Süddeutsche Zeitung

Internationale Konferenz:Berliner Welthunger-Hilfe

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Die Bundesregierung versucht, eine "globale Allianz für Ernährungssicherheit" zu bilden, um drohende Katastrophen in Asien oder Afrika abzuwenden.

Von Paul-Anton Krüger, Berlin

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bemüht eine Zahl, um die Dramatik der Situation deutlich zu machen: 345 Millionen Menschen seien akut "von einer Hungerkrise" betroffen - 200 Millionen mehr als noch vor zweieinhalb Jahren. Die Gründe, sagt sie, seien oft nicht neu: regionale Konflikte, Dürren, verschärft durch die Folgen des Klimawandels, und nicht zuletzt die Covid-19-Pandemie. Einen Tsunami habe aus dieser Welle des Hungers aber erst der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine gemacht. "Russland nutzt Hunger ganz bewusst als Kriegswaffe und macht die ganze Welt zur Geisel", sagt Baerbock.

Diesen Tsunami zu brechen, das ist das Ziel einer internationalen Konferenz zum Thema Ernährungssicherheit am Freitag in Berlin, die Baerbock zusammen mit Entwicklungsministerin Svenja Schulze und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir ausgerichtet hat. Schulze hatte zuvor eine "Globale Allianz für Ernährungssicherheit" auf den Weg gebracht, in der westliche Staaten mit internationalen Organisationen und der Weltbank, der Zivilgesellschaft und Ländern des globalen Südens zusammenarbeiten. Mehr als 100 Partner haben sich angeschlossen. Nach Berlin sind mehr als 50 Staaten gekommen, unter ihnen elf Delegationen aus Afrika, etwa Ägypten und Tunesien, die auf Weizen aus Russland und der Ukraine angewiesen sind.

Es gehe darum, schnell zu helfen, sagt Baerbock. Bisher leiden viele Länder vor allem unter den extrem gestiegenen Preisen, weniger an einer mangelnden Verfügbarkeit von Grundnahrungsmitteln. Das Thema wird auch den G-7-Gipfel in einer eigenen Arbeitssitzung beschäftigen. Mit am Tisch sitzen dann die Staats- und Regierungschefs der von Bundeskanzler Olaf Scholz eingeladenen Gastländer: Südafrika, Senegal als Vorsitzender der Afrikanischen Union und Indonesien als G-20-Präsidentschaft, Indien und Argentinien.

Damit wollen die westlichen Staaten auch dem Eindruck entgegenwirken, den Russlands Propaganda mit einigem Erfolg zu erwecken sucht: dass die Sanktionen gegen Moskau Ursache der Krise seien - und nicht Russlands Kriegsführung samt der Blockade der ukrainischen Schwarzmeerhäfen. Russlands Präsident Wladimir Putin lasse Silos für Weizen und Lager für Sonnenblumenöl beschießen, während Afrika dringend auf diese Agrarprodukte warte, sagt Baerbock. Sie räumt ein, dass es indirekte Effekte der Sanktionen gebe. Banken und Versicherungen etwa seien verunsichert, ob sie die nicht von den Strafmaßnahmen erfassten Exporte von Nahrungsmitteln aus Russland abwickeln dürften. Da werde man stärker aufklären.

Als zentrales Ziel nennt die Bundesregierung, alternative Exportrouten für Getreide und andere Lebensmittel aus der Ukraine zu etablieren. Landwirtschaftsminister Özdemir sagt, vor Beginn des Krieges habe die Ukraine pro Monat fünf Millionen Tonnen Weizen exportiert und die Hälfte des Bedarfs des Welternährungsprogramms WFP abgedeckt. Normalerweise versorge die Ukraine alleine 400 Millionen Menschen, fügt Entwicklungsministerin Schulze hinzu. Mit Beginn des russischen Angriffs sind die Ausfuhren auf 350 000 Tonnen monatlich eingebrochen.

Inzwischen sei es aber gelungen, dass die Ukraine im Mai wieder 1,7 Millionen Tonnen ausführen konnte, sagt Özdemir. Allerdings seien den Alternativrouten per Binnenschiff über die Donau und per Eisenbahn in die Nachbarländer Grenzen gesetzt. Eine Steigerung sei zwar möglich, das Vorkriegsniveau könne aber nicht erreicht werden. Es müsse nun darum gehen, dauerhaft alternative Routen zu etablieren, auch um sicherzustellen, dass die Bauern in der Ukraine weiter Weizen anbauen und sich die Preise stabilisieren. US-Außenminister Tony Blinken, der wie seine französische Kollegin Catherine Colonna in Berlin dabei ist, kündigt den Bau neuer Silos an.

Zudem betonen die Mitglieder des Bundeskabinetts die Notwendigkeit, mehr Geld für humanitäre Hilfe bereitzustellen. Deutschland habe seinen Beitrag bereits auf 2,8 Milliarden Euro aufgestockt. Insgesamt will die Bundesregierung im laufenden Jahr vier Milliarden Euro zur Bekämpfung des Hungers aufwenden. Weltweit würden jedoch nach UN-Angaben 44 Milliarden Euro für humanitäre Hilfe gebraucht, sagt Baerbock - und davon sei nur knapp die Hälfte von Zusagen durch Geberländer gedeckt.

Die Konferenz wollte aber auch jenseits der akuten Krise über Strategien beraten, die globale Versorgung mit Nahrungsmitteln sicherzustellen. Es gehe auch darum, die nächste und übernächste Ernährungskrise zu vermeiden, erläutert Schulze. Dafür müssten in Entwicklungsländern stärker klimaangepasste Getreide wie Hirse angebaut werden, Lagerkapazitäten sowie der regionale Handel ausgebaut werden. Damit würden sich Länder stärker unabhängig machen von Schwankungen am Weltmarkt. Auch müsse verhindert werden, dass Lebensmittel verschwendet werden oder verderben. Ließen sich diese Verluste etwa bei der Lagerung, Kühlung und Verarbeitung weltweit halbieren, würde es keinen Mangel mehr geben.

Ihr Kollege Özdemir verweist auf die ökologische Dimension der Nahrungsmittelkrise. Klimaerhitzung und Artensterben verschärften sich ungeachtet des Kriegs in der Ukraine weiter. Es gelte etwa, Böden wieder fruchtbar zu machen, das helfe gegen Hunger, aber auch gegen die Folgen des Klimawandels. Von einer solchen breit aufgestellten Strategie und der Konferenz in Berlin gehe die Botschaft an die Welt aus, dass man sich von Putin nicht einschüchtern und auch nicht spalten lasse. "Jetzt geht es auch darum zu zeigen", sagt Özdemir noch, "aus welchem Holz wir geschnitzt sind."

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