IAEA-Bericht zu Nuklearplänen Irans:Furcht vor der Atombombe in Teherans Händen

In ihrem Bericht listen die internationalen Atomwächter in Wien detaillierte Belege auf, dass Teheran zumindest bis 2010 an der Entwicklung einer Atombombe gearbeitet hat - auch Tests seien durchgeführt worden. Hat Iran die Schwelle zur Atommacht bereits schon überschritten? Welchen Druck löst der Bericht aus? Und: Steigt die Gefahr eines israelischen Präventivschlags? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Kathrin Haimerl

Selten ist ein Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) mit solcher Spannung erwartet worden: Am Dienstag haben die Atomaufseher ihren jüngsten Bericht vorgelegt, in dem sie detaillierter als bislang Belege auflisten, wonach das Regime in Teheran jahrelang an der Entwicklung einer Atombombe gearbeitet haben soll. Die Debatte über Irans Nuklearprogramm und die Frage, ob es tatsächlich zu rein zivilen Zwecken dient, schwelt seit Jahren. Der jüngste Bericht verschärft den Konflikt: Israel droht mit einem Militärschlag. Iran zeigt sich unnachgiebig und weist alle Vorwürfe zurück: "Wir werden nicht ein Jota von dem Weg abrücken, den wir eingeschlagen haben", kündigt der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad im Staatsfernsehen an.

Welche neuen Erkenntnisse liefert der Bericht?

Im jüngsten IAEA-Bericht findet sich die bislang detaillierteste Zusammenstellung nachrichtendienstlicher Informationen, wonach Iran heimlich den Bau von Nuklearwaffen vorantreiben soll. Das Dokument listet Belege auf, dass das Teheraner Regime zumindest bis zum vergangenen Jahr in den wesentlichen Bereichen für den Bau von Kernwaffen geforscht hat. Dazu zählen Informationen über die Konstruktion eines atomaren Sprengkopfes, den iranische Raketen transportieren können, sowie die komplizierte Entwicklung eines Zündmechanismus, der eine nukleare Kettenreaktion in Gang setzen kann.

Unter anderem zieht die IAEA den Schluss, dass Wissenschaftler unter der Führung des Verteidigungsministeriums Komponenten für einen atomaren Sprengkopf entwickelt und getestet hätten. Das Forschungsprogramm sei weitaus "ehrgeiziger, besser organisiert und auch erfolgreicher", als bislang im Ausland angenommen, zitierte die Washington Post David Albright, Präsident des Institute for Science and International Security (ISIS) und früherer UN-Atominspekteur.

Laut der Analyse der Berichts erhielt die Regierung in Teheran die Konstruktionspläne für Atomwaffen von einem Schmuggel-Netzwerk um den pakistanischen Atomwissenschaftler Abdul Qadeer Khan, der als "Vater der pakistanischen Atombombe" bekannt wurde. Darüber hinaus soll Teheran bei seinen Forschungen entscheidend von dem Wissen eines früheren sowjetischen Waffenexperten profitiert haben.

Hat Iran die Schwelle zur Atommacht bereits überschritten?

Besondere Sorgen bereiten den Atomaufsehern Studien zu atomaren Bauteilen aus den Jahren 2008 und 2009. Dem Bericht zufolge habe Iran nicht nur die Computermodelle von nuklearen Explosionen entwickelt, sondern auch Tests mit Zündern durchgeführt. Die Computersimulationen zielten darauf ab, wie herkömmliche Explosionen hochangereichertes Uran oder Plutonium so zusammenpressen können, dass eine nukleare Kettenreaktion ausgelöst wird.

Die Forschungen seien aber über das theoretische Stadium hinausgegangen: Die iranischen Wissenschaftler hätten auf einer Militärbasis einen großen Sicherheitsbehälter konstruiert, um die Wirkungen dieser Explosionen testen zu können. "Die Informationen weisen darauf hin, dass Iran Arbeiten zur Entwicklung eines nuklearen Sprengkörpers durchgeführt hat", schreibt IAEA-Chef Yukiya Amano in dem Bericht.

Die Atomaufseher kommen jedoch zu dem Schluss, dass Iran über sämtliches Wissen für den Bau einer Atombombe verfügt. Auch findet sich in dem Bericht keine Einschätzung darüber, wie lange das Land für den Bau einer Nuklearwaffe benötigen würde.

Wie sicher sind die Belege?

In dem neuen IAEA-Bericht findet sich einem Bericht der New York Times zufolge auch eine Passage über die "Glaubwürdigkeit der Informationen". Die Erkenntnisse der Behörde stützen sich auf mehrere westliche Geheimdienste. Ein europäischer Diplomat verweist nach Informationen der Los Angeles Times darauf, dass es keine "smoking gun", also keine wasserdichten Beweise gebe. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zitiert einen weiteren Diplomaten, der von einem unfertigen "Mosaik" spricht, das in einigen Teilen kompletter wirke als in anderen.

