Ideen gegen die Wohnungsnot:Studentenbude statt Büro

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Blick aus einem leeren Bürogebäude in Berlin (Symbolbild) (Foto: Krisztian Bocsi/Bloomberg)

Horrende Mieten und endlose Warteschlangen bei der Wohnungsbesichtigung plagen die Menschen in den Ballungsräumen. Dabei gäbe es Platz. Denn in vielen Großstädten stehen Büros leer. Einer Nutzung steht meist nur die Bürokratie entgegen - befreit uns endlich davon!

Von Gerhard Matzig

Wie man alte Bauwerke nutzen kann, um daraus neuen Wohnraum zu gewinnen, dafür gibt es genug Beispiele in Deutschland. Es gibt sogar einen Wettbewerb utopischer Vorschläge. Mut zur Lücke (wenn nicht gar zur Brücke) beweist zum Beispiel das so spektakuläre wie umstrittene Limburger Projekt "Living Bridge" der Egenolf Entwicklungs- und Beteiligungsgesellschaft.

An der Autobahn A3 könnte demzufolge zwischen Frankfurt und Köln eine mittlerweile marode Autobahnbrücke aus den 1960er-Jahren durch einen Neubau unmittelbar daneben ersetzt werden. Die Sanierung wäre deutlich teurer als ein Neubau der Brücke. Allein der Abriss des alten Bauwerks würde zehn Millionen Euro kosten. "Warum aber die Brücke für viel Geld abreißen", fragt sich der Investor, "warum nicht Geld damit verdienen?" Etwa, indem man das vorhandene Tragwerk nutzt, um daraus eine an Bienenwaben erinnernde Wohn-Brücke zu machen.

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Das wäre so etwas wie ein futuristischer Nachfahre des berühmten, im 14. Jahrhundert von Gerbern und Schlachtern genutzten Ponte Vecchio in Florenz. In Limburg allerdings entstünde in sechzig Metern Höhe über der Lahn kein Schlachter-Dorado am Arno, sondern "exklusiver Wohnraum" plus "Wellnessareal und Medical Care". Wobei sich die Frage stellt, ob man in Deutschland noch ein weiteres Blödnessareal braucht? Oder exklusiven Wohnraum mit Blick auf die A3?

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Bräuchte man nicht eher - und zwar schnell und unbürokratisch - Wohnraum für Flüchtlinge, Studenten oder Leute, die sich in den Ballungsgebieten angesichts der heraufziehenden, zum Teil (wie etwa in Hamburg oder München) schon real spürbaren neuen Wohnungsnot exklusiven Wohnraum nun mal nicht leisten können? Die aber dennoch menschenwürdig behaust sein wollen, ja müssen. Fehlt es hier an Ideen zur Umnutzung? Zur Umgestaltung von Büro-Leerstand, der Millionen von ungenutzten Quadratmetern umfasst? Eher nicht. Es fehlt eher am Blick für das sozial Gebotene, es fehlt am politischen Willen.

Mit Karl Lagerfeld gegen den Denkmalschutz

Vorhanden war dieser Wille zur Umwidmung von Büro- in Wohnraum jedoch, als man jüngst das teuerste Wohnen der Stadt Hamburg realisierte. Auf einem 50 000 Quadratmeter umfassenden, parkähnlichen Areal zwischen Harvestehuder Weg und Außenalster wurde im Segment "Premium-Immobilien" ein neues Edler-Wohnen-Habitat in kürzester Zeit errichtet. Samt "Alstervillen", "Townhouses" und "Parkvillen". Eine kleine, dunkle Ein-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss war schon für eine schlappe halbe Million Euro im Angebot. Der Stellplatz dafür kostet 59 500 Euro.

Der inmitten des Areals gelegene, eigentlich denkmalgeschützte Nazi-Koloss des ehemaligen Generalkommandos der Wehrmacht, der zuletzt als Musterungsbehörde der Bundeswehr, letztlich also als Büroraum genutzt wurde, durfte sogar nach Plänen von Karl Lagerfeld - und gegen den Einspruch der Denkmalschützer - umgebaut werden: Unter dem Säuselnamen "Sophienpalais" hat der Projektentwickler Frankonia aus einem alten Nazi-Büro-Monster Lebensraum für Besserwohnende geschaffen. Ganz unproblematisch.

Man fragt sich: Warum gelingt so ein Umbau auch ohne Lagerfelds Ästhetik-Expertise nicht auch dort, wo er dringender und viel bescheidener geboten wäre - nämlich in den Ballungsräumen der Städte, wo die Mieten explodieren, Studierende abgezockt, gedemütigt oder schlicht verraten werden und wo sich die Flüchtlingsströme an der Hartleibigkeit der Bürokraten brechen? Warum ist es so schwer, Wohnraum zu schaffen - angesichts des vorhandenen umbauten Raumes, der nicht genutzt wird und vor sich hinödet?

