Hubertus Knabe und die Linke:Nichts als die Wahrheit
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Für den Historiker Hubertus Knabe sind Mitglieder der Linken nichts weiter als Honeckers Erben. Vor handverlesenem Publikum hat er damit Erfolg. Über den Auftritt eines Missionars.
Thorsten Denkler, Berlin
Es geht mal wieder um die Wahrheit. Die ganze, vollständige Wahrheit. Diesmal um die Wahrheit über die Parte Die Linke. Ort des Geschehens: die Landesvertretung von Thüringen in Berlin, ein schmuckloser Raum im ersten Stock.
Die rot-weiße Landesfahne hängt hinter dem Tisch, an dem gleich die Protagonisten des Abends Platz nehmen werden: Der MDR-Journalist Helmuth Frauendorfer als Laudator und sein Gesprächspartner und Buchautor Hubertus Knabe.
Knabe, Direktor der Stasi-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen, hat pünktlich zum aufkeimenden Bundestagswahlkampf ein neues Buch auf den Markt geworfen: "Honeckers Erben" heißt es. Der programmatische Untertitel: "Die Wahrheit über Die Linke."
Mit Menschen, die von sich behaupten, die Wahrheit zu kennen, sollte grundsätzlich vorsichtig umgegangen werden. Das gilt auch für Hubertus Knabe. Knabe arbeitet sich seit Jahren am DDR-Regime ab, an den Verbrechen der SED-Diktatur.
Manche werfen im missionarischen Eifer vor. Wer diesen Abend mit Knabe erlebt hat, kommt nicht umhin, seinen Kritikern recht zu geben.
Elementar Neues hat Knabe in seinem Buch nicht vorzuweisen. Die Geschichte der Metamorphose von der SED über die PDS zur heutigen Linken ist bekannt, auch dass führende Vertreter der heutigen Linken schon in die SED eingetreten sind, als noch Walter Ulbricht etwas zu sagen hatte.
Viele Stasi-Kontakte von Spitzengenossen sind belegt. Mehr oder weniger aufgearbeitet ist auch das zwielichtige Finanzgebaren der Partei nach der Wende. Es hat Prozesse gegeben, manche hat die Partei verloren, manche gewonnen.
Die Anekdote von der Aktenvernichtungsmaschine
Kaum etwas in dem Buch, was in den vergangenen 20 Jahren seit der Wende nicht schon irgendwann irgendwo aufgeschrieben worden wäre.
Na, vielleicht diese Anekdote, die Knabe erzählt, wenn er auf den fehlenden News-Wert seines Wahrheit-Buches angesprochen wird: Nach der Wende habe ein PDS-Mitarbeiter offenbar die größte in Europa verfügbare Aktenvernichtungsmaschine inklusive 3000 Abfallsäcken bei einer süddeutschen Firma bestellt und auf der Cebit in Hannover bar bezahlt.
Knabe hat eine Mission. Er will das Vergessen verhindern. MDR-Journalist Frauendorfer, ein 1987 aus Rumänien nach Deutschland emigrierter Dissident, fragt ihn, warum so wenig aus der Geschichte gelernt werde. Knabe: "Wenn man das glaubt, dann könnte ich zu Hause bleiben."
Das Buch ist eine 448-seitige Erinnerungsschrift an das gesamte Unrecht, das aus Knabes Sicht der Linken und ihrer Vielzahl von Vorgängerorganisationen bis zurück in die Weimarer Zeit angelastet werden müsse.
Nicht auf die Fakten allein verlassen
Knabe verlässt sich dabei nicht gerne auf die Fakten allein, die er in der Tat akribisch zusammengetragen hat. Er vereinnahmt für sich auch die Deutungshoheit darüber.
Beispiel WASG: André Brie, einer der Vordenker der Linken, hat schon früh die Strategie ersonnen, neben der PDS im Osten eine Art PDS plus im Westen zu etablieren. Zudem standen einige der Initiatoren der späteren WASG der Linkspartei nahe.
Daraus schließt Knabe, dass die Gründung der WASG und der spätere Zusammenschluss mit der Linkspartei.PDS zur Partei Die Linke von langer Hand geplant gewesen sein müsse.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, inwiefern Hubertus Knabe Verständnis für die früheren DDR-Blockparteien hat - und wie er den Boden der Wissenschaft verlässt.