Zweifel an dem Bericht meldet auch Harald Müller von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung an: So sei es bei Forschungs- und Entwicklungsarbeiten bisweilen nicht möglich, eindeutig zuzuordnen, auf welches Ziel sie ausgerichtet seien. Zudem gingen eindeutig waffenrelevante Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in nicht gemeldeten und zum Teil verbunkerten Anlagen vor sich, vermutet Müller. Die IAEA sei aber lediglich gut informiert über die offiziellen Programme und Projekte.

Welche politischen Folgen könnte der IAEA-Bericht haben?

Die USA drohen Teheran mit weiteren Sanktionen: "Wir werden den Druck aller Voraussicht nach verstärken", sagte ein ranghoher US-Regierungsvertreter. "Wir schließen nichts aus, wenn es um Sanktionen geht." Frankreich fordert "Sanktionen von nie gekanntem Ausmaß": Der diplomatische Druck müsse eine neue Stufe erreichen, sagte der französische Außenminister Alain Juppé im Radiosender RFI. "Wir sind entschlossen, zu reagieren."

Die Bundesregierung sprach sich am Vortag für eine weitere Sanktionsrunde der EU aus. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) erklärte, dass die Europäer diese möglicherweise auch im Alleingang beschließen könnten, sollten Staaten wie Russland und China bei neuen Sanktionen nicht mitziehen. Großbritannien, das dritte Mitglied der sogenannten EU-Troika, die seit einigen Jahren als Vermittler auftritt, rief Iran zu "ernsthaften Verhandlungen" auf. Allerdings müsse das Land bereit sein, "ohne Vorbedingungen" in die Gespräche zu gehen. "Wenn nicht, müssen wir damit fortfahren, den Druck zu erhöhen, und wir ziehen zu diesem Zweck gemeinsam mit unseren Partnern eine Anzahl von zusätzlichen Maßnahmen in Betracht", kündigte er britische Außenminister William Hague an. Die EU hatte erst im Juli 2010 zusätzliche Sanktionen beschlossen, die unter anderem ein Verbot von Investitionen in Irans Öl- und Gas-Sektor beinhalten.

Israels Außenminister Avigdor Lieberman forderte von internationaler Seite scharfe Sanktionen: Die internationale Gemeinschaft müsse wegen des umstrittenen iranischen Atomprogramms "strenge und lähmende" Sanktionen gegen Teheran verhängen, zitierte ihn die Zeitung Maariv. Die Sanktionen müssten die iranische Zentralbank sowie die Erdölexporte des Landes betreffen. Allerdings ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich die Vereinten Nationen zu einem solchen Schritt durchringen. Grund ist die ablehnende Haltung der beiden Vetomächte Russland und China. Sie plädieren für eine diplomatische Lösung und fürchten, dass zusätzliche Sanktionen den Dialog erschweren könnten.

Welche Sanktionen sind bereits in Kraft?

Die Vereinten Nationen haben seit 2006 insgesamt vier Runden an Sanktionen beschlossen, zuletzt im Juni 2010. Mit der Resolution 1929 wurden die bestehenden Sanktionen, darunter das Waffenembargo, weiter verschärft. Der Handel und Geldgeschäfte mit Iran wurden eingeschränkt.

Erstmals waren auch die Revolutionsgarden betroffen: Deren Konten wurden eingefroren, zudem wurde ein Reiseverbot für die Mitglieder der paramilitärischen Truppen verhängt.

In den USA sind Sanktionen, die ein Handels- und Investitionsverbot beinhalten, seit mehr als 30 Jahren in Kraft: Washington verhängte diese nach der dramatischen Geiselnahme 1979, als iranische Studenten über Monate zahlreiche US-Diplomaten in ihrer Gewalt hatten. Wegen des angeblichen Mordkomplotts gegen den saudischen Botschafter in Washington bemühten sich die USA erst vor kurzem um europäische Unterstützung für neue Sanktionen. Im Gespräch waren zusätzliche Strafmaßnahmen gegen die iranische Zentralbank, die den Zugang des Landes zu den internationalen Finanzmärkten blockieren sollten. Washington und Teheran unterhalten seit Jahrzehnten keine direkten Beziehungen.

Wie wahrscheinlich ist ein Militärschlag?

Israels Oppositionsführerin Tzipi Livni zeigte sich nach Bekanntwerden des Berichts alarmiert: "Jetzt, wo die Wahrheit vor den Augen der Welt aufgedeckt wurde, muss Israel die freie Welt mobilisieren, um Iran zu stoppen." Seit geraumer Zeit und nun verschärft seit bald einer Woche läuft in den israelischen Medien eine hitzige Debatte über einen möglichen militärischen Alleingang gegen Teheran, der in Israel als Präventivschlag gesehen würde. Israels Verteidigungsminister Ehud Barak schloss im israelischen Rundfunk einen solchen Schritt nicht aus. Er sei skeptisch, ob die internationale Gemeinschaft wirksame Sanktionen gegen Iran verhängen werde. Israels Präsident Schimon Peres hatte sich am Wochenende ungewohnt pessimistisch gezeigt und erklärt, ein Angriff Israels und anderer Länder werde "immer wahrscheinlicher". Er sei eher zu erwarten als eine diplomatische Lösung mit Iran.

