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Ihre Frage:Wie kann Agent Girkin so freimütig über den Ukraine-Konflikt reden?

Igor Girkin brüstet sich damit, den Krieg in der Ostukraine geschürt zu haben. Warum kann der russische Geheimdienstoberst und zeitweilige Verteidigungsminister so freimütig über den Ukraine-Konflikt sprechen, möchte ein SZ-Leser wissen. Unser Korrespondent erläutert Girkins Status als "freier Radikaler".

Ihre Frage

SZ-Leser Henno Heintz hat uns gefragt:

Wie ist es möglich, dass der russische Agent Igor Girkin so freimütig darüber reden kann, wie Moskau den Ukraine-Konflikt geschürt hat? Hat er keine Angst?

Unsere Antwort

Von Julian Hans, Russland-Korrespondent der SZ

In der im Westen verbreiteten Vorstellung ist Russland ein autoritärer Staat, in dem Befehle die berühmte "Machtvertikale" (Putin) hinab weitergereicht und dann ausgeführt werden. Das ist nur ein Teil der Wirklichkeit. Gleichzeitig ist es typisch für das System Putin, dass aus dem Kreml heraus bestimmte Parteien oder Bewegungen gefördert oder sogar überhaupt erst geschaffen werden, die als eine Art "freie Radikale" gewisse Funktionen erfüllen.

Das bekannteste Beispiel ist die Pro-Putin-Jugendorganisation "Naschi", die von dem Kreml-Technologen Wladislaw Surkow aus der Taufe gehoben wurde. Solche Gruppen können bei Bedarf für Aktionen benutzt werden, welche die Staatsorgane nicht selbst durchführen können. Zum Beispiel haben die "Naschisten" öffentlich Bücher kritischer Schriftsteller ins Klo geworfen. Das wird dann als Ausdruck des Volkszorns verkauft, mit dem das Regime selbst vorgeblich nichts zu tun hat.

Ähnlich verhält es sich mit manchen Kosaken-Verbänden und mit sogenannten Separatisten, mit denen Moskau offiziell auch nichts zu tun hat, selbst wenn sie frei die Grenze passieren, sogar mit Panzern. Es heißt, es gebe keine ehemaligen Geheimdienstler - doch: einmal Agent, immer Agent.

Igor Girkin ist nach eigenem Bekunden 2013 ausgeschieden. Überprüfen kann das keiner. In seinem Interview sagt er aber, er habe auf Befehl gehandelt. Auf wessen? Girkin und seine Mitstreiter hatten gehofft, Putin schicke die Armee zur Unterstützung. Der hat das lange vermieden. Die Gefahr bei dem Modell mit den scheinbar unabhängigen Gruppen ist natürlich, dass einige eigene Ambitionen entwickeln. Girkin ist ein Beispiel dafür.

Offenbar schätzt man im Kreml seinen Nutzen als patriotische Identifikationsfigur derzeit noch höher ein als die Bedrohung, die durch Interviews von ihm ausgeht.

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Quelle:
SZ vom 29.11.2014/wüll
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