewerbsmäßigen, bandenmäßigen Betrug.
  • In einem Jahr und sieben Monaten sollen sie damit 17,6 Millionen Euro verdient haben.

Von Peter Burghardt, Hamburg

In einem Hamburger und einem belgischen Lager warten ungefähr 240 Europaletten deutsche Medikamente auf ihre Zerstörung. Sie dürfen nicht mehr verwendet werden, weil sie auf verbotenen Wegen wieder nach Europa und Deutschland gelangt waren.

Tonnenweise Pillen und Tabletten müssen wohl vernichtet werden, dabei sollten sie offiziell Menschen in Afrika helfen. Sie machten auf ihrer geheimen Odyssee sogar Station in Afrika, aber das war nur eine trügerische Etappe. Viele dieser weit gereisten Arzneimittel wurden trotzdem an deutsche Apotheken und deren Kunden verkauft und vermutlich schon verwendet. Erst am Ende dieses Krimis konnten Fahnder den Deal stoppen.

Es geht in diesem Skandal um verschlungene Wege, die um die halbe Welt führen. Deutschland, Südafrika, Schweiz, Belgien, Deutschland. Es geht um seltsame Firmen, falsche Rechnungen und sagenhafte Gewinne. Es geht um sechs Männer und drei Frauen, die da jetzt zu Wochenbeginn im schönen Plenarsaal des Hamburger Strafjustizgebäudes sitzen und unter der Stuckdecke der Anklage lauschen.

Vor der Wirtschaftskammer des Landgerichts stehen seit diesem Montag fünf Deutsche, zwei Belgier, ein Südafrikaner und ein Däne aus Serbien. Unter ihnen sind der 67 Jahre alte Apotheker und Unternehmer Norbert B. aus Unterschleißheim bei München und dessen 38-jähriger Sohn Marco B. sowie die Hamburger Jens R., 50, Iris M., 46, und Nancy P., 56. Vertreten werden die neun Geschäftsleute von zwölf Rechtsanwälten.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Markenrechtsverletzungen vor, Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz und gewerbsmäßigen, bandenmäßigen Betrug. In einem Jahr und sieben Monaten sollen sie damit 17,6 Millionen Euro verdient haben. Um einen Teil des Geldes soll dabei die Phoenix Gruppe geprellt worden sein, der größte deutsche Großhändler pharmazeutischer Produkte. Verhandelt werden 16 Straftaten. Für jede droht jedem Beschuldigten mindestens ein Jahr Gefängnis.

Medikamente billig aus der EU ausführen und teuer zurückbringen

Interessant ist dieser Krimi aus der Gesundheitsindustrie aber auch deshalb, weil er so global ist und so viel zu erzählen verspricht. Die Causa zeigt, wie Lücken im System der Pharmalieferungen und ihrer Überwachung genützt werden können. In der Rechtsprechung sei diese Causa ein Novum, sagt der Staatsanwalt Hans Winchenbach.

Doch man könnte in dem Gewirr trotz vieler Namen und Länder ein Modell erkennen. Der Trick: Medikamente billig aus der Europäischen Union ausführen und teuer zurückbringen, um die Profite für die Vermittler weiter in die Höhe zu treiben. "Das Maximierungsinteresse regierte", sagt ein Fachmann. Das Problem: Reimport auf diese Art gilt als Verbrechen.

Die Geschichte spielt zwischen Juni 2013 und November 2014, jedenfalls dreht sich der Prozess um diesen Zeitraum. Zu Beginn des großen Schwindels bestellt laut der Ermittlungen ein Südafrikaner mit mutmaßlichen Kumpanen aus Hamburg und München von den deutschen Herstellern 1 A Pharma beziehungsweise der Salutas Pharma GmbH (beide gehören zum Schweizer Konzern Sandoz und der Novartis-Gruppe) enorme Mengen gängiger Mittel wie gegen hohen Blutdruck oder übersäuerten Magen.

Die Rede ist von 1855 Europaletten, 261 Tonnen. Angebliches Ziel der Sendung: Sambia, wo Polizeikrankenhäuser und für die arme Landbevölkerung sogenannte Health Shops beliefert werden sollen. Die Order aus dem afrikanischen Süden wird von 1 A Pharma deutlich billiger abgegeben als es innerhalb der EU der Fall wäre, denn in der EU existiert eine Preisbindung für Arznei. Außerdem ist das schnell wachsende Afrika ein attraktiver Markt.