Auch die USA scheinen sich alle Optionen offenzuhalten: So erklärte der frühere US-Generalstabschef Mike Mullen im August 2010 im Fernsehsender NBC, dass die USA einen Plan für einen Militärschlag in der Hinterhand hätten. Admiral Mullen bezeichnete dies als "wichtige Option", fügte aber hinzu, dass er hoffe, dass es nicht so weit komme, da ein Angriff die gesamte Region destabilisieren könnte. Interne US-Dokumente, die die Plattform Wikileaks im vergangenen Jahr veröffentlichte, belegen zudem, dass mehrere arabische Golfstaaten wohl hinter den Kulissen schon vor Jahren die USA drängten, militärisch gegen Teheran vorzugehen. Die Briten signalisierten bereits ihre Unterstützung.

Warum Iran keine Atombombe bauen darf

Massiver Widerstand gegen einen solchen Schritt kommt aus Russland: Mit scharfen Worten warnte Russlands Außenminister Sergej Lawrow Israel vor einem Angriff. Dies wäre ein "sehr schwerer Fehler mit unvorhersehbaren Folgen", sagte Lawrow. Der russische Präsident Dmitrij Medwedjew warf Israel eine "gefährliche Rhetorik" vor, die zu einem bewaffneten Konflikt im Nahen Osten führen könnte. Auch Deutschland und Frankreich lehnen ein militärisches Vorgehen ab.

IAEA: Iran arbeitete an Atomwaffen

Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad zusammen mit Verteidigungsminister Ahmad Wahidi hinter einer Rakete bei einer Parade zum Tag der Armee: Die internationalen Atomaufseher haben detaillierte Belege vorgelegt, wonach Iran mindestens bis zum vergangenen Jahr an der Entwicklung einer Atombombe gearbeitet hat.

(Foto: dpa)

Ein Militärschlag gegen Iran scheint also näher als sonst. Doch die Drohkulisse könnte auch nur eine Strategie Israels sein, den Druck auf die Weltgemeinschaft zu erhöhen, um eine breite diplomatische Debatte über weitere Sanktionen gegen Iran loszutreten.

Iran selbst zeigt sich von all dem unbeeindruckt, zumindest rhetorisch: Präsident Mahmud Ahmadinedschad kündigte an, an seinem Atomprogramm festhalten zu wollen. Er rate den USA und Israel, keine weiteren Drohungen zu machen, sagte er nach Angaben der iranischen Nachrichtenagentur Irna. "Wer auch immer Iran angreift, würde diesen Schritt bitter bereuen", fügte er hinzu.

Warum darf Iran keine Atombombe bauen?

Iran trat bereits 1970, also noch zu Zeiten des Schahs, dem Atomwaffensperrvertrag bei. Darin verpflichten sich 184 Länder ohne Atomwaffen, auf eine nukleare Bewaffnung zu verzichten. Unterzeichnerstaaten ohne Atomwaffen, also auch Iran, verbietet der Vertrag die Herstellung und den Kauf von Kernwaffen oder anderen Kernsprengkörpern. Gleichzeitig erlaubt der Vertrag sämtlichen Unterzeichnern ausdrücklich die zivile Nutzung der Nuklearenergie und die dafür notwendige Forschung einschließlich der Urananreicherung. In Artikel IV wird die "Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke" als "unveräußerliches Recht aller Vertragsparteien" bezeichnet. Und genau darauf berufen sich die Machthaber in Teheran.

Iran könnte theoretisch aus dem Vertrag austreten, wenn es dies drei Monate vorher kundtut. Dies würde allerdings das Misstrauen der internationalen Gemeinschaft zusätzlich erhöhen und einen Militärschlag wahrscheinlicher machen.

Forderte der UN-Sicherheitsrat von Iran, die Urananreicherung zu stoppen?

In seiner Resolution 1969 vom Juli 2006 rief der UN-Sicherheitsrat das Land tatsächlich dazu auf, die Anreicherung von Uran einzustellen. Hintergrund war, dass die IAEA nicht beurteilen konnte, ob diese ausschließlich friedlichen Zwecken diente. Iran beteuert, dass es die Anreicherung nur benötige, um Brennstäbe für seine Reaktoren herzustellen. Der Streit um das iranische Atomprogramm schwelt seit 2002. Grund dafür ist auch, dass das Land nicht vorschriftsmäßig mit der IAEA zusammenarbeitet und die Untersuchungen seit Jahren durch mangelnde Transparenz erschwert.

Mit Material von dpa

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