Süddeutsche Zeitung

Hungerkrisen:Unterlassene Hilfeleistung

20 Millionen Männer, Frauen und Kinder sind in Teilen Afrikas und in Jemen in Gefahr. Doch die reichen Geberländer sind nun der Krisen müde. Das ist schändlich.

Von Isabel Pfaff

Ein Zyniker würde sagen: Es gibt bessere Zeitpunkte für eine Hungersnot. Friedlichere Zeiten zum Beispiel, ohne einen Syrien-Krieg, ohne die Konflikte in der Ukraine, in Libyen, in der Türkei. Doch die Gegenwart ist nicht friedlich, und offenbar ist die Welt müde geworden. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Vereinten Nationen von der schlimmsten Hungerkatastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg sprechen - und trotzdem so gut wie nichts passiert. Nach UN-Angaben fehlen 90 Prozent des Geldes, das es braucht, um mehr als 20 Millionen Menschen in Teilen Afrikas und in Jemen vor dem Tod zu bewahren. 90 Prozent. Bei einem überschaubaren Gesamtbetrag von vier Milliarden Euro. Nein, die internationale Gemeinschaft hat für diese Hungersnot offensichtlich keine Aufmerksamkeit übrig.

Die Geberländer müssen endlich handeln - bald ist es zu spät

Das ist auch deshalb bitter, weil die Staaten, die jetzt als Geber gefordert sind,

ihren Anteil daran haben, dass es in den Hungergebieten so weit kommen konnte. In den seltensten Fällen ist allein das Klima schuld. Fast überall sind es Kriege und Konflikte, die die Märkte zerstört haben und die Felder seit Jahren brachliegen lassen. Und fast überall ließ man die Machthaber gewähren, sei es aus Krisenmüdigkeit oder Kalkül. Weder ein Waffenembargo noch eine schlagkräftige UN-Truppe hat die Welt im Bürgerkriegsland Südsudan zustande gebracht. In Somalia stützt die internationale Gemeinschaft eine Staatenruine, gleichzeitig stacheln die Vereinigten Staaten mit ihrem Drohnenkrieg den islamistischen Terror weiter an. Und Äthiopien, das mit seiner autoritären Wirtschaftspolitik nachhaltige Landwirtschaft verhindert, steigt gerade zu einem Lieblingspartner der Europäer in Sachen Fluchtbekämpfung auf.

Jetzt ist die Lage am Horn von Afrika, im Südsudan, in Nigeria und Jemen so schlimm, dass politisch nichts mehr zu machen ist. Wer die 20 Millionen Männer, Frauen und Kinder noch retten will, muss Geld in die Nothilfe stecken - auch wenn das die alten Probleme mit sich bringt. Es ist alles andere als nachhaltig, importierte Säcke voller Reis und Mehl unter hohen Transportkosten in entlegene Dörfer zu karren. Oder Tanks voller Wasser loszuschicken statt Auffangbecken und Brunnen zu bauen. Ein erheblicher Teil des Hilfsgeldes wird zudem für internationale Helfer und Fachleute ausgegeben, die gebraucht werden, um solche Hilfsaktionen umzusetzen. Nicht immer sind die Anzahl und die Gehälter solcher Experten gerechtfertigt. Auch wollen die Geberländer kontrollieren, wie ihr Geld verwendet wird. Das ist teuer. Hilfsorganisationen müssen viel Zeit in Nachweise und Projektberichte investieren.

Trotzdem bleibt es dabei: Wenn sich die Hunger-Karten der UN dunkelrot einfärben, gibt es zur Nothilfe keine Alternative. Und: Was die Vereinten Nationen und die von ihr koordinierten privaten Hilfsorganisationen leisten, ist trotz der berechtigten Kritik beeindruckend.

Erstens liefern die UN oft als Einzige zuverlässige Daten aus Krisengebieten, die wiederum die Arbeitsgrundlage für andere Hilfsorganisationen bilden. Zweitens übernehmen die Vereinten Nationen mit ihrem Nothilfe-Büro Ocha eine wichtige Koordinierungsrolle. In den Krisengebieten bringen sie die verschiedenen Hilfsorganisationen - private, staatliche oder internationale - an einen Tisch und verhindern so, dass die Hilfe doppelt oder einseitig in bestimmte Regionen oder Projekte fließt.

Drittens ist es für die UN und viele andere Organisationen üblich geworden, in Notlagen mit lokalen Partnern zusammenzuarbeiten, die die Lage vor Ort besser einschätzen können als Ausländer. So werden Fehler vermieden und zudem lokale Initiativen gestärkt. Viertens wären ohne die UN viele Gebiete gar nicht mehr zugänglich: Mit ihren Flugzeugen steuern die Vereinten Nationen auch die entlegensten Winkel eines Landes an, ohne sie gäbe es in Krisenstaaten oft gar keine Transportmöglichkeiten mehr.

Doch die Weltorganisation ist nur so gut, wie es ihre Mitglieder wollen. Im Moment scheinen die finanzstarken Mitgliedstaaten wenig Interesse daran zu haben, die Nothilfeanstrengungen der Vereinten Nationen zu unterstützen. Auch andere Organisationen klagen über die geringe Spendenbereitschaft von Regierungen und Bürgern. Auf großen Geber-Konferenzen wie zuletzt in Oslo, wo es um Hilfsgeld für die Region um den Tschadsee ging, werden öffentlichkeitswirksam große Versprechungen gemacht - doch viele Staaten zahlen entweder viel zu spät oder gar nicht.

Krisenmüde, das kann man vielleicht in Somalia oder im Südsudan sein. In Weltgegenden wie Europa wirkt das Gefühl mehr als fehl am Platz.

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Quelle:
SZ vom 23.03.2017
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