Hunger am Horn von Afrika:Die angekündigte Katastrophe

Ein derartiges Leid schien im 21. Jahrhundert nicht mehr vorstellbar: Zehntausende verhungerten am Horn von Afrika, fast vier Millionen Menschen sind akut vom Hungertod bedroht. Nun hat die internationale Gemeinschaft einen Aktionsplan beschlossen, um die Katastrophe zu stoppen. Doch wie konnte es überhaupt zu der Hungersnot kommen? Und warum ist es so schwer, zu helfen?

Von Marie Zahout

Die Vereinten Nationen haben ein umfangreiches Programm beschlossen, um den Hungernden am Horn von Afrika zu helfen. Die Weltbank will mehr als 500 Millionen Dollar (350 Millionen Euro) bereitstellen. Zwölf Millionen davon sollen zur Soforthilfe eingesetzt werden, der Rest in langfristige Maßnahmen fließen. Reicht das Geld? Warum ist die Krise überhaupt so schlimm geworden - und wieso ist es so schwierig, zu helfen? Antworten auf die wichtigsten Fragen zur Hungerkatastrophe am Horn von Afrika.

Hungerkatastrophe in Afrika - Treffen in Rom

Zehntausende Menschen starben in Ostafrika bereits an Hunger.

(Foto: dpa)

Wie schlimm ist die Katastrophe?

Wie groß die Zahl der Menschen genau ist, die von der Hungerkatastrophe betroffen sind, lässt sich schwer sagen. Nach Schätzungen des UN-Welternährungsprogramms (WFP) sind mehr als elf Millionen Menschen in Ostafrika auf Hilfe angewiesen, 3,7 Millionen sind akut vom Hungertod bedroht. Zehntausende sind bereits gestorben. Hauptsächlich betroffen ist die Grenzregion zwischen Somalia, Äthiopien und Kenia. Allein hier sind schätzungsweise 2,23 Millionen Kinder akut unterernährt. Ohne schnelle Hilfslieferungen könnten Schätzungen zufolge 720.000 von ihnen sterben.

Die Vereinten Nationen haben bereits vergangene Woche für Teile Südsomalias offiziell den Hunger-Notstand ausgerufen. Eine Hungersnot wird dann ausgerufen, wenn mehr als 30 Prozent der Kinder unterernährt sind und täglich zwei von 10.000 Menschen durch die Lebensmittelknappheit ums Leben kommen. Der für die humanitäre UN-Hilfe in Somalia zuständige Koordinator Mark Bowden beziffert die Sterblichkeitsrate in Teilen Südsomalias bereits auf sechs Menschen pro 10.000 Einwohner pro Tag.

Bowden drängt die internationale Gemeinschaft, rasch umfassende Hilfe zu finanzieren. "Jeder Tag Verzögerung bei der Hilfe ist buchstäblich eine Frage von Leben und Tod für die Kinder und ihre Familien in den betroffenen Regionen."

Wie konnte es zu der Katastrophe kommen?

Das Horn von Afrika ist von jeher eine der am stärksten von Dürre betroffenen Regionen der Welt. Nun ist in einigen Gebieten bereits das zweite Jahr in Folge der für die Jahreszeit erwartete Regen ausgeblieben.

Refugees Flock To Dadaab As Famine Grips Somalia

Schon das zweite Jahr in Folge blieb in einigen Regionen Ostafrikas die Regenzeit aus.

(Foto: Getty Images)

Die Trockenheit führt zu Ernteausfällen, die Gefahr von Feuersbrünsten wächst und die Schäden von Insektenplagen nehmen zu. Darüber hinaus wird auch noch der bestellbare Boden durch Erosion zerstört. Durch einen Mangel an Futter und Wasser sterben die Nutztiere oder geben weniger bis gar keine Milch. Zudem sind die von der Dürre geschwächten Kühe, Ziegen und Rinder während der folgenden Regenzeit umso anfälliger für Krankheiten.

Die Dürre hat die Lebensmittelpreise explodieren lassen. Nahrung wurde zu einem knappen Luxusgut. Wie die Hilfsorganisation Oxfam berichtet, ist der Preis für Hirse gegenüber dem Vorjahr um 240 Prozent gestiegen, Mais kostet in manchen Gebieten dreimal so viel wie noch vor einem Jahr.

Der ersehnte Regen könnte das Leid zwar kurzfristig mindern. Doch in Krisengebieten wie in Somalia und Sudan sind landwirtschaftliche Infrastrukturen wie Bewässerungskanäle oder Brunnen durch die Konflikte zerstört worden. Die Bauern können den Regen oft gar nicht effizient nutzen.

Warum ist es so schwer, zu helfen?

Hunger am Horn von Afrika: Seit zwanzig Jahren tobt in Somalia ein Bürgerkrieg.

Seit zwanzig Jahren tobt in Somalia ein Bürgerkrieg.

(Foto: AP)

Hilfsorganisationen bereiten sich schon seit Ende 2010 auf die Dürre vor. Ihre Arbeit wird durch Unruhen aber massiv erschwert. In Somalia tobt seit 20 Jahren ein Bürgerkrieg, seit dem Sturz von Diktator Siad Barre 1991 hat das Land keine funktionierende Zentralregierung mehr. Die islamistische Al-Shabaab-Miliz hat vor zwei Jahren alle ausländischen Hilfsorganisationen aus Südsomalia verbannt.

WFP-Direktorin Josette Sheeran hält Somalia für den gefährlichsten Ort, an dem die UN-Organisation weltweit im Einsatz ist. 14 Mitarbeiter des WFP sind seit 2008 in Somalia ums Leben gekommen.