Aktuelles Beispiel: In München prüfen Stadt und Sozialministerium, ob etwa ehemalige Siemensbüros im Stadtteil Bogenhausen als Flüchtlingsunterkünfte zumindest zwischen-genutzt werden könnten. Man darf darauf gespannt sein, wie lange sich die Prüfung hinzieht. Was wäre, würde sich ein Premium-Investor für das Büroburg-Gelände interessieren, um daraus statt Lebensraum Wellness zu machen?

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Der Skandal, der darin liegt, dass hier ständig bürokratisch und planerisch zu prüfen ist, was anderswo - wie in Hamburg - zugunsten einer anderen Klientel offenbar reibungsarm und flott geschieht, ist derart greifbar, dass sich längst schon eine Art Stadt-Guerrila dort etabliert hat, wo die Villa - ob in Form einer Autobahnbrücke oder in Form eines Nazi-Baus - obszön erscheint. In München nennen sich die Aktionisten " Goldgrund", es gibt die vieltausendfach gelikte Facebook-Seite "Leerstand zu Wohnraum" oder den " Leerstandsmelder.de", der für "mehr Transparenz und neue Möglichkeitsräume in der Stadt" wirbt: "In vielen Städten suchen Menschen bezahlbare Wohnungen und Arbeitsräume. Gleichzeitig stehen unzählige Flächen leer - ob alt oder neu, ob Wohn- oder Gewerberäume, ob zentral oder außerhalb gelegen, ob privat oder in städtischer Hand."

Neue Baumaterialien machen Wohnen möglich, wo es früher unmöglich war

Dem aus Österreich stammenden, in München als Architekt ansässigen und in Los Angeles lehrenden Wohnraum-Experten Peter Ebner zufolge wäre die auch temporäre Umnutzung etwa von Gewerbegebieten oder Bürobauten durchaus im Sinne der Planungsbehörden. "Allerdings kommt es immer auf den Einzelfall an. Grundsätzlich geht es in der Stadtplanung ja um eine Balance aus Wirtschafts- und Wohnräumen - und es geht um langfristige Planungssicherheit."

Der 46-jährige Architekt, der für private Bauträger schon etliche Umnutzungsstudien erstellt hat, etwa in Sendling, ergänzt: "Man könnte Gewerbegebiete, die heutzutage ja meist Räume für Dienstleistungen beinhalten, die also geräuschärmer sind als etwa Bauten für das produzierende Gewerbe, viel intelligenter, differenzierter definieren. Außerdem machen neue Bau-Materialien, hochdichte Fenster etwa, automatisierte Be- und Entlüftung, das Wohnen auch dort möglich, wo es früher unmöglich erschien. An stark befahrenen Straßen zum Beispiel."

Das Problem ist die Bürokratie

Dagegen steht allerdings oft das Recht, denn Wohnnutzung ist nur in bestimmten Gebieten bauplanungsrechtlich zulässig. Daher kann nicht aus jeder Büroimmobilie ein Wohnhaus werden. Hinderlich sind im Einzelfall: das Abstandsflächenrecht, die Frage der Pkw-Stellplätze, die Freiflächengestaltung, Brand-, Lärm- und Schallschutzanforderungen. Letztlich geht es um die bürokratische, baurechtliche Überformung unserer Lebensverhältnisse. Niklas Maak schreibt in seinem soeben bei Hanser erschienenen Buch "Wohnkomplex - Warum wir andere Häuser brauchen": "Die Baunutzungsverordnung muss geändert werden."

Befreit also das Bauen von den Bürokraten! Schafft Wohnraum endlich auch dort, wo er bisher undenkbar war, schafft neue Räume, andere Räume, temporäre Räume. Letztlich: eine neue Welt. Schafft eine Welt, in der nicht nur Superreiche und Wellnessbedürftige an der Extravaganz von Autobahnbrücken oder Lagerfeld-Nazi-Bauten teilhaben. Planer, so ein Bonmot des französischen "Revolutions-Architekten" Claude-Nicolas Ledoux im 18. Jahrhundert, seien die "Rivalen des Schöpfers und die Titanen der Erde". Sehr schön, dann sollte es den Titanen aus Politik und Immobilienwirtschaft auch möglich sein, gerechten und zugleich zukunftstauglichen Wohnraum zu bauen. Und zwar jetzt.

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