Süddeutsche Zeitung

Österreich-Kolumne:Wichtige und unwichtige Aufreger

Ob im Ibiza-Untersuchungsausschuss, beim Thema Küken-Schreddern oder bei einer seltsam kommunizierten Reform des Militärs - es läuft gerade suboptimal für die türkis-grüne Regierung. Eine unvollständige Übersicht.

Von Oliver Das Gupta, Salzburg

Kommen Sie noch mit bei dem, was sich momentan politisch in Österreich abspielt? Ich gebe zu: Es ist auch für uns derzeit anstrengend, die Übersicht zu behalten. So viele Enthüllungen, Aufreger und Sprüche, wichtige und unwichtige. Die unwichtigen Dinge kommen manchmal groß raus.

Beispiel gefällig? "Ich bin Bundeskanzler und nicht Erziehungsberechtigter", sagte Sebastian Kurz an diesem Mittwoch im Ibiza-Untersuchungsausschuss rund um mutmaßliche Postenschacher der verflossenen Kurz/Strache-Regierung, wie hier meine Kollegin Leila Al-Serori berichtet. Die Tageszeitung Die Presse fand dieses Zitat des kinderlosen Kanzlers so famos, dass sie es zur Schlagzeile auf der Titelseite machte.

Der Besuch von Kurz im Untersuchungsausschuss verlief aus seiner Sicht also relativ gut. Kein echter Patzer, allenfalls ein paar Auffälligkeiten. Etwa der Satz des Kanzlers, er habe das System des Postenschachers "nicht erfunden". Eine bemerkenswerte Feststellung, für einen, dessen Partei beim Ibiza-Komplex so tut, als ob es keinen Postenschacher gegeben habe.

Unterm Strich läuft es aber seit einigen Wochen eher suboptimal für die Kurz-Partei ÖVP und ihren grünen Koalitionspartner. Gerade in den vergangenen Tagen gab es vor allem türkisen Murks.

Das ging schon am Montag los, beim Festakt für den Bau einer Gedenkmauer für Schoah-Opfer in Wien. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) erzählte von ihrem nach einem Verkehrsunfall verstorbenen Großvater - und setzte den Verlust ihres Opas gleich mit den 60.000 durch die Nazi-Diktatur ermordeten österreichischen Juden. Drei Tage lang schwieg Frau Edtstadler zu ihrem Lapsus. Dann plötzlich (nach Medienberichten) bedauerte sie am Donnerstag ihre Aussage.

Am Montagabend blamierte sich der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) mit einem Sprachbild beim Thema Corona. In der Stadt an der Salzach (in der ich gerade im Kaffeehaus sitze und schreibe) gab es einen Virus-Ausbruch, den Haslauer mit den Worten kommentierte: "Ich glaube, die Spitze des Eisbergs ist erreicht." So ähnlich dachte wohl auch der Kapitän der Titanic, bevor sein Schiff gegen die unter der Wasseroberfläche befindlichen 90 Prozent des Eisbergs dampfte.

Auch Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) brillierte auf besondere Art. Im Ibiza-Untersuchungsausschuss zeigte der junge Mann besorgniserregende Gedächtnislücken; nach Zählung der SPÖ konnte sich der 38-Jährige bei der Befragung 86 Mal nicht erinnern. Dann denkt man zurück, dass Blümel unlängst versehentlich einen Nachtragshaushalt mit dem Volumen von lediglich 102.000 Euro ins Parlament einbrachte - und wundert sich schon weniger. Blümel soll im Oktober als Spitzenkandidat der ÖVP bei der Wien-Wahl antreten. Ich finde, so einfach sollte es die ÖVP den politischen Mitbewerbern nicht machen.

Auch wenn der Ibiza-Untersuchungsausschuss an diesem Freitag nicht tagte, gab es den nächsten Aufreger. Die von der Opposition immer wieder kritisierte Verfahrensrichterin Ilse Huber legte ihr Amt zurück. Als Auslöser nannte sie eine beleidigende Aussage von Neos-Politikerin Stephanie Krisper. Diese hatte in ein versehentlich noch aktiviertes Mikrofon gesagt: "Die geht mir am Oasch."; Krisper bestritt danach, Huber gemeint zu haben. Die Opposition indes forderte am Freitag erneut den Rücktritt des Vorsitzenden Wolfgang Sobotka (ÖVP), sie hält ihn für befangen.

Sobotkas Parteikollegin Klaudia Tanner ließ indes diese Woche umfangreiche Reformen beim Bundesheer verkünden. Der darüber nicht informierte Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der auch Oberbefehlshaber des Heeres ist, bestellte die Verteidigungsministerin umgehend zum Rapport. So schnell wurde wohl selten eine Reform abgeblasen.

"Lebendige Praxis" Kükenvergasen

Auch die Grünen, die im Untersuchungsausschuss bemerkenswert aufmüpfig agieren, aber ansonsten bislang verblüffend loyal zur Kurz-Truppe stehen, wurden diese Woche kalt erwischt. Die SPÖ brachte einen Antrag ins Parlament ein, der ein Verbot der Tötung männlicher Hühnerküken vorsah.

Der Vorstoß ging nicht durch, die Grünen enthielten sich, auch wenn sie eigentlich dafür sind - Empörung wogte durch die sozialen Netzwerke. Den Vorwurf der Glaubwürdigkeitslücke kontern die Grünen mit dem Verweis auf den Koalitionsvertrag, in dem steht, dass man das Küken-Schreddern verbieten möchte. Aha. Nur: Wann? Immerhin werden mehrere Millionen Küken in Österreich nach der Geburt gekillt, da zählt jeder Monat.

Ich habe beim türkis geführten Landwirtschaftsministerium nachgefragt. Von dort kam eine erhellende Antwort. In Österreich werden nämlich keine Küken geschreddert, "sondern es ist die Verwendung von CO2 Praxis". Sprich: Die Küken ersticken im Gas. Diese "gelebte Praxis gesetzlich zu verankern" sei das Vorhaben der Regierung, heißt es. Einen Zeitpunkt der rechtlichen Implementierung kann das Ministerium nicht nennen.

Mit anderen Worten: Die Küken werden weiterhin getötet, aber eine in Österreich nicht mehr angewandte Methode wird verboten sein. Ein prächtiges Gesetzesvorhaben also, das an das Burka-Verbot in Österreich erinnert. Das betraf zwar nur eine Handvoll Fälle, machte aber fette Schlagzeilen. Irgendwann wird die Bundesregierung also verkünden, das Küken-Schreddern zu verbieten.

Klingt doch sehr sympathisch, finden Sie nicht?

Dieser Text ist zuerst am 26. Juni 2020 im Österreich-Newsletter erschienen.

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SZ vom 27.06.2020/odg
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