Süddeutsche Zeitung

Ibiza-Affäre:Was außer Spesen noch gewesen ist

In Östereich sind mehr als 30 Ermittlungsverfahren in der Ibiza-Affäre anhängig - und keineswegs alle richten sich gegen den einstigen FPÖ-Vormann Heinz-Christian Strache. Ein Überblick.

Von Oliver Das Gupta, Frederik Obermaier, Bastian Obermayer

Ein Jahr nach den Veröffentlichungen des Ibiza-Videos sind mehr als 30 Ermittlungsverfahren in Österreich anhängig. Einige betreffen angebliche Hintermänner der Video-Falle, vor allem aber geht es um Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus - jene beiden Männer, die im Sommer 2017 auf Ibiza unter anderem die willkürliche Vergabe von Staatsaufträgen, künstlich überhöhte Summen bei Staatsaufträgen und Konstrukte für illegale Parteispenden in Aussicht gestellt haben.

Bereits im vergangenen Sommer gab es Durchsuchungen bei beiden ehemaligen Spitzenpolitikern, Straches Handy und ein privater Kalender wurden beschlagnahmt. Die Staatsanwaltschaft interessiert sich vor allem für Spenden, Mandatskäufe und Spesen. Die Vorwürfe lauten unter anderem: Untreue, Bestechlichkeit und Bestechung.

Strache hatte an jenem Abend in der Ibiza-Villa der vermeintlichen Oligarchennichte erklärt, dass es einen Weg gebe, seiner damaligen Partei - der FPÖ - Spenden zukommen zu lassen, ohne dass der Rechnungshof davon erfahren würde. Die Lösung sei ein Verein: "Der hat nichts mit der Partei zu tun. Dadurch hast du keine Meldungen an den Rechnungshof." Einige "sehr Vermögende" würden das machen: "Die zahlen zwischen 500 000 und eineinhalb bis zwei Millionen", behauptete er.

Da er den Namen des angeblichen Vereins nicht nannte, erschien es zumindest vorstellbar, dass Strache sich die Spendenverschleierung nur ausgedacht hatte - oder dass es ein vager Plan war, für die Zukunft. Für Letzteres sprach, dass die angeblich so großzügigen Spender, die Strache auf Ibiza stolz präsentierte, allesamt dementierten: Waffenproduzent Gaston Glock ebenso wie Kaufhauserbin Heidi Horten und der Glücksspielkonzern Novomatic.

Warum wurde der FPÖ-Mann Peter Sidlo in den Vorstand der Casinos Austria berufen?

Kurz darauf gerieten tatsächlich mehrere FPÖ-nahe Vereine und ein Forschungsinstitut ins Visier der Ermittler. Ein Unternehmer erklärte dem ORF, er sei 2017 - kurz vor dem Treffen auf Ibiza - von Strache angesprochen worden, ob er nicht an den Verein "Austria in Motion" spenden wolle. Derselbe Verein soll auch geplant haben, einen "Projektmanagement-Vertrag" mit Gudenus' Ehefrau abzuschließen.

Dem Magazin Profil wiederum erzählte ein Wiener Manager, dass er 2017 auf Vermittlung des damaligen FPÖ-Funktionärs Gudenus mehrere Tausend Euro an den Verein "Wirtschaft für Österreich" gespendet habe. Das von einem FPÖ-Politiker geleitete "Institut für Sicherheitspolitik" erhielt Geld von einem österreichischen Industriellen-Clan und dem Glücksspielkonzern Novomatic. Über den hatte Strache auf Ibiza getönt: "Novomatic zahlt alle."

Die österreichische Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft geht mittlerweile dem Verdacht nach, dass zwischen Novomatic-Verantwortlichen und "Amtsträgern der Republik Österreich" vereinbart wurde, den Konzern bei Glücksspiellizenzen zu unterstützen - wenn dafür im Gegenzug ein bestimmter Kandidat zum Zug käme.

Konkret soll der FPÖ-Politiker Peter Sidlo auf Drängen des Miteigners Novomatic in den Vorstand der Casinos Austria berufen worden sein. Auch sollen Gesetzesänderungen besprochen, von Novomatic-Experten verfasst und auf den Weg gebracht worden sein. Strache, Sidlo, die FPÖ und Novomatic haben die Vorwürfe stets bestritten.

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Und dann sind da noch die Bargeldbündel. Bei der Staatsanwaltschaft ging im September 2019 eine anonyme Anzeige ein: Strache habe "regelmäßig Sporttaschen mit hohen Summen Bargeld erhalten", es gebe Fotos, angeblich aufgenommen von einem Bodyguard. Der wurde wenig später vorübergehend festgenommen, seither ist die Polizei im Besitz der Fotos. Die digitalen Bilder wurden auch SZ und Spiegel zugespielt.

Eine Analyse belegt, dass sie unter anderem im Juli 2013 gemacht wurden - kurz bevor Heinz-Christian Strache die Wiener Landesliste der FPÖ präsentierte. Überraschend fand sich auf einem der vorderen Listenplätze ein politisch bis dahin komplett unerfahrener Unternehmer namens Thomas Schellenbacher.

Schellenbacher verpasste den Einzug in den Nationalrat knapp - und bekam den Sitz dennoch: Drei andere Kandidaten zogen überraschend zurück. Ein Zeuge behauptete später in einer eidesstattlichen Versicherung, das Mandat sei regelrecht erkauft worden. Eine Gruppe ukrainischer Unternehmer habe zehn Millionen Euro gezahlt, damit Schellenbacher ins Parlament einzieht.

Den zunächst naheliegendsten Vorwurf haben die Behörden fallengelassen

Straches Bodyguard berichtete der Polizei derweil von seltsamen Spesenabrechnungen. Dies deckt sich mit Aussagen einer ehemaligen Mitarbeiterin, die das Nachrichtenmagazin Profil zitierte. Demnach organisierten die beiden im Auftrag Straches, dass private Ausgaben des damaligen FPÖ-Chefs - von bis zu 40 000 Euro ist die Rede - der Partei untergejubelt worden seien.

Strache soll per SMS angeordnet haben: "Auf alle meine Rechnungen 'politisch veranlasst' draufschreiben." Zudem soll der Bodyguard im Auftrag Straches in Wirtshäusern und anderswo Rechnungen eingesammelt haben, die auf den ersten Blick eher wie "politisch veranlasste" Rechnungen wirkten. Diese Rechnungen habe er statt der wahren Ausgaben bei der FPÖ eingereicht und Strache gutschreiben lassen, erklärte der ehemalige Bodyguard. Strache bestreitet dies.

Einen Vorwurf gegen ihn haben Österreichs Ermittler indes fallengelassen - den zunächst naheliegendsten. Auf Ibiza hatte Strache der angeblichen Oligarchennichte ein Angebot gemacht: Wenn sie ihm Wahlkampfhilfe leiste, bekäme sie "jeden Staatsauftrag", den zuvor der Milliardenkonzern Strabag hatte. Allerdings entschied die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, in dieser Sache auf die Einleitung eines Verfahrens zu verzichten. Denn 2017 - als das Ibiza-Treffen stattfand - war Strache noch nicht Vizekanzler.

Er war Oppositionspolitiker und hatte keinen Einfluss auf etwaige Geschäfte. Insofern sei sein Versprechen nicht strafbar, heißt es in einem internen Bericht, und dann: "Es wäre Sache des Gesetzgebers, diese - allfällige planwidrige - Lücke zu schließen." Eine Gesetzeslücke, für die Strache dankbar sein dürfte.

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SZ vom 16.05.2020/odg
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