Süddeutsche Zeitung

Identitätsklärung:Auf der Spur von Dialekt und Geodaten

Die Herkunft von Asylsuchenden ohne Pass muss oft aufwendig überprüft werden. Nun wird auch eine spezielle Sprachsoftware eingesetzt.

Von Jan Bielicki

Im Dezember 2016 wurde David Benjamin als Flüchtling anerkannt. Während seines Asylverfahrens war nicht aufgefallen, dass der angebliche Obstverkäufer aus Damaskus eigentlich Franco A. hieß, aus Offenbach stammte und Oberleutnant bei der Bundeswehr war. In Bremen wiederum sollen womöglich mehr als tausend Asylbewerber Flüchtlingsschutz bekommen haben, ohne dass die zuständige Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) die Identität der Antragsteller überprüfte. Beide Skandale werfen die Frage auf: Wie stellen die Behörden fest, wer das überhaupt ist, der da in Deutschland Schutz und Aufnahme findet?

Benötigen Flüchtlinge einen Pass, um Asyl zu beantragen?

Nein. Zwar gilt eine Einreise nach Deutschland ohne Pass und gültiges Visum als illegal. Aber wer um Asyl nachsucht, wird nicht zurückgewiesen - egal, ob er oder sie Ausweispapiere dabei hat oder nicht.

Wie viele Flüchtlinge kommen ohne Pass nach Deutschland?

Nach Bamf-Angaben legten 2017 nur etwa 35 Prozent der Asylbewerber Identitätspapiere vor. Zwei von drei Schutzsuchenden gaben also an, keine Ausweisdokumente dabei zu haben. Dafür kann es unterschiedliche Gründe geben: Pässe gehen verloren, werden gestohlen, von Schleusern eingezogen, vom Herkunftsland gar nicht erst ausgestellt. Oder die Flüchtenden selber verstecken sie oder werfen sie weg, um zu verhindern, dass sie wieder in ihre Heimat zurückgeschickt werden.

Wie stellen die Behörden die Identität eines Flüchtlings fest?

Wer Asyl will, muss sich melden, an der Grenze, bei der Polizei, in einer Außenstelle des Bamf oder in einer Aufnahmeeinrichtung. Dort werden die Flüchtlinge registriert - unter dem Namen, der in ihren Ausweispapieren steht oder den sie angeben. Das Gesetz sieht vor, dass alle Asylbewerber erkennungsdienstlich behandelt werden. Sie werden fotografiert und müssen sich, wenn sie mindestens 14 Jahre alt sind, Abdrücke aller zehn Finger nehmen lassen. Erst dann bekommt ein Flüchtling einen Ankunftsnachweis, ein ausweisähnliches Dokument, das fortan als Beleg für seine registrierte Identität gilt.

Was geschieht mit den Daten?

Sie werden an sogenannten PIK-Stationen (das Kürzel steht für das 40-buchstabige Wortungetüm "Personalisierungsinfrastrukturkomponente") in die Bamf-Datenbank Maris (kurz für: Migrations-Asyl-Reintegrationssystem) und ins Ausländerzentralregister eingespeist. Dabei werden sie auch mit Datenbanken des Bundeskriminalamtes abgeglichen, das auch in der europäischen Fingerabdruck-Datei Eurodac prüft, ob eine Person bereits anderswo in Europa registriert wurde. Für einen Sicherheitsabgleich werden die Daten auch an die deutschen Geheimdienste oder etwa das Zollkriminalamt übermittelt.

Soweit die gesetzliche Theorie - wird sie in der Praxis stets eingehalten?

Als es auf dem Höhepunkt des Flüchtlingszuzugs 2015 und 2016 drunter und drüber ging, war das oft nicht der Fall. Die Behörden waren froh, dass sie Hunderttausende Ankömmlinge erst mal unterbringen und versorgen konnten. Erst später holte das Bamf die Registrierung nach - unter anderem, indem es fast 200 mobile Registrierungsteams übers Land schickte.

Wie prüft das Amt die Richtigkeit der Angaben?

Pässe und andere Dokumente durchlaufen eine sogenannte Physikalisch-Technische Urkundenuntersuchung in den Außenstellen und, bei Verdacht, in den Laboren der Zentrale des Bamf. 2017 wurden nach Angaben des Bundesinnenministeriums fast 284 000 Dokumente überprüft. 12 338 davon waren ge- oder verfälscht.

Und wenn gar keine Papiere vorliegen?

Dann gibt es weitere Möglichkeiten, wenigstens die Herkunft eines Flüchtlings festzustellen. Das Bamf kann eine Sprachanalyse veranlassen, die den Dialekt des Antragstellers verortet - ein aufwendiges Verfahren, bei dem nun spezielle Spracherkennungssoftware helfen soll. Seit einem Jahr dürfen die Behörden auch Handys und Tablets von Flüchtenden auslesen und darin nach Geodaten, Fotos oder Vorwahlen stöbern, die Hinweise auf Herkunftsland und Fluchtroute geben könnten. Nicht erlaubt ist es dem Amt hingegen, sich mit Behörden des Herkunftslandes in Verbindung zu setzen - jedenfalls nicht, bevor ein Asylantrag abgelehnt ist. Ganz entscheidend aber kommt es auf die Anhörung eines Asylsuchenden an. Mittels detaillierter Fragen muss ein Entscheider herauszufinden versuchen, wie glaubwürdig sein Gegenüber und dessen Angaben letztendlich sind. Das Problem dabei ist: Mit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen sind viele neue, unerfahrene und nur kurz angelernte Kräfte in diese Position gekommen.

Was geschieht, wenn ein Asylsuchender dabei nicht mitmacht oder seine Identität zu verschleiern versucht?

"Der Ausländer ist persönlich verpflichtet, bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken", schreibt das Asylgesetz vor. Er muss alle seine Urkunden und, falls ohne Pass, auch sein Handy aushändigen. Tut er es nicht, dürfen er und sein Gepäck durchsucht werden. Wer seine Mitwirkungspflichten gröblich verletzt, über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder Angaben darüber verweigert, wer gar unter Angabe anderer Personalien ein weiteres Mal um Asyl nachsucht, dessen Antrag wird als offensichtlich unbegründet abgelehnt.

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SZ vom 01.06.2018/bix
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