Hundert Tage Obama:Der Anti-Bush

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Kaum ein US-Präsident hat zu Beginn seiner Amtszeit solch eine Hysterie ausgelöst wie Obama. Noch erfüllt er die Sehnsucht nach Visionen - und noch trauen ihm die Amerikaner alles zu.

Reymer Klüver, Washington

An diesem Mittwochabend wird Barack Obama etwas tun, was er eigentlich nie im Sinn hatte. Jedenfalls, wenn man die Einlassungen seiner engsten Berater für bare Münze nimmt. Er wird die Medien in den East Room bitten, den ausladenden Ballsaal des Weißen Hauses, und Bilanz ziehen. Eine Bilanz seiner ersten 100 Tage im Amt.

Barack Obama genießt nach 100 Tagen im Amt das volle Vertrauen vieler US-Amerikaner. (Foto: Foto: AP)

Die großen Fernsehanstalten des Landes werden, wie sie es in den vergangenen Monaten bereits zweimal getan haben, ihr Programm ändern, um zur besten abendlichen Sendezeit eine Stunde lang live eine simple Pressekonferenz zu übertragen. Zugegeben, die Pressekonferenz eines ziemlich populären Präsidenten.

Die Umfragewerte sprechen für sich. Zwei Drittel aller Amerikaner finden ihren jungen Präsidenten gut. Sie geben ihm gleichbleibend hohe Werte für seinen Umgang mit außen- wie mit innenpolitischen Problemen. Selbst sein Management der Wirtschaftskrise hat die Unterstützung von deutlich mehr als der Hälfte der US-Bürger.

Vielleicht am aufschlussreichsten unter all den Prozentzahlen ist aber ein anderer Wert: Drei Viertel halten Obama für eine "starke und entschiedene politische Führungspersönlichkeit". Mit einem Wort: Amerika fühlt sich nicht nur wohl mit dem neuen Präsidenten. Die Nation vertraut ihm in der Krise.

Obama wirkt wie ein Anti-Bush: Er liebt ausführliche Debatten über anstehende Politikentscheidungen, moderiert selbst mit Ausdauer die Diskussion, fordert Widerspruch heraus und fällt Entscheidungen erst nach sorgsamer Abwägung der Positionen.

Und er - auch dass im Gegensatz zum oft bequemen Bush - rackert offenkundig hart, bis tief in die Nacht. Verflogen sind die Zweifel aus dem Wahlkampf, dass der junge Senator aus Chicago nicht genug Erfahrung und Urteilsvermögen für das hohe Amt mitbringen würde. "Er macht den Eindruck, dass er die Dinge versteht und die Sache in die Hand genommen hat", zitiert die Chicago Tribune den Versicherungsmakler Benjamin Bleadon aus Skokie, einem Vorort von Chicago, der wohl der Mehrheit der Amerikaner aus dem Herzen spricht. "Die Leute haben auf Obama gesetzt", konstatiert der Meinungsforscher Andrew Kohout vom renommierten Pew Institute, "sie wollen, dass er Erfolg hat."

Fleißig haben Medien und Politexperten in den letzten Tagen derlei report cards ausgestellt, wie es hier heißt, Zeugnisse für den Novizen im Präsidentenamt. Und abgesehen von den zu erwartenden Verweisen rechter Blogger und dem Tadel in stramm konservativen Blättern erhält der Harvard-Primus Obama fast nur gute Noten - von Wissenschaftlern wie von Medienleuten.

Die Historikerin Doris Kearns Goodwin, eine Fachfrau für die Geschichte der Männer im Weißen Haus, gibt euphorisiert zu Protokoll: "Ich glaube nicht, dass wir seit Franklin D. Roosevelt einen solchen Präsidenten hatten." Ein renommierter Roosevelt-Experte wie der Politikwissenschaftler Jean Edward Smith schränkt zwar ein: "Was den Erfolg bei der Gesetzgebung angeht, halten Obamas 100 Tage kaum den Vergleich mit Roosevelt stand."

Aber auch er sieht eine frappierende Übereinstimmung zwischen Obama und dem zweifellos beeindruckendsten US-Präsidenten des 20. Jahrhunderts, der Amerika durch die Große Depression und den Zweiten Weltkrieg führte: Beide verfügten über die bemerkenswerte "Fähigkeit, die Gemütslage der Nation zu verändern".

Selbst konservative Kolumnisten bescheinigen Obama ungewöhnliche Kompetenz. David Broder, der Doyen der Washingtoner Kommentatoren, befindet bündig über die 100 Tage: "ein Bravourstück". In der New York Times schreibt David Brooks: "Es war gewiss kein Selbstläufer, dass eine Regierung, unter Führung eines 47-Jährigen ohne große Erfahrung in Washington, eine so professionelle Unternehmung werden würde." Im Wall Street Journal konstatiert Peggy Noonan, einst Redenschreiberin Ronald Reagans: "Er hat einen Sinn fürs Maßhalten, für Mäßigung."

Obama verdient zweifellos Lob. Ganz von ungefähr kommen die Hymnen indes nicht. Sie sind zum Teil jedenfalls Ausfluss einer ausgebufften Medienstrategie, derer sich Obama bereits im Wahlkampf bedient hat und die seine Leute nun vom Weißen Haus aus mit der Macht des Apparats weiter umsetzen.

Sie haben in den vergangenen Wochen die wichtigsten Reporter und Kommentatoren zu Einzelgesprächen empfangen und ihnen haarklein ihre- positive - Sicht der Dinge nahegebracht. Wie man sieht, nicht ohne Erfolg. Der, zugegeben, ohnehin wohlwollende Time-Kolumnist Joe Klein, nannte Obamas bisherige Erfolge zum Beispiel schlichtweg "überwältigend".

Der in Washington noch immer vielgelesene Drudge Report, ein konservativer Blog, nennt Obamas Medienarbeit wohl nicht zuletzt aufgrund solcher Elogen voller Spott die "Best President Ever Campaign" - die Kampagne für den besten Präsidenten aller Zeiten. So weit ist es dann doch noch nicht. Seine ersten 100 Tage im Amt aber hat Obama, geschickte Medienarbeit hin oder her, mit Erfolg gemeistert.

© SZ vom 29.04.2009/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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