Die Luftfracht verlässt Deutschland ordnungsgemäß, alles ok soweit. Offenbar macht die Verkäufer und Aufpasser weder die Menge stutzig noch die Tatsache, dass die Packungen und Beipackzettel deutsch beschriftet sind. Made in Germany kommt ja sicher gut an. Die Lieferung erreicht wie erklärt den Flughafen Kapstadt, von dort allerdings reist offenbar nur kaum ein Drittel weiter nach Sambia. Zwei Drittel fliegen in die Schweiz, also wieder nach Europa.

Als südafrikanischer Strippenzieher gilt Coenraad S., 62, eine selbstbewusste Erscheinung mit grauem Haar. Er schickt gemäß der Anklage die meisten der vermeintlich für Sambier gedachten Pharmaprodukte nach Zürich-Kloten, von wo es laut Lieferschein über Belgien nach Mauritius geht. Deutsche Arznei aus Südafrika über die Schweiz und Belgien auf eine Insel, die östlich von Afrika im Indischen Ozean liegt? Das sollte jeden Zöllner wundern.

Weiter geht es als Transitware Richtung Flandern, die Adresse auf Mauritius ist nur eine Täuschung. Die mauritische Rechnung stammt von einer Briefkastenfirma, genauso wie Papiere aus Belgrad, die wiederum der dänische Serbe und Mitangeklagte Hans O. ausgestellt haben soll. Plötzlich sind die Kapseln oder Pastillen wieder in der EU. In Antwerpen warten die nächsten mutmaßlichen Komplizen. Die Belgier, so heißt es, senden den Transport mit gefälschten Etiketten zur HTG Hanse Trading GmbH, die auf solche Gaunerei anscheinend spezialisiert ist.

Ihr Geschäftsführer und Südafrika-Freund Joachim alias Ted S. stirbt eines natürlichen Todes, als der Schmuggel noch läuft, seinen Posten übernimmt Nancy P., unterstützt von Jens R. und Iris M. Die mutmaßlichen Mitstreiter Norbert und Marco B. von der Nobopharm GmbH im Münchner Umland verkaufen die Medikamente schließlich an den offenbar ahnungslosen Großhändler Phoenix. Die Bestellungen und das Wechseln der Etiketten habe unterwegs oft nur zehn Minuten gedauert, glaubt ein Experte, "die kannten den Markt genau."

Vermeintliche Arznei für Nordkorea landete wieder in Deutschland

Bis die Polizei dazwischen ging. Der erste Tipp kam dem Vernehmen nach aus Belgien, dann ermittelte das Landeskriminalamt Hamburg. Monatelang wurden die Verdächtigen überwacht, ehe die Behörden zugriffen. Diejenigen Paletten, die noch zu erwischen waren, ließ das LKA beschlagnahmen. Denn Medikamente, die Europas Union verlassen haben, dürfen zwar nach einer Wiedereinfuhr durchaus verkauft werden, aber nur geprüft und auf transparentem Weg. Hier dagegen sollen die Routen vertuscht worden sein. Auch wenn die sichergestellte Arzneimittel nicht automatisch als gesundheitsschädlich gelten.

Coenraad S. wurde im Juni 2016 am Flughafen Berlin-Tegel festgenommen, er sitzt in Untersuchungshaft, ihn verteidigt der Strafrechtler Johann Schwenn. Norbert B. ist gegen eine Kaution in Höhe von 1,5 Millionen Euro auf freiem Fuß, Jens R. gegen eine geringere Summe. Die Firma HTG wurde bereits aufgelöst, Nobopharm gibt es noch.

Schon zu Beginn der Verhandlung fragt man sich, ob dieses Handelsmuster schon länger und auch von anderen ausprobiert wurde oder wird. "Den Modus operandi gab es auch woanders", vermutet ein Spezialist, da müsse der Verbraucherschutz besser hinsehen. Es werde immer Mechanismen geben, die Regeln zu umgehen, sagt ein Jurist, siehe Dieselskandal. Die Affäre erinnert an einen anderen Skandal aus der Branche, als vermeintliche Arznei für Nordkorea und Kreuzfahrtschiffe wieder in Deutschland landeten.

Coenraad S. aus Südafrika erklärte sich bereits für unschuldig und erhob Vorwürfe gegen 1 A Pharma von Sandoz/Novartis. Die habe "den sogenannten Sambia-Kanal" gekannt. Sandoz nimmt zu einem laufenden Verfahren keine Stellung. Der als geschädigt geltende deutsche Großhändler Phoenix tritt nicht als Kläger auf. Das Gericht hat zunächst 25 Prozesstage bis Februar angesetzt. Coenraad S. wird nach den Sitzungen in Handschellen abgeführt.

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SZ vom 02.11.2016/dit
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