Die Vereinten Nationen haben nach eigenen Angaben keine Möglichkeit, 2,2 Millionen vom Hungertod bedrohten Somaliern zu helfen. Möglicherweise müssten Lebensmittel von Flugzeugen aus über einigen von Islamisten kontrollierten Gebieten abgeworfen werden, erklärten WFP-Mitarbeiter. Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel warnte am Montag im ZDF davor, dass Lebensmittel, die einfach per Flugzeug abgeworfen würden, womöglich Milizen und nicht notleidende Menschen erreichen könnten.

Was tun die Hilfsorganisationen?

UN geraten bei Versorgung von Fluechtlingen aus Somalia an Grenzen

Die hungernden Menschen sind meist auch krank. Die medizinische Versorgung in den Flüchtlingslagern reicht aber oft nur für die Bedürftigsten.

(Foto: dapd)

Für die Hilfsorganisationen war die Konferenz der Vereinten Nationen am Montag längst überfällig. Schon seit Jahren unterstützen sie die afrikanische Bevölkerung. Maßnahmen, die derzeitige Hungerkatastrophe zu verhindern, konnten aufgrund fehlender finanzieller Mittel aber nur langsam anlaufen.

Der Zustrom hungernder Somalier in die Camps in Äthiopien und Kenia geht unvermindert weiter. Noch immer kommen täglich allein "Hunderte, wenn nicht sogar Tausende Flüchtlinge" im kenianischen Dadaab an, sagte Unicef-Mitarbeiter Christopher Tidey. Mit fast 400.000 Menschen ist es das größte Flüchtlingslager der Welt.

Unterdessen wird in der äthiopischen Region Somali (Ogaden) bei Dolo Odo schon an einem vierten Flüchtlingslager gearbeitet. Es soll weiteren 60.000 Hungernden Platz bieten, nachdem die ersten drei Camps mittlerweile ihre Kapazität erreicht hätten, teilte das UN-Flüchtlingskomittee (UNHCR) mit. "Es wird erwartet, dass die ersten Flüchtlinge bereits in der nächsten Woche vom Transitzentrum in das neue Lager Hilaweyn umziehen können", hieß es.

Helfer der SOS-Kinderdörfer schaffen Lebensmittel in die beiden Flüchtlingslager Imam Schafiki und Ibn Abbas nahe der Stadt Baidoa im Landesinnern Somalias. Die Situation in den beiden Lagern, in denen sich 50.000 Menschen gesammelt haben, sei katastrophal, sagt Ingrid Famula von der Hilfsorganisation. "Die größte Angst ist, dass ein Kampf ums Wasser ausbricht." Derzeit werde fieberhaft am Bau eines weiteren Brunnens gearbeitet.

Die Hilfsorganisation Oxfam unterstützt die Menschen in den Dürregebieten mit Nahrungsmitteln, Trinkwasser, Hygienemaßnahmen und tierärztlicher Betreuung für das Nutzvieh. Die Tiere werden geimpft, um sie für die Regenzeit weniger anfällig für Krankheiten zu machen. Der Verein arbeitet vor allem mit lokalen Partnerorganisationen zusammen. Barbara Stocking, Direktorin der Hilfsorganisation, prangert an, dass zahlreiche Staaten ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkämen. Frühe Warnungen seien nicht auf Resonanz gestoßen.

Was tut die internationale Gemeinschaft?

SOMALIA-DROUGHT

Die Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hat humanitäre Soforthilfen für die hungernden Menschen in Ostafrika beschlossen.

(Foto: AFP)

"Der Hunger ist kein Skandal von gestern, sondern ein Skandal von heute, und wenn wir nichts unternehmen, wird er auch ein Skandal von morgen sein", mahnte der französische Landwirtschaftsminister Bruno Le Maire.

Eine internationale Konferenz der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) hat nun einen zweigleisigen Aktionsplan beschlossen. Frankreich, das in diesem Jahr die G-8- und die G-20-Präsidentschaft innehat, hatte das römische Treffen angeregt. Es bestehe immer noch "ein Zeitfenster", um die hungernden Menschen ausreichend zu unterstützen und sie in die Lage zu versetzen, ihre Existenzgrundlagen wiederaufzubauen, so die Abschlusserklärung der FAO-Konferenz. Hierzu seien sowohl humanitäre Soforthilfe als auch langfristige Maßnahmen notwendig.

Bei der Soforthilfe geht es um die Verteilung von Nahrungsmitteln und Trinkwasser in den betroffenen Gebieten. Kleinkinder, Schwangere und stillende Mütter, die als besonders anfällig gelten, sollen nach Angaben des WFP zudem vorbeugend kalorienreiche Zusatznahrung bekommen.

Die FAO fordert, dass die internationale Gemeinschaft den Landwirtschaftsektor unterstützt und Investitionen in dessen Entwicklung intensiviert. Besonders unterstützt werden sollten hier etwa Hirten sowie Landwirte mit Viehzucht. Deren Bewegungsfreiheit müsse garantiert werden - landesintern und auch grenzübergreifend. Die Vertreibung von Menschen sei soweit wie möglich zu verhindern. Bauern und Fischern müsse langfristig zur Selbsthilfe geholfen werden.

Die Weltbank will mehr als 500 Millionen Dollar (348 Millionen Euro) an Hilfen für die von der Dürre betroffenen Regionen bereitstellen. Zwölf Millionen Dollar sollen in die Soforthilfe für die vom Hungertod bedrohten Menschen fließen, wie Weltbankpräsident Robert Zoellick ankündigte. Geplant ist aber, den Großteil des Geldes in längerfristige Projekte zu investieren. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hatte zuvor 1,6 Milliarden Dollar (1,1 Milliarden Euro) von den 193 Mitgliedsländern eingefordert.

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