Für solche Thesen erntet Knabe an diesem Abend überzeugtes Kopfnicken der Anwesenden und viel Applaus. Allerdings: Das Publikum ist handverlesen. Zwischenrufer und empörte DDR-Nostalgiker sollen keine Chance haben, die Buchvorstellung zu stören.
Nur einer fragt mal leise an, was denn mit den früheren Blockparteien sei, die sich CDU und FDP einverleibt hätten. Auch dort soll es ja schwarze Schafe gegeben haben.
Knabe zeigt Verständnis. Weniger für den Frager, als für die Blockparteien. Wenn er Vertretern der CDU die Folterzellen im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen zeige, erzählt Knabe, dann sage er ihnen: "Hier in diesen Kellerzellen ist euren Leuten das Genick gebrochen worden."
Seitenhieb auf Tillich
Der Verweis von Funktionären der Linken auf eine Mitverantwortung der Blockparteien sei, sagt Knabe, "ein ziemlich billiger Trick um sich aus der Affäre zu ziehen".
Immerhin eines gibt er den Bürgerlichen mit auf den Weg: Er frage sich, warum jemand wie der CDU-Politiker Stanislaw Tillich sächsischer Ministerpräsident werden musste, der schon zu DDR-Zeiten Kaderpolitiker war. "Haben wir keine anderen Leute?", fragt Knabe.
In manchen Rezensionen wird Knabe offen mangelnde wissenschaftliche Objektivität unterstellt. Sein Arbeitsort, die unmittelbare Nähe zum ehemaligen Folterknast der Stasi in Berlin-Hohenschönhausen wirke wohl zu prägend.
Er selbst nennt das trotzig "Standortvorteil" gegenüber denen, die wohl noch "Nachhilfe nötig" hätten, wenn sie jetzt behaupteten, die DDR sei kein Unrechtsstaat gewesen.
Diese mangelnde wissenschaftliche Distanz wird vor allem dort deutlich, wo er versucht, die Mitverantwortung der SPD am Aufstieg der PDS/Linkspartei herauszustellen. Auch hier: Die Fakten sind bekannt. Schon in den neunziger Jahren hat die SPD im Osten mit der damaligen PDS kooperiert und koaliert.
Den Boden der Wissenschaft verlassen
Die Linke sei so hoffähig gemacht geworden. Da mag was dran sein. Wenn er aber deshalb, wie er sagt, zwischen "Verachtung und Mitleid" für die SPD schwanke, verlässt er den Boden der Wissenschaft. Das im Osten viele CDU-Ortsverbände ganz gut mit der Linken zusammenarbeiten, lässt er unerwähnt.
Den Linken-Partei- und Fraktionschef Oskar Lafontaine bezeichnet Knabe als "Kumpanen" des einstigen DDR-Staatschefs Erich Honecker, weil der damalige saarländische Ministerpräsident gute Beziehungen zur DDR pflegte. Was die Anwesenden mit lauten "Ooooh"-Rufen quittieren.
Und wieder lässt Knabe unerwähnt, dass etwa Franz Josef Strauß, damals CSU-Ministerpräsident in Bayern, nicht weniger gute Kontakte in den Osten hatte.
Natürlich bringt er auch sein Paradebeispiel vom ehemaligen hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiter, der heute Mitglied der Linksfraktion im Bundestag sei. Es handelt sich dabei um den Linken-Abgeordneten Lutz Heilmann. Knabe wird wissen, dass der Mann lediglich Personenschützer bei der Stasi war. Aber Knabe differenziert eben nicht zwischen Spitzel, Wachmann und Chauffeur.
Am meisten freuen dürften sich die über das Buch, die im Wahlkampf noch nach Munition gegen die Linke suchen, also vor allem die bürgerlichen Parteien. Knabe liefert dazu in seinem Nachschlagewerk jedes nur erdenkliche Argument gegen die Linke und dazu noch jede Menge Argumentationshilfen gegen die SPD.
Das Problem ist nicht, dass Knabe immer wieder an das Unrechtssystem DDR erinnert. Auch nicht, dass er die Fakten über das skandalöse Finanzgebaren der PDS als Rechtsnachfolgerin der SED zusammenträgt. Das Problem ist, dass er den Parteigängern der Linken auch 20 Jahre nach der Wende noch pauschal abspricht, sich möglicherweise demokratisiert zu haben.
Die Linke ist sicher keine Partei mit durchgängig lupenreinen Demokraten. Aber sie ist auch nicht mehr die Partei von 1991. Würde Knabe das zur Kenntnis nehmen, er erschiene wesentlich glaubwürdiger.