Süddeutsche Zeitung

Lebensmittelversorgung:Geld gegen Hunger

4,3 Milliarden Euro zusätzlich wollen die G 7 in diesem Jahr geben, um die schlimmsten Nahrungsmittelkrisen zu lindern. Reicht das? Aus Sicht vieler Hilfsorganisationen bei Weitem nicht.

Von Thomas Hummel, Elmau

Die Verhandlungen im Schlosshotel liefen noch, da hatten Hilfsorganisationen schon einmal Alarm geschlagen. "Mehr und mehr Länder erleben steigende Preise und schrumpfende Angebote, Unsicherheit in der Lebensmittelversorgung ist jetzt die brutale Realität für Millionen von Menschen überall auf dem Globus", klagte ein paar Kilometer entfernt in Garmisch-Partenkirchen Edwin Ikhuoria, Geschäftsführer der Organisation One, die sich auf den Kampf gegen Hunger und Armut konzentriert. Es bleibe abzuwarten, ob die G 7 ihre finanzielle Unterstützung für die am schlimmsten betroffenen Länder schnell und umfangreich genug bereitstellen werde. Am Dienstag nun dürfte Edwin Ikhuoria enttäuscht abgereist sein.

Die Organisation One schimpfte nach dem Abschluss des Gipfeltreffens, dass die Zusagen unzureichend seien. Bundeskanzler Olaf Scholz sei es nicht gelungen, als Gastgeber ausreichend Zusagen gegen die Hungerkrise zu gewinnen. Was die Geberländer erwartungsgemäß anders sahen. Nach langen Verhandlungen, die bis in den späten Montagabend gingen, sagten die G-7-Länder zu, in diesem Jahr zusätzlich etwa 4,3 Milliarden Euro bereitzustellen, um die schlimmsten Hungerkrisen zu lindern. Etwa die Hälfte des Geldes kommt aus den USA.

Vor allem in Ostafrika spitzt sich die Lage dramatisch zu

Nach eigenen Angaben investieren die sieben großen Industriestaaten damit in diesem Jahr insgesamt mehr als 13 Milliarden Euro zur Linderung der Ernährungskrise. Allerdings hatten die Vereinten Nationen zuletzt den Bedarf auf 44 Milliarden Euro beziffert. Dabei geht es unter anderem darum, dass etwa das Welternährungsprogramm (WFP) nun ebenfalls viel höhere Preise zahlen muss, um Nahrungsmittel für die Ärmsten zu kaufen. In einigen Flüchtlingslagern etwa in Afrika mussten offenbar schon die Essensrationen gekürzt werden. Sowohl das WFP als auch die G 7 rechnen damit, dass bereits weit mehr als 300 Millionen Menschen akut von Hunger bedroht sind.

Vor allem in Ostafrika spitzt sich die Lage dramatisch zu. Nach drei Dürrejahren bleiben in Somalia oder Äthiopien nun auch noch große Teile der Nahrungsmittelimporte aus Russland und der Ukraine aus. Die beiden Kriegsparteien gehören zu den größten Lieferanten weltweit bei Weizen, Gerste oder Sonnenblumenöl. Während Russland alle Exporte ausgesetzt hat, blockiert es zudem die Ausfuhr ukrainischer Ware über das Schwarze Meer. Zwar gelang es, über Gleise und Straßen zuletzt wieder mehr Lebensmittel außer Landes zu bringen, die Mengen sind aber weit entfernt vom Vorkriegsniveau.

Und so forderten die G 7 zum wiederholten Male Russland auf, die Blockaden zu lösen. "Es gibt keine Sanktionen gegen russische Lebensmittel", betonte etwa der französische Präsident Emmanuel Macron. Er wolle einmal mit diesem Mythos aufräumen. Russland wirft dem Westen vor, erst durch seine Sanktionen für die Krise verantwortlich zu sein. Es sei genau anders herum, sagte dagegen ein hochrangiger US-Regierungsvertreter. Der russische Präsident Wladimir Putin setze "Lebensmittel als Kriegswaffe" ein.

Dass die G 7 auch auf Partner angewiesen sind, um die Ernährungskrise gerade im globalen Süden einzudämmen, zeigte sich auch im Abschlusspapier. Zur kurzfristigen Entlastung fordern die Staaten andere Länder "mit großen Nahrungsmittelvorräten sowie den Privatsektor" auf, Lebensmittel zur Verfügung zu stellen. Alle Staaten sollten eine übermäßige Lagerhaltung von Nahrungsmitteln vermeiden, die zu weiteren Preisanstiegen führen könne. In den vergangenen Wochen hatten unter anderem Indien und Indonesien Exportverbote erlassen, China soll große Mengen an Nahrungsmitteln vorhalten für die eigene Bevölkerung.

Auf jeden Dollar an Hilfsgeldern kommen zwei Dollar, die einkommensschwache Länder an ihre Gläubiger zahlen müssen

Und so bleibt abzuwarten, ob sich die Lage kurzfristig entspannt. In Garmisch hatte Max Lawson, Leiter Soziale Gerechtigkeit bei der Hilfsorganisation Oxfam, aus Kenia berichtet, er habe dort seit Jahrzehnten keine Krise mit solchen Ausmaßen erlebt. Er wies zudem auf die Gewinner dieser Krise hin. Denn durch die hohen Preise würden einige auf dem Weltmarkt erhebliche Summen verdienen. Oxfam forderte deshalb die G-7-Staaten auf, Unternehmen mit steigenden Gewinnen höher zu besteuern und das Geld zu nutzen, um die weltweite Armut zu bekämpfen. Zudem warb die Organisation für einen Schuldenerlass. Auf jeden Dollar an Hilfsgeldern kämen zwei Dollar, die einkommensschwache Länder an ihre Gläubiger zahlen müssten.

Selbst Macron bestätigte, dass Spekulationen auf dem Lebensmittelmarkt die Preise antreiben würden. Man müsse dagegen Maßnahmen einleiten, sagte der französische Präsident. Denn wenn die Preise für das tägliche Leben übermäßig steigen, führe das nur zu einem: "zur Wut der Menschen".

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