Illegale Einwanderer in den USA:Vertagte Hoffnungen

U.S. Agents Take Undocumented Immigrants Into Custody Near Tex-Mex Border

Illegale Einwanderer aus Honduras werden in Texas aufgegriffen.

(Foto: John Moore/AFP)

Bei der Präsidentenwahl 2012 stimmten noch 71 Prozent der Latinos für Barack Obama. Nun schiebt der US-Präsident die längst fällige Reform des Einwanderungsrechts auf - aus purem Kalkül.

Von David Hesse, Washington

Man kann es drehen und wenden, wie man will, die Entscheidung sieht kläglich aus. Amerikas Präsident Barack Obama hat sein Machtwort zur illegalen Einwanderung vertagt, auf einen Zeitpunkt nach den Kongresswahlen am 4. November. Und das Weiße Haus versucht erst gar nicht zu bestreiten, dass politisches Kalkül dahinter steckt: Obamas Demokraten bangen um ihre Mehrheit im Senat und fürchten, ein einsamer Erlass ihres Präsidenten zu diesem Streitthema könne Wähler verärgern. Der Präsident fügt sich.

Dabei hat Obama solche kalte Rechnerei stets verurteilt. Und den Kongress gegeißelt, wenn der im Namen der Parteilinie drängende Geschäfte liegen ließ. Obama wollte anders sein - am 30. Juni versprach er im Rosengarten des Weißen Hauses, er werde sich "vor Ende des Sommers" dem Schicksal der illegalen Einwanderer per Erlass annehmen; wenn der blockierte Kongress seine Arbeit nicht mehr erledigt, wird der Präsident selber tätig, mit "Füller und Telefon", wie er gern sagte. Aber jetzt, da der Ernstfall da ist, traut er sich nicht.

Für elf Millionen illegale Einwanderer ist das ein Schlag

Für die elf Millionen illegalen Einwanderer in den USA ist das ein Schlag. Eine Besserung ihrer Lage rückt in die Ferne. Dabei schien eine Einwanderungsreform noch vor einem Jahr möglich zu sein. Auch namhafte Republikaner machten sich stark dafür, den Migranten Zugang zu Arbeitsmarkt und Rechtssicherheit zu verschaffen - und sei es nur, um die US-Wirtschaft zu stärken. Im Senat wurde die entsprechende Vorlage verabschiedet.

Sie sähe vor, den Papierlosen einen Pfad in die Legalität zu ebnen und zugleich im Sinne der Konservativen den Grenzschutz zu verstärken. Wäre diese Reform vom Repräsentantenhaus gutgeheißen worden, so wäre die Krise um minderjährige Flüchtlinge in den USA in diesem Sommer wohl weniger scharf ausgefallen. Doch die große Parlamentskammer in Washington weigert sich, das Thema auch nur anzurühren. Der rechte Flügel der Republikaner will keine "Amnestie" für Illegale; und Schluss.

"Er hat sein Versprechen gebrochen"

Per Erlass hätte Obama nicht die volle Reform realisieren können, immerhin aber einen Abschiebestopp. Seit 2008 haben die Abschiebungen stark zugenommen, 368 000 Menschen waren im vergangenen Jahr betroffen, also etwa 1000 pro Tag. So wird das nun weitergehen, bis zu den Wahlen. Er brauche mehr Zeit, um zu erklären, weshalb eine Änderung der Praxis gut sei für das Land, sagte Obama am Sonntag dem Sender NBC: "Ich will sicher sein, dass die Öffentlichkeit versteht, warum wir das tun." Zehntausende werden für diese Erklärübung den Preis bezahlen.

Entsprechend enttäuscht sind die Latino-Verbände. Obama habe "die Hoffnungen von Millionen hart arbeitender Menschen zerschmettert", sagte Janet Murguía von der Organisation La Raza. "Er hat sein Versprechen gebrochen", erklärte Arturo Rodriguez von der Gewerkschaft United Farm Workers. 71 Prozent der Latinos haben 2012 für Obama gestimmt. Nun fragen sie sich, ob die demokratische Partei ihre Anliegen wirklich ernst nimmt. In gesellschaftlichen Fragen wie Abtreibung oder Homo-Ehe stünden sie als gläubige Katholiken den Republikanern ohnehin oft näher.

Einmal mehr folgen auf Obamas starke Worte keine Taten

Bisher waren die Republikaner allein schuld an der Verschleppung der Einwanderungsreform. Nun nimmt Obama die Bürde auf seine Schulter, zur Freude der Republikaner - auch wenn sie vordergründig kritisieren, dass Obama den Wählern keine Gelegenheit gibt, an der Urne über seine wahren, autokratischen Absichten zu befinden. Die republikanische Opposition wirft Obama seit Monaten Cäsarenwahn vor und will ihn vor Gericht bringen.

Ob sich all der Ärger für die Demokraten auszahlt, ist ungewiss. Die Wähler sind die politischen Machtspiele leid. Sich selbst hat Obama mit dem Aufschub sicher geschadet. Einmal mehr hat er starken Worten keine Taten folgen lassen. "Das Muster wiederholt sich: erst eine mutige Rede, die atemberaubende Ziele setzt, dann ein langsames Zurückrudern ins Durcheinander, bis sich das Thema verflüchtigt wie seine Umfragewerte", schreibt das Magazin Politico.

Sehnsucht nach Führungsstärke vereint Clinton und Bush

Neben den außenpolitischen Falken werfen ihm jetzt auch die Latinos Führungsschwäche vor. Ja, selbst die afroamerikanische Gemeinschaft kritisiert, Obama habe sich nach dem Drama um Polizeigewalt in Ferguson nicht eines Anführers würdig verhalten.

Die Sehnsucht nach Führungsstärke treibt bunte Blüten. Am Montag sind Obamas Vorgänger George W. Bush und Bill Clinton in Washington aufgetreten, um ihren neuen gemeinsamen Lehrgang für "Presidential Leadership" vorzustellen. Gerade in Zeiten, da die Menschen "desillusioniert" seien von der Politik, müsse in bessere Anführer "investiert" werden, sagte Bush. Parteipolitik, sagte Clinton, werde in ihrem Programm keine Rolle spielen. Noch sind Studienplätze frei.

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